Volltext Seite (XML)
Nr. !93. j^^ >^hr§ch?^n!E «u^on"^^gt?Ä->mog ^ TM. b.^S«S0M.: M»3 LMMüWLMrstMerW'öerUMWM^^^ 82. Jahrgang. Leipzig, Sonnabend den 21. August 1915. Redaktioneller Teil. Kunst und Kunsthaudel. VI. <v stehe Nr. 157.) Tod und Kunst. — Museumswllnsche. — Große Berliner Kunst ausstellung und Sezession. — Vom Berliner Kunsthaudel. An einem frischen Grabhügel stehen in tiefer Trauer zwei Menschen, Mann und'Frau, vornehmen Standes. Der da unten in heimatlicher Erde vor wenigen Tagen zur letzten Ruhe gebettet wurde, ihr einziger Sohn, schien ein Kind des Glückes. Ein würdiger Sproß einer hochkultivierten Familie, hatte er, den kleinlichen Sorgen des Lebens weit entrückt, die schönen in ihm ruhenden Talente bilden können, war von Erfolg zu Erfolg geeilt und nach vorläufigem Abschluß seiner Studien begeistert in den Krieg gezogen. Auch im Felde schien ihm das Glück treu zu bleiben. Aus manchem heißen Kampf war der junge Offizier heil und siegreich mit wohlverdienter Auszeichnung hervorgegangen, da hatten auch über ihn die Normen das Seil geworfen; eine feindliche Kugel vernichtete mit einem Schlage die Hoffnung der Eltern auf frohe Heimkehr des Sohnes. Auch er — sie wollten es noch kaum glauben. Warum auch er, während so viele zurück kehren, der Schrecken ihrer Familie? Das Herz schwoll den beiden Trauernden vor Bitterkeit, und während die Mutter sich in die von Kränzen bedeckte Grabeserde mit ihren weinen den Blicken förmlich einwühlte, kam es unter Schluchzen über ihre Lippen: Warum uns das, die wir stets unsere Pflicht taten? Und mit besänftigender Stimme, der man anmerkte, daß auch er sich zur Festigkeit zwang, sagte der Gatte: Weine nicht, Liebe, ist denn der Tod eine Strafe? Gewiß erwartete er keine Antwort, auch war er sich vielleicht nicht bewußt, daß er mit dieser Frage an ein unlösbares Problem des menschlichen Lebens rührte. Was ist der Tod? Die Wissen schaft gibt keine befriedigende Antwort auf die Frage, warum wir Menschen sterben müssen. Die Bibel, ein für die Zeit ihrer Entstehung nicht genug zu bewunderndes Kulturdokument, hat den Tod als Strafe mit dem Sündenfall in Beziehung gesetzt, wobei es jedoch Schwierigkeiten macht, daß der Tod erst nach einem arbeitsreichen Leben diese Mission erfüllen soll fl. Mose, 31, 19). Unser modernes Empfinden sträubt sich gegen diese Auffassung. »Der Tod ist verleumdet worden; das ist der ärgste Betrug in der Welt«, sagt der alte Michael Kramer an der Leiche seines Sohnes, »der Tod ist die mildeste Form des Lebens, der ewigen Liebe Meisterstück«. Anders der Naturforscher: Sterben ist diejenige Phase in dem Dasein des Organismus, in welcher die Lebensäutzerungen der Körper substanz entweder schrittweise immer mehr abnchmen, bis sie ganz aufhören oder plötzlich so stark gehemmt werden, daß sie völlig erlöschen (vgl. den meisterhaften Vortrag »Das Sterben« von Prof. Or. Nothnagel, 3. Auflage, Wien 1910, Moritz Perles). Daß der Mensch auch ohne äußere hemmende, Einflüsse einmal stirbt, ist eine Erfahrungstatsache; welche Eigenschaften es aber bewirken, daß die Zellen und Organe eine Reihe von Jahren an Leistungsenergie zunehmen, dann aber stationär verharren, um schließlich eine rückschreitende Umbildung zu erfahren, bis der Organismus ermüdet seine Arbeit einstellt, das wissen wir nicht. Das ist der Tod bei dem Einzelwesen, was ist sein Sinn in der Gesamterscheinung alles Lebens? Wohl müssen wir annehmen, daß der Tod einem verborgenen Plane der Weltordnung entspricht. Goethe, der Naturforscher, der glückliche biologische Seher, wie ihn Karl Möbius in seiner Rektoratsrede (Kiel 1879) nannte, sagte in einem kleinen um 1780 verfaßten Aufsatz, »Die Natur«: »Leben ist die schönste Erfindung der Natur, und der Tod ist ihr Kunstgriff, viel Leben zu haben«. Hierher gehören auch seine Verse aus dem Westöstlichen Divan: Und solang' du dar nicht hast, dieses: Stirb und werde! bist du nur ein trüber Gast auf der dunklen Erde. Wo die Wissenschaft schweigt, ist der Phantasie ein weites Reich geöffnet; darum ist es nicht zu verwundern, daß die Kunst im Bunde mit der Religion den Tod seit den ältesten Zeiten zum Lieblingsgegenstand ihrer Betrachtung wählte. Aus dem Tode schöpft die Kunst neues Leben: wir brauchen nur an das poetische Gemälde Böcklins «Die Toteninsel«, an einige der schönsten Blätter von Klinger über das Thema »Vom Tode«, an die vielen mittelalterlichen und modernen Totentänze, an die wundervollen Grabmonumente von Schadow (Dorotheenstädttsche Kirche, Berlin), Canova (Augustiner-Kirche, Wien), Bartholoms (Lux dlorts, Paris)") zu erinnern, um die Höchstleistungen der Kunst, die sich an die Vorstellung vom Tode knüpfen, zu bezeichnen. Auch das Erbbegräbnis, an dem das eingangs erwähnte Paar trauert, ist von der Kunst verschönt, denn den Namen der Familie umrahmen zwei von einem tüchtigen Künstler der Stadt hergestellte Bronzeplatten, die den Tod und die Auferstehung in künstlerischer Weise symbolisieren. Darüber aber steht der Spruch: dlors jaoua vitas, der Tod ist die Pforte des Lebens."") Schwer ringt sich das Paar von dem Grabe los, das seine liebste Hoffnung für die Zukunft umschließt, und schweigend schreitet es durch den schattigen Mttlelgang des Patrizier sriedhofs dem Ausgange zu. Den Mann beschäftigt schon einige Zeit ein Gedanke, der nunmehr feste Form annimmt, ein Wunsch, den er der Gattin mitteilt, ihrer Zustimmung von vornherein sicher. Nicht bloß das Grab des Sohnes soll die Kunst verschönen, auch durch eine kunstsinnige Stiftung ') Eine vortreffliche Zusammenstellung der besten dekoraiiven Grabmäler in Bild und Wori findet sich in dem Werke von Paul Brandt: Sehen und Erkennen, das in zweiter Auflage bei Ferdinand Hirt L Sohn erschienen ist, jetzt Verlag von Adolf Kröncr in Leipzig; es sei jedem Kunsthändler zum eigenen Gebrauch empfohlen. ""j Diesen tiefsinnigen Spruch las ich auf einem neuzeitlichen Anaiomiegebäude, wo die übertragene Bedeutung leicht verständlich ist. Der Direktor, aus dessen Veranlassung der Spruch über die Eingangsillr des Hauses gesetzt war, hatte ihn von einem Friedhof genommen. Ein ähnlicher Gedanke findet sich an einem Pariser Sezierfaal: Hio loous sst, udi mors gauckst sueourrsrs vitas, hier ist der Ort, wo der Tod sich sreut, dem Leben zu helfen. Aber in der kurzen Fassung liegt mehr, drückt sich eine ganze Weltanschauung, der Glaube an ein besseres Leben nach dem Tode aus. Die Vorstellung ist ein Bestandteil des jüdischen und christlichen Glaubens, daher die Bezeichnung des Friedhofs bei den Juden als mm wo (Beih Chajim) -- Haus des Lebens. Im Mittelalter mag sich die Vorstellung ver- 1173