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257, 5. November 1910. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt s. d. Dtlchn. Buchhandel- 13313 Kleine Mitteilungen. Stegen Schmutz- und Schundliteratur. — Das Ministerium des Fürstentums Reust jüngerer Linie richtete an sämtliche Schulvorstände einen neuerlichen Rus zum Mithelfen beim Kampfe gegen die die Volksseele des deutschen Volkes vergütenden literarischen Schmutz-Erzeugnisse. Um eine Kontrolle dar über zu haben, ob die vom Staate für Volks- und Ju- gendbibliotheken ausgeworfenen Mittel auch im gedachten Sinne verwendet weiden, müssen jetzt bei dem Antrag einer Gemeinde um Unterstützung aus dem Staatssäckel für Bibliothekszwecke jedesmal die im Jahre vorher ge machten Neuanschaffungen nachgewiesen werden. Beim Kamp gegen die Schundliteratur muß vor allem ein Hauptaugenmerk gerichtet werden auch aus diejenige Tagesliteratur, die besonders daraus ausgeht, dem sensationslüsternen Element in der lesenden Welt stets ausreichende Rechnung zu tragen. Solange nicht hier der Hebel in rechter Weise eingesetzt wird, muß man täglich ge wahren, wie es mit der sittlichen Lebensanschauung und Lebens führung bei unserm Volke unaufhaltsam bergab geht, trotz aller Bemühungen seitens der Schule und Kirche und trotz der Sorg falt, die man auf Volks- und Jugendbibliotheken verwendet. (Vogtländischer Anzeiger, Plauen.) JubiläumSgabc an die Nnidersität Berlin. — Anläßlich des Jubiläums der Universität Berlin hat der bekannte Münchener Buchhändler Herr Jacques Rosenthal, Hof- antiquar des Deutschen Kaisers, dem der Leitung des Wirklichen Geheimen Rates Professor Ur. Harnack unterstehenden Berliner kirchenhistorischen Seminar ein eigenartiges wertvolles Geschenk gemacht: den lateinischen Pergament-Kodex der »Rekognitionen« des Clemens, eine prachtvoll geschriebene Handschrift. Sie stammt aus dem Ende des zwölften oder Anfang des dreizehnten Jahr hunderts. * Deutsches Buchgewerbemuseum in Leipzig. — In dem oberen Ausstellungsraum des Deutschen Buchgewerbemuseums im Deutschen Buchgewerbehause in Leipzig ist an Stelle der Kon kurrenzarbeiten für den »Lehrmittel-Markt« vom 1. November bis l. Dezember eine Ausstellung von alten und neuen Verleger und Druckermarien zu sehen, die den Sammlungen des Buch gewerbemuseums entstammen. Die Ausstellung ist gleich den übrigen Ausstellungen an Wochentagen von 9 Uhr bis zum Ein tritt der Dunkelheit und an Sonntagen von ll bis 2 Uhr ge öffnet. Zu der Deutschen Graphischen Ausstellung in den unteren Räumen des Buchgewerbehauses, die sich des lebhaftesten Be suches erfreut, ist ein gedruckter Katalog erschienen, der zum Preise von 20 H von der Geschäftsstelle des Deutschen Buch, gewerbevereins in Leipzig zu bezie.hen ist. Der Ein ritt zu den Ausstellungen des Buchgewerbemuseums ist frei. Literarische Sachverständigen - Kammern. — Bei den Reichstagsberatungen im vorigen Jahre war an die Reichs regierung das Ersuchen gerichtet, daraus hinzuwirken, daß in die Sachverständigen - Kammern für Streitigkeiten über das Urheberrecht an Werken der Literatur und der Tonkunst auch praktische Journalisten berufen würden. Die Er richtung dieser Kammern beruht auf einer Bestimmung des Urheberrechtsgesetzes vom 19. Juni 1901, nach der in allen Bundesstaaten solche Sachverständigen - Kammern bestehen sollen, die verpflichtet sind, auf Erfordern der Gerichte und der Staatsanwaltschaften Gutachten über die an sie gerichteten Fragen abzugeben. Sie sind auch befugt, auf Anrufen der Be- teiligten über Schadenersatzansprüche als Schiedsrichter zu verhandeln und zu entscheiden. Seitens des Reichskanzlers sind im September 1901 »Bestimmungen über die Zusammen- setzung und den Geschäftsbetrieb der Sachverständigen-Kammern für Werke der Literatur und der Tonkunst« erlassen. Bei der ersten Bildung der Kammern wurden nun Jour nalisten überhaupt nicht berufen. Von den aus diesem Grunde an die Reichsregierung gerichteten Vorstellungen hat der Staats sekretär des Reichsjustizamts die Regierungen der Bundesstaaten in Kenntnis gesetzt, mit dem Anheimgeben, sie im Falle der Börsenblatt sür den Deutschen Buchhandel. 77 Jahrgang Erledigung von Stellen in den Kammern bei der Wiederbesetzung zu berücksichtigen. Daraufhin sind auch bereits in die Kammern verschiedener Bundesstaaten praktische Journalisten als Mit glieder berufen, so in Preußen, Bayern und Elsaß - Lothringen. (Staatsbürger-Ztg.) Postgesetz. Entscheidung über die Begriffe »Be förderung« und »Bezahlung« im Sinne der §Z 1 und 27 des Postgesetzes. Mitgeteilt von Ober-Postassistent Langer. — Das Königliche Oberlandesgericht in Kiel hat in einem Strafverfahren wegen Portohinterziehung ein Urteil gefällt, dessen Begründung beachtenswerte Ausführungen über die Begriffe »Beförderung« und -Bezahlung« im Sinne des Z 1 des Postgesetzes enthält. Dem Urteil liegt folgender Tatbestand zu grunde. Der in E. wohnende Privatfuhrunternehmer P. beförderte aus Bestellung Warenpakete von H. nach E. Seine Auftraggeber in E. übergaben ihm die an Firmen in H. gerichteten Bestell schreiben teils offen, teils in verschlossenen, mit der Adresse der Firmen versehenen Umschlägen. Die Bestellzettel oder die Bestell briefe wurden, sofern sie dem P. nicht persönlich ausgehändigt werden konnten, von den Auftraggebern in einen Briefkasten ge legt, den P an seiner Wohnung angebracht hatte. Für die Be förderung jedes Paketes erhielt P. 20 eine besondere Be zahlung sür die Übermittlung der Bestellschreiben wurde nicht geleistet. Bei einer aus Veranlassung der Kaiserlichen Oberpostdirektion in K. vorgenommenen Revision fand sich in dem Brieskasten des P. ein verschlossener, an die Firma K. in H. gerichteter Brief vor. Die vier Ecken des Briefumschlags waren in geringer Aus- vehnung abgeschnitten, so daß der Inhalt des Briefes — ein Be stellschreiben — an den Ecken aus dem Briefumschlag etwas herausragte. P. öffnete im Beisein des Revisionsbeamten den Umschlag; das Bestellschreiben beförderte er später offen nach H. Als P. nach seiner Rückkehr von H. dem Auftraggeber M. in E. die bestellten Sachen (Waren) überbrachte, erhielt er von diesem für die Ausführung des Auftrags 20 H. Die Kaiserliche Oberpostdirektion in K. erblickte in der Be förderung des Bestellschreibens nach H. einen Verstoß gegen Z 1 des Postgesetzes und leitete gegen P. das Verwaltungsstraf verfahren ein wegen Portohinterziehung. P. beantragte indeß gerichtliche Entscheidung, so daß die Strafsache vor das Schöffengericht in E. kam Vom Schöffengericht wurde P. freigesprochen. Das Schöffengericht nahm an, daß sür die Beförderung des Bestell schreibens dem P. eine Bezahlung nicht geleistet worden sei, die Vergütung sich vielmehr nur auf die Besörderung der bestellten Waren von H. nach E. beziehe. Auf die von der Staatsanwalt schaft eingelegte Berufung wurde das erstinstanzliche Urteil von der dritten Strafkammer des Königlichen Landgerichts in A. auf gehoben und P. wegen Portohinterziehung zu 3 3t Geldstrafe oder 1 Tag Haft verurteilt. Das Berufungsgericht vertrat den Standpunkt, daß schon in der Annahme des Briefes durch P. eine Besörderung im Sinne des H 1 des Postgesetzes liege. Die Ver gütung von 20 H stelle ferner ein indirektes Entgelt sür die Be sörderung des Brieses dar, denn P. bringe die Bestellschreiben nur deshalb nach H., um die bestelllen Waren von H. mit zurück zunehmen. Gegen dieses Urteil des Königlichen Landgerichts in A. legte der angeklagte P. Revision beim Oberlandesgericht in Kiel ein. In der Revisionsbegründung wurde zunächst bestritten, daß P. den fraglichen Brief zur Beförderung übernommen habe. Der Brief sei zwar in dem Brieskasten des P. vorgefunden worden; P. wäre aber in der Lage gewesen, die Besörderung des Brieses abzulehnen. Eine Entschließung darüber, ob er den Bries befördern wolle oder nicht, hätte P. zur Zeit der Auffin dung des Brieses noch nicht getroffen gehabt. Tatsächlich habe er auch nicht den verschlossenen Bries, sondern das offene Bestell- chreiben nach H. überbracht. Im weiteren wurde ausgeführt, daß die dem P. gewährte Vergütung lediglich eine Entschädigung ür die Mühewaltung darstelle, die P. sür die Besörderung des Pakets aufgewendet habe. Die Vergütung enthalte keine indirekte Bezahlung für die Uberbringung des Bestellbriefs von E. nach H. Die Revision wurde vom Oberlandesgericht in Kiel ver worfen. Aus den Urteilsgründen ist folgendes interessant: 1728