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13312 Börsenblatt f. d> Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. 257. 5. November 1910. Schundliteratur ist, nicht der Polizeibehörde oder den Gerichten, sondern einer Sachverständigen-Kommission überläßt, die aus Angehörigen aller Parteien, aller politischen und religiösen Glaubensbekenntnisse zusammengesetzt ist, und das Urteil dieser Sachverständigen-Kommission müßte ein einstimmiges sein, wenn es irgendwelche Wirkung haben soll. (Heiterkeit.) Sie lachen darüber. Das ist allein das, was mich, veran lassen würde, derartigen Bestimmungen zuzustimmen, weil man nur dann sicher ist, daß diese Bestimmungen nicht miß braucht werden. Wenn z. B. Persönlichkeiten darüber zu befinden haben, was Schmutz- und Schundliteratur ist, die der politischen Anschauung des Herrn Or. Mönckeberg sind, dann bin ich fest überzeugt, daß diese Bestimmungen gegen die sozialdemokratische Partei mißbraucht werden würden, denn Herr vr. Mönckeberg läßt sich bei allen seinen Ent schließungen nur von politischen Gesichtspunkten, nicht aber davon leiten, ob die Dinge der Kultur nützen oder nicht. Deshalb, wie gesagt, bedauern wir, daß der Senat dieser Anregung des Herrn vr. Mönckeberg, die leider die Mehrheit der Bürgerschaft sich im Dezember v. I. zu eigen gemacht hat, Rechnung getragen hat. Meine Herren! Wir werden auch gegen den Antrag Pape stimmen. Herr Pape sagt, er will nur der Oberschulbehörde die Entschließungsfreiheit wahren dahin, daß sie nicht nur die Hefte der Jugendbücherei zu nehmen braucht. Die Oberschulbehörde soll ja gar nicht nur die Hefte der Jugendbücherei nehmen. (Zu- ruf: Nein!» Nur für diese 2280 Mark. Aber für die anderen 6000 Mark können unendlich viele andere schöne Jugendschristen gekauft werden. Es ist durchaus berechtigt, daß ein Teil der Summe, die verausgabt werden soll, für die Anschaffung von Heften der Deutschen Jugendbücherei ausgegeben wird, und zwar aus zwei Gründen. Einmal ist die Deutsche Jugendbücherei ein hamburgisches Unternehmen, das nicht nur von hamburgischen Bürgern, sondern auch vom hamburgischen Staate eminent unterstützt wird. Der hamburgische Staat hat z. B. 5000 Mark zur Anschaffung von Erzählungen für eben diese Jugendbücherei hergegeben, und eine Reihe von hamburgischen Bürgern hat weiter ermöglicht, daß diese Jugendbücherei existiert und existieren kann. Darum ist es nur recht und billig, daß »vir die Hefte dieser Jugendbücherei, wenn sie den anderen gleich wertig sind, unter unfern Kindern verbreiten. Weiter haben gerade die Hefte der Deutschen Jugendbücherei den Zweck ersüllt, der Verbreitung der Schundliteratur hindernd entgegenzutreten. Herr Pape sagt, die bunten Volksbücher und die neuen bunten Jugendbücher seien in Druck und Ausstattung besser, die Bilder seien künstlerischer usw. Einige sind es in der Tat, aber in den letzten Heften sind die Bilder der Deutschen Jugendbücherei auch wesentlich besser geworden. Es ist eben sehr schwer, Künstler heranzuziehen. Gerade das Aussehen der Hefte der Jugend bücherei aber hat vor den bunten Volksbüchern den Vorzug, daß sie der Schundliteratur äußerlich ähnlicher sehen und ihr deshalb wirksamer Konkurrenz machen können. Das ist keine Frage: es werden sehr viele Leute über den Charakter dieser Bücher ge täuscht. Das erweist sich sehr häufig bei den Händlern. Die Händler erklären, daß Leute, wenn sie Hefte der Jugendbücherei gekauft haben, hinterdrein sagen: das wollten wir nicht, wir wollten andere haben. Gerade dieser täuschende Charakter ist ein wirk sames Mittel, mit dem die Jugendbücherei arbeitet. Und schließlich spricht noch für die Verteilung der Hefte der Jugendbücherei, daß mit ihrer Hilfe das von der neueren Pädagogik geforderte Massenlesen in unseren hamburgischen Volksschulen angestellt Iverden kann. Wir sollten wirklich einheit lich diese Hefte vorschreiben — der Oberschulbehörde braucht es nicht einmal vorgeschrieben zu werden; sie wird in dieser Vor schrift keinen Zwang sehen, sondern sie nimmt, soweit ich unter richtet bin, diese Bücher sehr gern, weil sie sie für besser hält als andere Erzeugnisse, die auf diesem Gebiese in den letzten Jahren erschienen sind. Die Jugendbücherei ist ein Hamburg! ches Unternehmen und wird besser als alle anderen Erzeugnisse auf diesem Gebiete den hamburgischen Volksschulen dienen können. Deshalb nehmen Sie die Anträge des Senats unverändert an und lehnen Sie den Antrag Pape ab! vr. v. Reiche (linkes Zentrum): Meine Herren! Herr Krause hat die Sache verwechselt. Wir haben es mit zwei Anträgen zu tun. Der eine betrifft die Bewilligung von 2280 ^; die 5000 ^, von denen er gesprochen hat, stehen im Antrag Nr. 2. Zu dem haben wir unsern Antrag nicht gestellt. Ich verstehe Herrn Fricke nicht. Wir alle wollen dasselbe. Wir wollen den Schulkindern gute Jugendbücher geben. Nun haben wir in der Deutschen Jugendbücherei gute Bücher; wir haben sie aber auch an anderer Stelle und können sie dort auch zu demselben billigen Preise bekommen. Warum wollen wir nun nicht der Oberschulbehörde überlassen, zu nehmen, was sie für richtig hält? Es sieht beinahe so aus, als wenn wir die Geschäfte der Deutschen Jugendbücherei betreiben wollen. Das wollen wir nicht, sondern wir wollen gute Jugendbücher verteilen, und daher bitte ich Sie, den ganz unverfänglichen Antrag des Herrn Pape anzunehmen! Pape (linkes Zentrum): Meine Herren! Nur noch ganz kurz. Von Hamburg ist eine Bewegung ausgegangen zur künstlerischen Erziehung der Jugend, unan will den Geschmack der Jugend bilden. Nun haben wir zur Verfügung Hefte, die schlecht ge druckt sind, und Hefte, die gut und sauber gedruckt sind, von denen jedes noch dazu Bilder von namhaften Künstlern, wie Arpad Schmitthammer usw., enthält. Nun steht die Sache so, daß die Vertreter der Hamburger Lehrerschaft sagen: nein, wir wollen nur die Bücher, die wir herausgegeben haben, nicht die anderen, trotzdem diese viel sauberer und besser ausgestattet sind. Wie sich das verträgt mit der künstlerischen Erziehung und Aus bildung des Geschmacks, verstehe ich nicht. Junge (verein. Liberale): Meine Herren! Wir sprechen immer von der äußeren Ausstattung der Bücher, aber keiner ist auf den Inhalt dieser Bücher eingegangen. Die Auswahl derjenigen Ge schichten und Erzählungen, die in der deutschen Jugendbücherei sind, ist ausschließlich für Kinder bestimmt. Der Inhalt ist so ge wählt, daß tatsächlich Kinder der Volksschule diese Bücher mit Genuß und Verständnis lesen können. Das ist nicht immer der Fall bei den bunten Büchern der Berliner Ausgabe. Eine ganze Reihe von Geschichten und Erzählungen aus diesen Büchern wendet sich mehr an solche Jugendliche, die schon der Schule ent wachsen sind. (Pape: Im Gegenteil: dann kennen Sie die Hefte nicht!)*) Ich habe diese Hefte auch zum Teil gelesen und das ist sür mich der Grund neben anderen Gründen, die Herr Fricke chon angesührt hat, daß ich sür den Senatsantrag stimme. Fricke (Linke): Meine Herren! Nur eine kurze Bemerkung. Ich wollte dasselbe sagen, was Herr Junge aussührte, kann das also jetzt unterlassen. Aber ich möchte noch weiter aus den Inhalt eingehen. Herr Pape hat mir zugerufen, die Oberschulbehörde würde diese neuen Berliner Bücher nicht kennen. Die Oberschul behörde kennt die Bücher ganz genau. Sie hat eine Kommission eingesetzt, die alle diese Bücher genau zu prüfen hat, und mein Kollege, der Vorsitzender dieser Kommission ist, hat mir mitgeteilt, daß diese Berliner Bücher im Durchschnitt nicht so gut für Kinder geeignet sind, wie die Hamburger Bücher. Die Kommission er kennt an, daß unter den Berliner Büchern auch gute Hefte vor handen sind, aber die Hamburger Sammlung hat mehr gute, und auf den Inhalt müssen wir das Hauptgewicht legen, wenn auch zu wünschen wäre, daß auch die Ausstattung der Jugend bücherei besser wäre, als sie bisher gewesen ist. Präsident: Wünscht niemand weiter das Wort? Dann schließe ich die Beratung. Ich bitte dann zunächst die Herren, welche nach dem Anträge der Herren Pape und Genossen im Senatsantrage Nr. l statt »38 000 Hefte der Deutschen Jugendbücherei« setzen wollen: »38 000 Hefte Jugendbücher«, sich zu erheben. (Geschieht.) Der Vorstand ist sich einig, daß die Minderheit steht; der Antrag ist ab gelehnt. Wir haben dann über den Senatsantrag abzustimmen. Ich ersuche die Herren, die den Senatsantrag annehmen wollen, sich zu erheben. (Geschieht.) Der Senatsantrag ist endgültig angenommen. *> Bemerkung: Die Herren Schulinspektor Fricke und Lehrer Junge scheinen der Meinung zu sein, daß ich die »Bunten Bücher« empfohlen hätte. Ich habe aber die »Bunten Jugendbücher« vorgezeigt und herumgereicht, wie auch mein Antrag besonders von Jugendbüchern sprach. Justus Pape.