Volltext Seite (XML)
257, 5. November 1910. Nichtamtlicher Teil. «SrskNblLtt s. d. Dt!Hn. KuchtzanOrt 18311 schon früher darüber korrespondiert. Solche Notschreie sind auch aus Hamburg vielfach zu mir gedrungen von Damen der höch sten Gesellschaft und anderen, und wir sollten ein wenig aus den Notschrei der Mütter hören, die in erster Linie für unsere Heran wachsende Jugend besorgt und verantwortlich sind. Aber jene Schundliteratur, die bisher nur für 10 verkauft wurde, wird jetzt unentgeltlich auf den Straßen verteilt. Der »Berliner Lokal-Anzeiger« berichtet darüber, daß ein solches Heft auf der Straße ausgeschrieen wurde. Ich möchte Ihre Zeit nicht zu sehr in Anspruch nehmen, sonst könnte ich den betreffenden Artikel hier verlesen. Also ein Herr tritt hinzu und läßt sich ein solches Heft geben: »Eine ganz gemeine Mordgeschichte mit Detek ivs und Niederknallen, zu gleicher Zeit aber eine Reklame für ein Waren-Kredithaus.« Also als Reklame wird solche Schund literatur jetzt benutzt. Derselbe Vorfall wird einige Zeit später, am 23. Oktober, aus Leipzig gemeldet, doit heißen die Hefte sogar »Leipziger Volksbibliothek«, und es waren schon acht Stück verschiedene geworden. Ob diese Reklame auch schon in Ham burg versucht ist, weiß ich nicht, aber wahrscheinlich werden wir nicht verschont bleiben. Sie sehen, es gibt gewissenlose Leute, denn Leute, die sich solcher Reklame bedienen, kann man nur als gewissenlos, ja als schamlos bezeichnen. Heute kann sich kein Mensch mehr damit entschuldigen, daß er die Schädlichkeit solchen Tuns nicht kenne, und wenn es nach den bestehenden Gesetzen nicht möglich ist, dieses Gebaren zu verhindern, muh die Gesetzgebung von Reichs wegen geändert werden. Deshalb begrüße ich es so dankbar, daß unser Senat sich entschlossen hat, die dazu führenden Schritte zu unternehmen. Nötig ist es, und es ist auch die allerhöchste Zeit, wenn wir der weiteren Ver seuchung unserer Jugend Vorbeugen wollen. Nun ein paar kurze Worte zu dem Anträge, den meine Freunde und ich gestellt haben. Der Senat hat beantragt, 38 000 Hefte der Deutschen Jugendbücherei anzuschaffen. Die Deutsche Jugend bücherei ist ein festgelegtes Unternehmen einer Berliner Verlags firma, das von hamburgischen Lehrern geleitet wird. Der Inhalt der Bücher ist ein durchaus guter, was ich rühmend anerkenne. Nicht so gut ist die Ausstattung. Es gibt jetzt andere Hefte zu genau denselben Preisen, die von Berliner Lehrern heraus« gegeben werden. Es ist merkwürdig: die Hamburger Lehrer gehen nach Berlin, um einen Verleger für ihr Unternehmen zu suchen, und die Berliner Lehrer gehen nach Reutlingen im Schwarzwald, um dort einen Verleger zu finden. Diese Hefte, die denselben Preis haben wie die in Hamburg redigierten und in Berlin ver- legten Hefte, sind viel besser im Druck, sind viel sauberer. Ich habe von diesen Heften je einige Exemplare mitgebracht, wer sich dafür interessiert, mag sie sich ansehen. Jedes Heft der Berliner Lehrer ist illustriert von namhaften Künstlern, wie Arpad Schmitt- Hammer, Otto Gebhardt, Strödel und anderen und steht inhaltlich der Deutschen Jugendbücherei nicht nach. Ich nehme an, daß die Oberschulbehörde, als sie mit ihrem Anträge an den Senat ge gangen ist, diese Hefte noch gar nicht gekannt hat, denn sie sind jünger als die in Berlin verlegten, von Hamburgern heraus gegebenen Hefte. Nun bezweckt der Antrag, den wir gestellt haben weiter gar, nichts, als der Oberschulbehörde die Freiheit zu geben, zu wählen, welche Hefte ä 10 ^ sie will, sowohl die Hamburger Berliner Verlages, als auch die Berliner Reutlinger Verlages. Deshalb beantragen wir, daß Sie in dem Senatsantrage die Bezeichnung: »Deutsche Jugendbücherei« streichen möchten, weil dadurch die Anschaffung aus diese Hefte festgelegt wird, um dafür zu setzen: »38 000 Hefte Jugendbücher«, damit die Oberjchulbehörde die Frei heit hat, auszuwählen, was sie will; einen anderen Zweck hat dieser Antrag gar nicht. Ich bitte Sie deshalb unserm Anträge Ihre Zustimmung zu geben. Als wir im vergangenen Jahre im Dezember über diese Dinge hier verhandelten, schrieb eine große Berliner Zeitung hocherfreut darüber: »Der erste Schuß fiel in Hamburg«. Ich glaube, wegen dieser Äußerung dürfen wir uns freuen. Aber damit ist es nicht genug. Es darf nicht bei dem ersten Schuß bleiben, sondern wir müssen von Hamburg weiter aus dieses Mordgesindel schießen, welches unsere Kindes- und unsere Volksseele vergiftet. (Bravo!) Fricke (Linke): Meine Herren! Es ist richtig: Der erste Schuß fiel in Hamburg, er fiel auch in bezug auf diese Hefte, die nun herausgegeben sind, um der Schundliteratur Konkurrenz zu machen. Die Hamburger Lehrer, welche die Führung auf diesem Gebiete haben, haben seinerzeit in Dortmund, vor etwa zwei Jahren, der deutschen Lehrerschaft die Idee unterbreitet, in welcher Weise man der Schundliteratur durch Konkurrenzunter nehmungen begegnen könne. Dann sind die Berliner Lehrer an dieses Werk gegangen, sind eher fertig geworden und haben die bunten Bücher herausgegeben, die Herr Pape uns jetzt vorzeigt. Die Hamburger sind später gekommen, haben in Hamburg keinen geeigneten Verleger gefunden, sondern mußten einem anderen Herrn den Verlag übertragen, der seinen Wohnsitz in Berlin hat. Mir scheint, daß es für die Tatsache selbst gleichgültig ist, wo die Bücher erscheinen, die Hauptsache ist, daß sie ihren Zweck erfüllen, und die Bücher der Deutschen Jugendbücherei, die die Oberschul behörde anschaffen will, haben ihren Zweck in ganz großartiger Weise erfüllt. Zu Zehntausenden sind sie ins Volk gegangen und haben dem Zwecke gedient, dem sie bestimmt sind. Dann ist aus dem Schoße der Bürgerschaft, wenn auch nicht offiziell, so doch privat, eine Vereinigung zur Verkeilung guter Jugendschriften entstanden. Die Fraktionen sind sich auf diesem Gebiete vollständig einig. Dem Vorstand dieser Vereinigung ge hören Mitglieder aller Fraktionen an. Wir haben uns in erster Linie vorgenommen, die Deutsche Jugendbücherei zu unterstützen, haben uns aber volle Bestimmungsfreiheit Vorbehalten, so daß wir Gelder, die uns überwiesen werden, auch zur Anschaffung anderer Bücher benutzen können. Zuerst wollen wir aber die Deutsche Jugendbücherei unterstützen und fördern, weil wir den Segen dieses Werkes erkannt haben. Meine Herren! Es sind noch viele Plätze in dieser Bereinigung zu vergeben. Leider haben sich nicht alle Mitglieder der Bürgerschaft bereit finden lassen, die Mitgliedschaft zu erwerben, aber ich bitte herzlich und dringend, unser Werk dadurch zu fördern, daß Sie den Senats antrag unverändert annehmen. (Bravo!) Krause (Sozialdemokr.): Natürlich haben auch wir den An trag des Senats mit großer Freude ausgenommen, zumal ja auf Anregung der sozialdemokratischen Fraktion das in die Beschlüsse der Bürgerschaft hineingekommen ist, was jetzt in dem Senats- antrag enthalten ist. Mit anderen Empfindungen haben wir allerdings den übrigen Teil der Senatsvorlage gelesen, vor allen Dingen den Teil, der uns Kunde davon gibt, daß der Senat im Bundesrat Anträge gestellt hat auf Abänderung der Gewerbe ordnung und Anträge stellen will bei den demnächstigen Verhand lungen über den Entwurf des neuen Strafgesetzbuches. Meine Herren! Ich bin überzeugt, daß allein durch positive Mittel die Schundliteratur nicht aus der Welt geschafft werden kann, und ich würde unter allen Umständen für alle die Prohibitivmittel ein- treten, von denen ich bestimmt weiß, daß sie nicht gegen Dinge mißbraucht werden können, die mit Schund- oder Schmutzliteratur nichts zu tun haben. Aber die Bestimmungen, die wir im Straf gesetzbuch und in der Gewerbeordnung heute schon haben, mit denen man teilweise auch diesen Dingen schon beikommen kann, werden schon jetzt von kurzsichtigen Behörden und auch Gerichten, um z. B. die sozialdemokrasche Presse und die sozialdemokratischen Vereine zu treffen, in einer durchaus unzulässigen Weise miß braucht, in einer Weise, die nicht nur nicht kulturfördernd, sondern direkt kulturhindernd ist. Zum Beispiel das Vorgehen gegen die Lehrpersonen, die Jugendabteilungen unterrichten, die Turn- und Gesangunterricht geben, wie es gerade in verschiedenen Gegenden Deutschlands der Fall ist, das zeigt, daß man sich gar nicht darum kümmert, ob der erteilte Unterricht irgend welchen Nutzen bringt und irgend welchen guten Zweck hat, sondern daß man sich lediglich davon leiten läßt: wer sind die Personen, die den Unter richt erteilen, welchem politischen Glaubensbekenntnis gehören sie an, und aus welchen Kreisen stammen diejenigen, die unterrichtet werden. Allein politische und religiöse Gesichtspunkte sind es, nach denen man dort handelt. Deshalb können wir Bestimmungen, die die schon jetzt bestehenden Bestimmungen erweitern sollen, unter keinen Umständen zustimmen. Wir bedauern, daß der Senat der artige Anträge gestellt hat und weiter stellen will. Wollte man wirklich durch Prohibitivmittel diese Dinge aus der Welt zu schaffen ver suchen, wollte man diesen Dingen beikommen, so könnte man das nur auf dem im Dezember vorigen Jahres von mir gekennzeichneten Wege, daß man die Bestimmung darüber, was Schmutz- oder 1727»