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13310 Börsenblatt f. d. Lischt Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. 257, 5. November ISIS. aus der Welt schaffen, daß man durch sie widerlegte Be hauptungen im Tone der Überlegenheit wiederholt. Göttingen. Gustav Ruprecht in Firma Vandenhoeck L Ruprecht. Schutz der Jugend gegen Schmutz- und Schundliteratur. Aus den Verhandlungen der Bürgerschaft zu Hamburg, 37. Sitzung am Mittwoch, den 26. Oktober 1910. (Nach dem stenographischen Bericht.) Präsident: Wir kommen zu Punkt 2 unserer Tagesordnung: Erwiderung und Antrag des Lenatö (Nr. 250), betreffend Schutz der Jugend gegen die Schmutz- und Schundliteratur Der Senat beantragt die Mitgenehmigung der Bürgerschaft dazu, daß 1. zur Ermöglichung der Verteilung von 38 000 Heften der DeutschenJugendbücherei unter die Schüler und Schülerinnen der städtischen Volksschulen, der Landschulen sowie der Ge werbe- und Fortbildungsschulen 2280 ausgewendet und davon 1800 in Artikel 93, 480 ^ in Artikel 98 des dies jährigen Staatsbudgets nachträglich eingestellt werden; 2. zum Erwerbe von Jugendschriften und anderen guten Büchern, welche Schülern und Schülerinnen der städtischen Volksschulen und der Landschulen zu Eigentum überwiesen werden sollen, zunächst aus die Dauer von drei Jahren je 5000 ^ bewilligt und die entsprechenden Beträge in das Budget der Oberschulbehörde für die Jahre 1910, 1911 und 1912 eingestellt werden. Die Herren Justus Pape, vr. H. v. Reiche, Otto Matthiessen Krüger, Wolfhagen, Eiffe, Dr. Engel, Wilhelm Jenssen, Kümpel, F. W. Kempff, A. Potis, vr. Wilms, I. G. Rambatz, Richard Hempel, E. W. Ehlers, Persiehl, Or. H. Bagge, Wilh. Rump, I. H. Schumacher, Jacob Alexander beantragen: im Senatsantrage Nr. 1 statt »38 000 Heste der Deutschen Jugendbücherei« zu setzen: »38 000 Hefte Jugendbücher«. Ich eröffne die Beratung. Das Wort hat Herr Pape. Pape (linkes Zentrum). Meine sehr geehrten Herren! Ich wollte zunächst meiner Freude und meinem Danke Ausdruck geben, daß der Senat sich die Anträge der Bürgerschaft in vollem Umsange zu eigen gemacht hat. Nun sind Stimmen laut ge worden, daß das doch wohl nicht viel Helsen würde, weil der Senat im Bundesrate schwerlich eine Mehrheit dasür finden würde. Ich sehe die Sache viel hoffnungsvoller an. In den Zeitungen ist jetzt berichtet worden davon, daß die deutsche Reichsregierung Schritte getan hätte, eine Vereinbarung mit der sranzösijche» Regierung herbeizusühren, um die Einführung von Schmutz literatur nach Deutschland zu verhindern. Darauf hat die Rheinisch.Westfälische Zeitung mit Datum vom 17. Oktober aus Berlin von einem Herrn ein Schreiben bekommen, in dem es ein leitend heißt, er wäre genau unterrichtet über den ganzen Ver- lauf der Unterhandlungen und auch über die letzten Schritte, die die Vereinbarung herbeigesührt hätten. In diesem Schreiben wird ausgeführt, daß die frühere Mitteilung richtig wäre, es sei nur zu bedauern, daß frühzeitig darüber etwas in die Presse gelangt wäre unter Namhaftmachung einer französischen Ver lagsfirma, gegen die eine Beschlagnahme beabsichtigt sei, weil dadurch vielleicht die Beschlagnahme verhindert werden würde. Dann heißt es in einem Satze der Zuschrift, und ich bitte den Herrn Präsidenten, diesen Satz verlesen zu dürfen: »Zwischen den Regierungen Deutschlands und Frankreichs herrscht in der Frage der Bekämpfung der Schmutzliteratur und der durch sie erfolgten teilweisen Verseuchung der Jugend die größte Übereinstimmung, und es ist daher mit Sicherheit anzunehmen, daß es beiden Ländern gelingen wird, diesem Un wesen, dar einen sehr beträchtlichen Umsang angenommen hatte, einen wirksamen Riegel vorzuschieben.« Daraus können wir schließen, daß die Reichsregierung bereit ist, Schritte zu unternehmen, dieses große Übel einzudämmen, und es ist wirklich auch die allerhöchste Zeit dazu. Wir sind in Hamburg von den Straßen den Schmutz und Schund dank dem Einschreiten der Polizei losgeworden, in den Läden sieht man ihn aber um so mehr. In der kurzen Mohlenhosstraße war früher ein Geschäft dieser Art, jetzt sind dort deren drei. Gegen die Inhaberin eines dieser Geschäfte ist in diesem Sommer eine Untersuchung eingeleitet worden wegen Verbreitung masochistischer und sadistischer Schriften. Ich wurde auch darüber vom Untersuchungsrichter vernommen und ich hoffe, daß inzwischen das Eröffnungsveifahren eingeleitet worden ist und die Geschäftsinhaberin zu einer recht scharfen Strafe ver urteilt werden wird. In der Nähe des Thalia-Theaters befindet sich eine Buch druckerei, die seit Jahren als Aushang sehr bedenkliche weibliche Figuren ständig zeigt. Vor 14 Tagen wurde ich von einem angesehenen Rechtsanwalt daraufhin angeredet, ob sich dagegen nichts machen ließe. Ich konnte erwidern, daß schon vor Jahr und Tag ein sehr ehrenwertes Mitglied dieses Hauses, welches der Fraktion der Linken angehört, mich aus dasselbe Geschäft ausmerlsam gemacht hätte, daß ich daraus Schritte bei der Polizeibehörde unternommen habe, die allerdings ergebnislos geblieben sind, weil der Schutz der Gesetze nicht ausreicht, um dagegen vorzugehen. Manche Leute gehen leider achtlos an solchen Schaustellungen vorüber, denn in derselben Druckerei, die auch im vergangenen Jahre jenes scheußliche Druckhest heraus gab, »Der kreuzfidele Bundesschütze«, dessen Inhalt ebenso dumm wie gemein war, in dieser Druckerei läßt die Hamburger Schul synode drucken, oder hat wenigstens einen Lehrplanentwurs dort brücken lassen. Ich wurde diesen Sommer aufmerksam gemacht auf ein Geschäft an den Hohen Bleichen, wo dutzendweise Ansichtspost karten im Schausenster lagen, die drei Grazien darstellen nach einem Gemälde aus dem bekannten Pariser Nacktsalon. In der Nähe befindet sich eine große Knabenschule. Dieses Geschäft nun, baß muß ich rühmlich anerkennen, hat auf meine Vorstellung hin diese Ansichtspostkarten sofort aus dem Schaufenster zurück gezogen, aber überall, an vielen Orten, wurde dutzendweise die selbe Ansichtspostkarte ausgestellt. Es waren sehr graziöse weib liche Gestalten, das gebe ich zu. (Heiterkeit.) Lachen Sie doch nicht, meine Herren, Ihnen tut das nichts, aber unserer Jugend tut es in der Tat etwas. (Unruhe.) Ich kann unmöglich in alle Geschäfte lausen und veranlassen, daß diese Sachen aus dem Fenster genommen werden. Ich wandte mich deshalb an den Staatsanwalt in Dresden, wo diese Postkarte fabriziert wird. Die Antwort des Staatsanwalts aber lautete dahin, er müsse ein Einschreiten aus Grund von z 184a des Strafgesetzbuches ab lehnen, denn es könnte nicht bewiesen weiden, daß der Fabrikant oiese Postkarte hergestellt hätte, damit sie Kindern unter 16 Jahren seilgeboten oder an sie verlaust würde. Ich erkenne darin einen Mangel unserer Gesetzgebung, dem abgehoben werden muß. (Sehr richtig!) Meine Herren! Anderswo ist es mindestens ebenso schlimm. Der sehr verdiente Professor Or. Brunner, einer der namhaftesten Vorkämpfer in diesem Kampfe, gibt jetzt eine Zeit schrift heraus, die heißt »Die Hochwacht«, eine Zeitung gegen Schmutz und Schund, die ich sehr empfehlen kann. Darin steht abgedruckt der Notschrei einer deutschen Frau — es sind nur wenige Sätze, die ich bitte daraus verlesen zu dürfen —: Der Vorgang spielte sich vor dem Schaufenster eines Papierladens ab. Die Handelnden waren eine Schar Kinder, die aus der naheliegenden Gemeindeschule an das Schausenster stürzten, und zwei Frauen. Die eine der Frauen im Straßen- kostüm der Dame, die andere im Arbeitskleid der Frau aus dem Volke. Beide sahen mit Entsetzen in den Augen den Kindern zu, deren leidenschaftliche Neugier dem Schaufenster galt. Denn in dem Schausenster des Papier ladens war ein Blatt ausgehängt, dessen aus dem Geschlechts leben entnommenen Inhalt ich kaum andeuten kann. Immer gieriger, aufgeregter leuchteten die Augen der Zwölf- bis Vierzehnjährigen, immer fataler wurde der Ausdruck der jungen Gesichter. Da trat die Frau im Arbeilskleid aus die andere Frau zu, legte die Hand auf deren Arm und sagte: »Müssen wir es denn leiden, daß unsere Kinder so vergiftet werden?« Das ist der Notschrei einer Mutter. Die Dame hatte mit mir