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Nichtamtlicher Teil. Leipziger Briefe. m. Die Leipziger Frühjahrs-Engrosmesse liegt hinter uns, nnd Mir teilen gern die Freude und Genugtuung darüber, daß sie nicht nur gut, sondern auch weit zahlreicher besucht und beschickt war, als in früheren Jahren. Derjenige, der das Bild unseres Stadtinneren in dieser Zeit noch nicht gesehen hat, kann sich gar leinen Begriff bon der Vielgestaltigkeit und Buntheit des Lebens machen, das in dieser Zeit in den Straßen und in den für die Messe in Betracht kommenden Gebäuden herrscht. Das Straßenbild hat sich vollständig verwandelt; aus allen Fenstern bis hinauf in die obersten Stockwerke strecke» sich tausend Armen gleich die Firmen- und Reklame schilder heraus, eins immer bunter und auffallender als das andere; das Leben auf den Straßen flutet und wogt den gan zen Tag, Hotels und Wirtshäuser sind überfüllt, und bis in die Bororie hinein erstreck! sich der Einfluß dieses lebhaften Treibens, das so überaus charakteristisch ist für unsere Stadt in den Zeiten der Messe. Wir lassen uns daher die Gelegenheit einer Metzbummels nicht entgehen und können uns dabei des Eindrucks nicht erwehren, daß das Leben und Treiben nicht viel anders aussieht als anderswo der Karneval; nur mit dem Unterschiede, daß alle Veranstaltungen nicht der Freude und Lust der im Taumel befindlichen Menschheit, sondern den ern sten Zwecken des Geschäfts dienen. Da naht sich langsamen, feierlichen Schrittes eine sonderbare Prozession. Reklame schilder und Gegenstände in den bizarrsten Formen werden an uns vorübergetragen und gefahren; jedes Mittel scheint er laubt, um die Augen der Passanten aus sich zu ziehen. Wir staunen oftmals über die Reklamesormen der Amerikaner: hier erscheinen sie vielfach amerikanischer als amerikanisch. Auch der Buchhändler kann hier allerlei sehen und man cherlei lernen. Kaum au einem andern Orte dürste er z. B. die Grenzgebiete seines Berufes so genau studieren können, wie aus einem Rundgang durch die Papiermesse. Die vielen Buchhändler, namentlich diejenigen aus mittleren und kleine ren Städten, die ohne Nebenartikel nicht existieren können, machen hier zum Teil ihre Einkäufe und wissen die sich ihnen bietenden Möglichkeiten der Warenvergleichung zu schätzen. Auch ein Teil des Verlages ist unter den Produzenten ver treten. Das Angebot erstreckt sich nicht nur, wie man meinen sollte, auf Jugendschrifieu, Bilderbücher und populäre Litera tur, sondern auch auf Klassiker und Romane. Die Verleger kommen aber nicht wegen der Konsumenten innerhalb ihres eigenen Berufs nach Leipzig, sondern suchen ihre Abnehmer in den Kreisen der Papier- und Schreibwarenhändlec. Die auf der Papiermesse gehandelten Bücher haben fast sämtlich den einheitlichen Zuschnitt des Massenbuches. Sie sind ihres in dividuellen Charakters entkleidet und zur GaitungSware her abgesunken. Wenn einerseits der Buchhändler das Recht für sich in Anspruch nimmt, alz Nebenartikel Schreibwaren zu führen, so liegt kein Grund vor, dem Schreibwarenhändler den Verkauf einer Gattung von Büchern zu verargen, die an sein und seiner Abnehmer literarisches Verständnis keine hohen Anforderungen stellen. Eine scharfe Grenze zwischen Buch- und Schreibwarenhandel ist wohl niemals gezogen wor den und wird auch kaum jemals gezogen werden köimen. Die ses Jneinandergreisen Verwandler Handelszweige ist eine all gemeine Erscheinung im Geschäftsleben überhaupt. Sie findet ihr Gegengewicht in der Spezialisierung, sobald der Boden dafür günstg ist und diese Art des Betriebes rationeller er scheint. Es wirkt in der Zeit der absoluten Gewerbefreiheit nicht gut, wenn man verlangt, daß einem jeden das Seine zu- salle. Das Geheimnis des Erfolges liegt weit ab bon diesem sentimentalen Satze. Ein jeder tue das Seine! Das ist ein kaufmännisch Wort. Und wirklich hat ein jeder in seinem Wirkungskreise genug zu tun, daß er nicht seine vornehmste Beschäftigung darin er blicken müßte, dem Nachbar auf die Finger zu sehen, wenn er an Stelle der Schreibhefte Lesebücher und Fibeln, an Stelle der Notizbücher einmal einen Klassiker von Oestergaard oder einen Roman von Paalzow L Co. verkauft. Er wird das weder ändem, noch verhindern können. Es bleiben ihm dabei genug Mittel und Wege übrig, das Publikum zu über zeugen, daß er und nicht ein anderer der Buchhändler am Platze ist. Die Zeilen, in denen das Schaufenster die alleinige werbende Krasl war und der Sortimenter hinter dem Laden lische die Kunden erwartete, sind vorüber. Die werbenden Faktoren haben sich beträchtlich erweitert und verändert, ebenso wie die Vorbedingungen bei Geschäftsgründungen, bei denen heute ein größeres Betriebskapital unerläßlich ist. Der Beruf erfordert eine viel größere geistige und körperliche Regsamkeit, wenn alle Möglichkeiten erschöpft werden sollen, das Geschäft ertragreich zu gestatten. Dort, wo sich wissenschaftliche Bil dung mit kaufmännischem Sinn vereinigt und wo die uner läßlichen Barmittel nur einigermaßen Spielraum für kluge und zielbewußte Propaganda gewähren, wo auch die Per sönlichkeit des Buchhändlers mitspricht, dort kann es meines Erachtens auch heute nicht fehlen, wenn der betreffende Ort sich überhaupt als Nährboden für Buchhändler qualifi ziert und diese sich nicht durch widernatürliche Anhäufung selbst zerfleischen. Auf die Vorbildung unseres Nachwuchses kommt es da bei heute mehr als jemals an. Wir machen aber die Erfah rung, daß die Voraussetzungen immer geringer werden, die inan an die Vorbildung der Lehrlinge stellt, und zwar fast in dem Maße, als die Anforderungen der Zeit steigen, die von dein Buchhändler ein ständig sich erweiterndes Wissen und eine umfassende Allgemeinbildung verlangen. Der Jungbuch handel hat während der Ausbildungszeit und in den Gehilfen jahren meist sehr viel, stets aber mehr als der Angehörige eines anderen Berufes nachzulernen, und wohl ihm, wenn ihm dazu so reichlich Gelegenheit gegeben wird, wie hier in Leipzig. Ich habe bereits früher schon auf diese Gelegenheit hingewiesen und kann mich heute auf das beschränken, was die letzte Zeit in dieser Hinsicht gebracht hat. Der Vortragszyklus des Buchgewerbevereins über die Schrift, dessen Schauplatz die stimmungsvolle Gutenberghalle des Buchgewerbehauses war, ist in rascher Reihenfolge fort gesetzt und beendigt worden. Am 15. Februar sprach Herr vr. Schinnerer, Museumsdirektor des Buchgewerbevereins, über den Werdegang unserer Schrift. Damit wurde der vor wiegend historische Teil der Vorträge zum Abschluß gebracht. Herr Lorenz Reinhard Spitzcnpseil aus Kulmbach verbreitete sich am 22. Februar über die Grundformen unserer Schrift und verstand es sehr gut, die Verwandschaften und Grund formen der Buchstaben nachzuweisen und zu erläutern. Das meiste Interesse wurde aber dem Vorträge Rudolf von La- rischs aus Wien entgegengebracht, der am 29. Februar über den Schreibunterricht und die Entwickelung der künstlerischen Schrift sprach. Die Erwartungen, die man hegte, wurden aber auch in vollem Maße erfüllt. Herr von Larisch erwies sich nicht nur als Beherrscher seines Stoffgebietes, sondern auch als fesselnder, temperamentvoller Redner. Der Schrift künstler bildet in dieser Persönlichkeit eine glückliche Vereini gung mit dem Schriftpädagogen. Eine Reihe neuzeitlicher Schriften rührt von den in Larischs Schule herangebildeien Künstlern her, z. B. die heute oft angewendete Kochschrift. An haltender spontaner Beifall, wie ich ihn selten bei einer sol«