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V 284. 12. November 1S12. . Nichtamtlicher Teil. -iSU-nb-att k. b DU«» kuckbond-- 14207 Nichtamtlicher Teil. Streik im Leipziger Buchhandel. Noch vor zwei Jahrzehnten würde die Kunde, daß im Leipziger Kommissionsbuchhandel ein Streik ausgebrochen sei. einem ungläubigen Lächeln begegnet sein. Der konservative Charakter des Leipziger Buchhandels schien eine derartige Möglichkeit ebenso auszuschließen wie das patriarchalische, aus gegenseitiges Vertrauen gestellte Verhältnis zwischen Arbeit geber und Arbeitnehmer. Der Leipziger Buchhandlungsmarkt- helser hielt etwas auf sich und mehr noch aus »seine« Firma, der er oft in jahrzehntelanger Arbeit angehörte, und deren Name im Verkehr mit anderen sein Name, deren Ehre seine Ehre war. Viele dieser alten Markthelfer standen zu den jungen und alten Chefs in viel engeren persönlichen Bezieh ungen als Gehilfen oder selbst Prokuristen, und sich die Gunst eines solchen alten Faktotums zu verscherzen, war für das Wohl und Wehe eines jungen Gehilfen von einschneidenderer Bedeutung als seine Leistungsfähigkeit. Wer sich mit ihnen nicht zu stellen wußte, konnte sein Bündel schnüren und sich ein anderes Feld für seine Tätigkeit suchen: der Chef hätte ihn trotz aller Tüchtigkeit ruhig,ziehen lassen und sich nach einem anderen umgetan, ohne den Gedanken einer Trennung von seinem alten Markthclfer überhaupt in Erwägung zu ziehen. Dafür wußte er aber auch, was er an ihm hatte, und gab so Treue um Treue. Bis auf wenige Ausnahmen hat sich dieses Verhältnis in den letzten Jahren gründlich gewandelt. Seit die Ratten fängerweise der Sozialdemokratie auch in den Buchhandel hineingeklungen ist, und sich die »Organisation« wie eine dunkle Wolke zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ge schoben hat, so daß man die Physiognomien der Einzelpersonen nicht mehr erkennt, ist ein anderer Geist in den Buchhandel eingezogen. Während früher der Wahlspruch: Alles fürs Ge schäft lautete, und jeder der Stimme der eigenen Vernunft Gehör gab, gilt heute der erste Gedanke der Partei, dem, was die Organisation für richtig hält. Es wäre unrecht, die Schuld an dieser Wandlung nur auf der einen Seite zu suchen und den anderen Teil von jeder Verantwortung freizusprechen. Im Wesen unserer Zeit liegt die Konzentration, die Zusammenfassung des Kapitals, wie sie in den Großbetrieben ihren Ausdruck findet. Dieser kapitalistische Zusammenschluß führte naturgemäß zu einem Zusammenschluß der Arbeitskräfte, und es ist nicht rein zu fällig, sondern in der Natur der Großbetriebe und der von ihnen begünstigten Mechanisierung der Arbeit begründet, daß diese Betriebe die eigentlichen Entstehungsherde der Arbeiter organisationen sind. Die Gemeinsamkeit der Lebens- und Arbeitsverhältnisse, die Möglichkeit der Arbeitsgenossen, sich untereinander rasch zu verständigen, die Entpersönlichung der Arbeit wie der Beziehungen zwischen Geschäftsleitung und Angestellten geben den denkbar günstigsten Boden für eine Zu sammenfassung und Vertretung gleichartiger bzw. Verwandler Interessen ab. So viel der Einzelne im Rahmen kleiner und mittlerer Geschäfte bedeutet, so wenig gilt er im Großbetrieb, so daß es nur natürlich ist, wenn er sich dort nach Bundes genossen umsteht, mit denen ihn die gleiche Lage, das gleiche wirtschaftliche Interesse verbinden. Diese Tatsachen werden durch die Verhältnisse im Buchhandel nach jeder Richtung hin bestätigt: in demselben Maße, in dem sich die Organisation der Großbetriebe vollzog, beschleunigte sie die Organisation der Arbeitskräfte. Seit fast einem Jahrzehnt ist das Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Markthclfern und Burschen im Buchhandel auf die Basis der Tarifverträge gestellt worden, die zwischen dem Buchhändler-Hilfsverband als Arbeitgeberorganisation einerseits und der im Transportarbeiter-Verband zusammen geschlossenen Arbeiterschaft andererseits aus eine Reihe von Jahren abgeschlossen wurden. Anstelle von Individual- verträgen sind also M a s s e n Verträge getreten, die die Rechte und Pflichten der vertragschließenden Parteien gegeneinander für eine bestimmte Zeitdauer genau festsetzcn, und deren Vor teile für beide Teile so lange nicht zu bestreiten sind, als dadurch die Gewähr ruhiger Entwicklung eines Berufs ge boten wird. Sie haben vor Einzelverträgen auch weiter den Vorzug, daß durch diese tariflichen Abmachungen von Orga nisation zu Organisation die Möglichkeit besieht, Streitig keiten auf schiedsrichterlichem Wege schon im Keime zu er sticken und die bestehenden Interessengegensätze in klarer, prä ziser Weise, losgelöst von allem Kleinkram, zum Ausdruck zu bringen. Voraussetzung für ihr Zustandekommen ist natür lich, daß sie sowohl den Schwankungen des Wirtschaftslebens, unter Berücksichtigung der Kaufkraft des Geldes, als auch den besonderen Verhältnissen eines Berufs während der Vcr« tragsdauer Rechnung tragen und eine Treueverpflichtung auf beiden Seiten die Einhaltung der getroffenen Abmachungen verbürgt. Will also der einzelne Arbeiter selbst nicht mehr sein als ein Teil der Masse, so wäre gegen den Tarifvertrag nichts einzuwenden, sobald dadurch der Zweck der Sicherung auf beiden Seiten erreicht wird. Daß der intelligente Arbeiter gegenüber dem minder intelligenten, der sleitzige gegenüber dem trägen dadurch benachteiligt und auf das Niveau der Masse herabgedrückt wird, ist freilich nicht aus der Welt zu schaffen und eine leidige Konsequenz dieser Verträge. Sieht man von diesen nicht zu leugnenden Nachteilen der alles nivellierenden Tarifverträge ab und faßt ihre geschieht- liche Entwicklung ins Auge, so wird man zugeben müssen, daß sie nach Entstehung und Tendenz als ein Instrument des Friedens gedacht sind, bestimmt, schwere wirtschaftliche Kämpfe zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf dem Wege friedlicher Vereinbarung zu vermeiden oder aus der Welt zu schaffen. Das hat den Gesetzgeber zur Schaffung des 8 152 der Gewerbeordnung bestimmt, in dem die Aufhebung aller Verbote und Strafbestimmungen gegen Gewerbetreibende, ge werbliche Gehilfen, Gesellen oder Fabrikarbeiter wegen Ver abredungen und Vereinigungen zum Behuf der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen ausgesprochen und so die Voraussetzung für die Erlangung von Tarifverträgen ge schaffen wird. Wenn aber jeder neue Abschluß eines Tarif vertrags seitens der Arbeiterschaft dazu benutzt wird, um unerfüllbare Forderungen durchzudrücken, so wird man den Arbeitgebern nicht verdenken können, wenn sie gegen dieses »Friedensinstrument« mißtrauisch werden, besonders wenn es von Leuten gchandhabt wird, die, wie die Führer im Trans portarbeiter-Verband, die Verhältnisse im Buchhandel gar nicht kennen und nur Forderungen stellen, ohne sich zu fragen, ob ihre Durchführung auch möglich ist. Denn weder Kom missionsgeschäft noch Barsortiment sind monopolistische Pro- duktionsgeschäste, die, wie diese, die Spesen auf die Konsu menten abwälzen können. Vielmehr bedeutet jede Erhöhung des Spescnkontos eine ernste Gefahr für den Leipziger Play, und zwar gerade jetzt, wo die Angestellten-Versicherung vor der Tür steht und erhebliche Opfer von der Geschäftswelt fordert Man kann es daher im Interesse der Allgemeinheit nur als den einzig richtigen Ausweg bezeichnen, daß die im Buchhändler- Hilfsverband organisierten Kommissionsgeschäfte lieber die Folgen eines Streiks auf sich nehmen, als sich noch länger dem Terrorismus der »Genossen« aussetzen wollen. Daß es an Entgegenkommen seitens der Kommissions geschäfte nicht gefehlt hat, geht daraus hervor, daß, abgesehen von den niedrigsten Lohnklassen, eine Erhöhung 1847»