Volltext Seite (XML)
Redaktioneller Teil. ^ 237, 11. Oktober 1916. Bretzner, quouänln Zehetmayer, in der oberen BLckerstraße, beini alten Regeusburgerhof. Dieser Laden bestand nur aus einem einzigen finsteren Gemach (eher »Geloch«), das sehr eng und niedrig war. Statt des Luxus einer Öllampe begnügte sich Herr Matthias mit einer Talgkerze, die einträchtig neben dem ebenso wohlriechenden Kleistertopf auf der stets mit Büchern überladenen »Ladenbudel«, einem starken Brett zum Aufklappen, stand. Dieses Brett, unter dem man auch durchschlüpsen konnte, schied den Kampfplatz in zwei ungleiche Hälfte». Vor ihm stand ich, hinter ihm der stets unwirsche und meistens aggres sive Feind. Wie grotesk der gute Herr Matthias aussah! Zu mal im Winter, wenn ihn mangels eines Ofens in dem dafür zu engen Lokal fror, bot er einen ergötzlichen Anblick. In einer dicken, wollenen, mehrmals umgewickelten Halsboa, mit dem auf- geschlagenen Rockkragen, einer Pudelmütze und bis an die Finger spitzen reichenden Pulswärmern, glich er fast einem angehenden Nordpolfahrer. Meine scharfsinnigen Argumente über den Wert eines ihm angebotenen Buches, das er mir vor kaum acht Tagen als etwas besonderes Gutes verkauft hatte, schlug er glattweg in den Wind: es war auf einmal völlig wertlos. Durch Erfah rung klug geworden, vermied ich es tunlichst, ihn im Winter zu besuchen; zur schönen Sommerszeit, bei der dann offenen Tür, durch die die lauen Lüfte der engen, uralten »Peckhenstraße« zo gen, war er zugänglicher, zumal da er dann auch die schwere Pelz mütze entbehren konnte, was auf sein verknöchertes Gemüt einen besänftigenden Einfluß zu haben schien . . . Ach, es ist frevel haft, über so bieder« Leute, die längst zu Staub geworden sind (auch die Würmer müssen an so einem alten Bücherwurm eine besondere Freude haben), so leichtfertiges Zeug zu schreiben. Aber sie haben mich und meine Studienkollegen weidlich geärgert und verdienen alles andere eher als ein freundliches Andenken. Da war noch ei» kleines Antiquariat in der Bäckerstratze, unten bei der alten Universität, einem Herrn IosefMahlge hörend, gegen den ich jahrelang einen tiefen Groll hegte. Ich hatte mir die bei Georg Wigand erschienenen Abbildungen der Deutschen Kaiser im Römersaal gekauft, natürlich schwarz, da sie koloriert für meine Kasse unerschwinglich waren. Mit vielem Fleiß hatte ich sie nach einem entlehnten kolorierten Exemplar ausgemalt und war nicht wenig stolz auf meine Leistung. Eines Tages aber brauchte ich Geld für andere Bücher und ging zu Herrn Mahl, am Vormittag, wo ich ihn im Laden wußte, denn nachmittags Pflegte er in einem nahen Kasfeehause Billard zu spielen, während seine Gemahlin, ein immer strickender Schön geist, dem Geschäft Vorstand. Herr Mahl bot mir für meine Kaisergalerie einen wahren Spottpreis: das Ding sei schwer zu verkaufen, höchstens an einen Liebhaber usw. Ich nahm an und ging. Wie groß war aber meine Entrüstung, als ich nach ein paar Tagen mein Album in seinem Schaufenster erblickte, halb geöffnet, oben einen anpreisenden Zettel: »Mit 50 prächtigen, handkolorterten Bildnissen, nur 2 sl.« — ungefähr das Sechsfache dessen, was er mir für das »wettlose Ding« gegeben hatte. Auf das hin entzog ich Herrn Mahl meine Kundschaft für immer. Die Physisch markanteste Persönlichkeit unter den Anti quaren war Johann Schratt, ein breitschultriger Mann mit struppigem Haar und langem Bart, dem man Riesenkräfte nachsagte. Er sah aus wie der wilde Mann im Wappen, aber ohne die Keule. Als Spezialität führte er schwere Theologie und Kirchenväter; sein Laden in der Grünangergasse war ange füllt mit Folianten, in Schweinsleder gebunden. War die Tür verschlossen, so gingen Eingeweihte hinüber zum »Grünen An ker«, wo er bisweilen den Wein zu kosten Pflegte. Ansonsten ein gelehrter und höchst respektabler Herr. Einer seiner Söhne hatte bei Edwin Troß in Paris gelernt und verstand sich mei- sterhaft auf das Ausbcssern und Ergänzen wertvoller alter Bü cher, Pergamente und Kupferstiche. Von den wenigen anderen Antiquaren aus jener Zeit find mir noch erinnerlich: Ignaz Klang in der Dorotheergasse, der die deutschen Klassiker nachdruckte, in recht hübschen Ausgaben, die 1861 bei seinem Konkurs nach dem Gewicht verkauft wurden; ferner Carl (vorm. Markus) Greif und Schaumburg, alte renommierte Geschäfte in der Wollzeile; die Wallis- 1290 hausser 'sche Buchhandlung (Josef Klemm) am Hohen Markt und endlich Carl Helf (vorm. Rudolf Sommer). der sein Antiquariat in einer Kasematte des alten Kärnthnertors hatte. Bei ihm kaufte ich, kaum zwölfjährig, den Don Quixote in der Soltauschen Übersetzung in fünf Bänden, ein Sammerscher Aus lagerest, für einen Gulden, und las das Buch mit Hochgenuß vom Ansang bis zum Ende. Seit den hier skizzenhaft geschilderten Verhältnissen von da mals haben sich im Wiener Buch- und Anttquarhandel ein greifende Veränderungen vollzogen. Nach dem Adreßbuch gibt es heutzutage in Wien insgesamt ungefähr 140 derartige Ge schäfte. Wien hat längst aufgehört, Grillparzers »Capna der Geister« von anno 1843 zu sein. Vivat, vrsseat, kloreat! Ausstellung alter und neuer Buchkunst bei Lipsius L Tischer in Kiel, Mat—Oktober >916. Kaicrlog enthaltend 304 Nummern. 46 S. Eine kleine, intime »Bugra« ist es, dnrch die uns der von der O. Spamerschen Bnchdruckcrei in Leipzig reizend ausgestattete Katalog führt. Ausgehend von dem Gedanken, daß auch in schweren Kriegs zeiten deutsche Tatkraft, deutscher Unternehmungsgeist und deutscher Idealismus nicht ruhen dürfen, hat die Firnra Lipsius L Tischer ein Werk geschaffen, das die Bewunderung vieler Tausende von Be suchern in reichem Maße gefunden hat und noch dauernd findet. Der Grundgedanke dieser Ausstellung, die keineswegs eine ge wöhnliche Verkaufsausstellung ist, war wohl der, anregend auf den Geschmack der Beschauer zu wirken und ihnen die Entwicklung der Buch kunst, soweit dies aus eigenen Beständen und durch Mitwirkung einiger befreundeter Firmen sich ermöglichen ließ, vor Augen zu führen. Die Ausstellung ist in drei durchgehenden, vom übrigen Betrieb aber ab geschlossenen Räumen mit Unterstützung eines namhaften Künstlers aufgebaut und geschmackvoll angeordnet worden. Im ersten Raume ist die alte Buchkunst in chronologischer Reihenfolge untergebracht. Einige Proben von Runen, dann eine umfangreiche Predigthand schrift auf Pergament (um 1300) eröffnen die Reihe; dann führen Inkunabeln, farbige Miniaturen, Drucke des 16.—19. Jahrhunderts, Holzschnitt- und Kupferstichwerke in ausgewählten Proben bis zu den »Prachtwerken« der letzten Jahrhundertwende. Nur einige Namen aus dieser interessanten Sammlung: Boethius 1486; Thomas a Kem- pis, deutsch, 1498; Homer, 06^8863, latein., 1510; Eusebius, Chronicon, 1512; Baccius, cke uaturali vinorum tÜ8toria, 1596; Dietterlin, tsotura, 1598; Hortleder, Römische Kaiser, 1645; Danckwerth, Lanbes- beschrelbung von Schleswig-Holstein, 1652; Leupold, l'üeatrum maetii- narum 9 Bde. 1724; Bertnch. Bilderbuch, 1796; Goethe, Faust, 1808, in köstlichem Lederband; Nibelungenlied von Marbach, 1840 usw. An den Wänden hängen japanische Farbenholzschnitte von Harunobu, Hokusai u. a., ein Origninal-Abdruck von Schwerdgeburths Goethebildnis, Initialen, Stiche von Goya usw. Auf schöne Einbände ist besonderer Wert gelegt worden. Im zweiten und dritten Raum ist der ganze Reichtum der neuen Buchkunst ausgebreitet. Nach Verlegern in Gruppen geordnet, macht dieser Teil einen ungemein reichhaltigen Eindruck; die vielfarbigen Ganzleberbände der Luxusausgaben mit ihrem Goldschmuck blenden beinahe. Ausgestellt sind die schönsten und besten Werke aus den Verlagen von F. Bruckmann A.-G. in München, Bruno Cassircr in Berlin, Delphin-Verlag in München, Eugen Diederichs in Jena, Gg. W. Dietrich in München, Einhorn-Verlag in Dachau, Karl W. Hierse- mann in Leipzig, Alfred Janssen in Hamburg, Insel-Verlag in Leipzig, G. Kiepenheuer in Weimar, Albert Langen in München, Georg Müller in München, L. Staackmann in Leipzig, Hans von Weber in München u. a. (nahezu 200 Nummern insgesamt). Dazu kommt noch eine Reihe von Drucken der Oxforder Doves-Press (Faust usw.) aus dem persönlichen Besitz des Herrn Eugen Diederichs, ferner eine Anzahl Hundertdrucke aus der Privatbttcherei des Herrn von Weber-München. Auf einem besonderen Pulte ruht die prächtige Faksimile-Ausgabe der 42zeiligen Gutenberg-Bibel des Insel-Verlags. Der knappe Raum gestattet leider kein näheres Eingehen auf diese erlesene Schau. Eine »tapfere Pionierarbeit einer deutschen Buchhandlung« nennt Hans von Weber dieses Unternehmen im »Zwiebelfisch« (1916 Heft 6); wir glauben, er hat damit nicht zuviel gesagt. Möge, abgesehen von dem materiellen Lohn, eine nachhaltige Wirkung nicht ansbleiben! R.