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di- L-!I-^ SM." L Nr. 237. Letvzig, Mittwoch den 11. Oktober 191». 83. Jahrgang. Redaktioneller Teil. Wiener Antiquare vor fünfzig Jahren. Nach persönlichen Erinnerungen geschildert von einem aus gedienten Buchhändler.*) Man hat von Menschen gelesen, die schon von frühester Ju gend an ihren künftigen Berns gewählt und trotz elterlicher Ein sprache und anderer Hindernisse hartnäckig daran festgchalten haben. Das sind solche, die es auch darin zu etwas gebracht haben, von denen man spricht: die andern sind eben vergessen worden. Der Schreiber dieser Erinnerungen gehört zu den er ster«!. Wenn er auch nicht die besonderen Eigenschaften des merk würdigen Mannes besaß, der, ohne Hände geboren, dennoch ein berühmter Maler wurde,**) so hatte er doch mit mancherlei Miß geschick zu kämpfen, bevor es ihm gelang, sein Ziel, Buchhändler zu werden, zu erreichen. Wie man sogleich erfahren wird. In Wien geboren und früh verwaist, verblieb ich unter der Obhut eines sporadisch auftauchenden Vormunds und meiner Großmutter, die aus Florenz stammte. Sie brachte mir früh zeitig ihre wöhlklingendc Muttersprache und eine ausgesprochene Vorliebe für Italien bei, was in der Folge auf meinen ganzen Werdegang einen entscheidenden Einfluß ausllben sollte. Als ich 1867 von Herrn Hermann Loefcher, dem mit Recht hochgeschätzten Vertreter des deutschen Buchhandels in Turin, Florenz und Rom (st 1892), in sein Florenzer Geschäft ausge nommen wurde und fast fünf Jahre dort verblieb, betrachtete ich gern auf meinen Wanderungen durch die ältesten Teile der Arnostadt die uralten und doch traulich anmutcnden kleinen Häuschen mit den winzigen Ballonen und grübelte nach, in welchem von ihnen Wohl meine Nonna das Licht der Welt er blickt haben mochte. Aber die altersgrauen, seitdem längst ab getragenen Halbruinen blieben mir die Antwort schuldig: sie wußten eben nichts mehr von ihr. Seit ich lesen gelernt hatte, nahm ich an allem, was gedruckt war, den lebhaftesten Anteil und verschlang, was mir in die Hände kam: Bücher, Zeitungen und sogar Theaterzettel. Ganz besonders zogen mich die Bücherläden an; der ihnen anhaftende, eigentümliche Geruch dünkte mir köstlicher als Wethrauchduft nnd Myrrhe. Und wenn mich jemand fragte, was ich denn einmal werden wolle, so antwortete ich ohne Besinnen: »a Buchhändler«, den Entschluß mit aufgehobenem Zeigefinger bekräftigend. Aber die Sache halte einen Haken. Das fand ich heraus, als ich meine Klassen absolviert hatte und als Fünfzehnjähriger irgend wo untergebracht werden sollte. Denn mit dem »Buchhändler werden« sah es vor 56 Jahren in Wien ziemlich trostlos aus. Erstens gab cs überhaupt nicht viele Buchhandlungen, die alle »in der Stadt«, dem heutigen I. Bezirk, waren***), und zweitens befaßten sich nur zwei davon (Tendler am Graben und Sallmayer in der Kärnthnerstraße) mit der Ausbildung von Lehrlingen, *) Von demselben Verfasser erschien lm Börsenblatt, Iahra. 18M, Nr. 151-186, ein Anssab über den bekannte» Pariser Buchhändler und Bibliographen Otto Lorenz ans Leipzig (1832—KM). **> Adam Siepen, geb. 1851; lebt in Düsseldorf. ***> In den 34Vorftädten sorgten die Buchbinder mit Schulbüchern, Kalendern nnd billiger Volksliteratur siir den geistigen Bedarf. Erst 1881 entstand die erste Buchhandlung lHerzfcld dl Bauer) in der Leopoldstadt. »Praktikanten« genannt. Da war guter Rat teuer. Auch stammten fast alle Gehilfen »aus dem Reich«. Dennoch hielt ich allen Vorschlägen sowohl meiner Oberhäupter als auch anderer dienst beflissener Ratgeber betreffs eines passenden Berufs tapfer stand. Und endlich — es war die höchste Zeit — wurde eine der Praktikantenstellcn frei. Ich bewarb mich sofort darum. ^ Im Besitz guter Realschulzeugnisse und geläufig französisch und ! italienisch sprechend, erlaubte ich mir hervorzuheben, daß mir Webers Demokritos, sowie zahlreiche Verlcgerfirmen Deutschlands > gut bekannt seien, und daraufhin wurde ich ausgenommen. »Wenn ! er sich qualifiziert«, sagte mein künftiger Prinzipal, Herr ! A d o lf S a l lm a y e r, »ist die Lehrzeit drei Jahre, andernfalls ! vier«. Und ohne jegliche Entlohnung. Ein unerwartetes Weih- ; nachtsgeschenk »für besonders gute Aufführung« im ersten Jahre ! verschaffte mir den Genuß der dreibändigen Literaturgeschichte ; von H. Kurz, die ich bei Knppitsch antiquarisch erwarb. Auch ; dauerte die Lehrzeit nur drei Jahre, zumal da ich während des ! dritten einen ausgetretenen Gehilfen ersetzt hatte. ; Doch ich wollte ja von den Antiquaren der damaligen Zeit ! berichten und bitte wegen der Entfernung vom Ziel um Ent- l schnldlgung. ; Eins der angesehensten derartigen Geschäfte war die er- z wähnte Firma Matthäus Knppitsch sel. Witwe auf i dem Franziskanerplatz, im ersten Stock eines vornehmen alten , Hauses. Dort lagen reiche Bücherschätze in einer Reihe von : Räumlichkeiten, die mir wie Tempel der Weisheit borkamen. ! Als Geschäftsführer funktionierte seit vielen Jahren der biedere ! Herr A n d r c a s K u g l e r aus Innsbruck, ein origineller Kauz, aber wohlerfahren im Handwerk und den Ruf eines ausgezeich neten Viennensia-Kenners genießend. In diese heiligen Räume getraute ich mich nur selten einzudringen, zumal da mein sehr bescheidenes Taschengeld nicht ausgereicht hätte, um dort als eine Kaufkraft angesehen zu werden. Desto mehr trieb ich mich, lange bevor ich zum Buchhandel kam, bei den kleineren Antiquaren herum, deren Schrecken zu werden ich bald die zweifelhafte Ehre hatte. Ich mußte nämlich, um bei meinen kargen Geldmitteln meine unbändige Lesepassion in Ermangelung billiger Leihbibliotheken bcsliedrigen zu können, die gelesenen Bücher immer wieder umzn- tauschen versuchen. Das verdroß aber die grämlichen Herren. Mit scheelen Blicken sahen sie mich hereinkommen, waren sehr wortkarg und blätterten in meinen »wertvollen Sachen« herum, mit geringschätzig hervorgeschobencr Unterlippe, dem Kennzeichen alter Antiquare, ein sehr geringes Angebot machend oder häufig genug ganz ablehnend. Da war ein Herr Johann Bretzner in der Essiggasse, schon hübsch bei Jahren nnd mit einer essig sauren Miene. Manch harte» Strauß habe ich mit ihm ausge-' fochten, und mein Sieg war nicht selten getrübt durch den Ge danken, daß Herr B., »des langen .Haders müde«, nur deshalb > nochgegeben nnd »seinen harten Sinn erweicht« habe, um mich i endlich loszuwerdcn. Doch das konnte m i ch nicht abfchrecken. j Bretzners Laden, den man nach Erklettern von einigen hohen Holzstufen erreichte, war sehr niedrig, aber geräumig; er umfaßte mehrere auch tagsüber durch Öllampen schwach erhellte Lokali täten. Gas war damals seilen nnd teuer. Weniger komfortabel war die Bude seines jüngeren, aber jauch schon recht altbacken aussehendsn Bruders Matthias 1289