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Nr. 148. » Lklcheint^weretäglich. Fü^Mit^lisder ^des DSrieavereinS ^ Die ganze Seite umfapt 360viergejpalt. -petitzeilen. die Seile «jährlich frei Gejchäftsftelleod^ ZSMarS ftü ^ erweifun g ^ S. 17 M. statt 13 Dt. StÄen^efuch'e werden m^O Pf. pro r I?hrttch?^N>E^ 2S am, V °s^0 W.^ Ivr RMMmö^ÄrstMerUMerSeU^enB^NW^r^uÄkMä Leipzig, Dienstag den 30. Juni 1914. 81. Redaktion Wie werde ich ein guter Musikaliensortimenter. Von Ernst Challier sein - Gießen. Die Klagen im Buch- und Musikalienhandel über die Rückschritte in der Güte des Gehilfenmaterials wollen, trotz aller Fortbildungskurse, trotz aller Bildungsstätten, die für die jungen Leute gegründet werden und bereits vorhanden sind, nicht verstummen. Die Gründe für dieses Abwärtsschreiten liegen wohl in den wenig verlockenden Gehaltsverhältnissen. Daraus ergibt sich naturgemäß der Zwang, in der Wahl des Nachwuchses tiefer zu greisen, als das bei den Ansprüchen, die der Buch- und auch der Musikalienhandel stellen mutz, eigentlich geboten erscheint. Berufliche Lehranstalten werden meines Erachtens nur dann mit Erfolg wirken, wenn sie sich auf Fach-Unterricht beschränken können; sie müssen jetzt Unterklassen führen, die Unterricht in den Lehrstoffen erhalten, die in den Knabenjahren vernachlässigt oder gar nicht behandelt worden sind; so wird in den meisten Fällen Hans das nicht lernen, was Hänschen versäumt hat. Wer als Musikalienhändler Musikinstrumente führt, wird die' Erfahrung gemacht haben, datz namentlich die Land kundschaft trotz Volksschule und der aufgepfropften Fort bildungsklassen wenig gelernt oder viel vergessen hat. Man kann da in den Bestellbriefen schriftliche Ergüsse lesen, über die sich der traurigste ABC-Schütze schämen müßte. Solange der Musikalienhandel keine großen Ge hälter zahlen kann, also billiger Arbeitskräfte bedarf, soll er sich lieber nach weiblicher Hilfe Umsehen; da begeht er wenigstens nicht die Sünde, einem jungen Mann, der vielleicht ein ganz tüchtiger Kommis im Kleinhandel geworden wäre, aber keine Anlagen zu einem Musikalienhändler hat, sein Fortkommen zu erschweren. Die weiblichen Arbeitskräfte sind freilich auch nur ausnahmsweise ein vollwertiger Ersatz, aber sie sind doch das kleinere Übel. Für sie ist das durchaus nicht ausbleibende Umsatteln viel einfacher als für einen jungen Mann, da sie viel leichter ein Unterkommen finden, als ein verpfuschter Musikalienhandlungsgehilse, dessen Zukunft stark gefährdet ist. Von diesen ungeeigneten, unseren Stand schädigenden Arbeitskräften will ich aber heute nicht reden, zumal ich bessernde Vorschläge zu machen ebensowenig imstande bin wie alle anderen, die das Thema bereits vor mir behandelt haben. Ich möchte vielmehr, da im Musikaliensortiment neben manchem anderen ganz besonders über mangelnde oder unzureichende Sortimentskenntnisse des Personals geklagt wird, dem kleinen Bestand junger, strebsamer Musikalienhändlergehilfen einige Winke geben, wie man ohne Kunststücke und ohne Büffeln seine Sortimentskenntnisse aufbaut, erweitert, sie im Gedächtnis sestlegt und sesthält, also eine Art Mnemotechnik. Vor allen Dingen ist es nötig, darauf zu achten, nichts überflüssiges dem Gedächtnis einzuprägen: was ein Musiksortimenter vor 30 Jahren noch wissen mußte, ist für den heutigen Nachwuchs Ballast. Wer kauft Wohl heute noch einen einzelnen Walzer von Chopin, seit man sie alle für 1 ^ erhält? War es früher eine ab solute Notwendigkeit, von jeder Piece dieses Kompo- eller Teil. nisten nicht nur die Opuszahl, sondern auch die Tonarten zu wissen, so genügt das letztere heute vollkommen und ist auch nur für die Hauptwerke nötig. Sortimentskennt nisse sind nicht dazu da, mit ihnen Sport zu treiben oder dem Chef und den Kollegen damit zu imponieren. Das erstere ist überflüssig und wertlos, das zweite er gibt sich von selbst. Sortimentskenntnisse sind dazu da, um Zeit zu sparen und den Kunden flott zu bedienen. Dadurch gewinnt der musikalische Käufer Vertrauen zum Verkäufer, was viel wertvoller ist, da Kenntnisse dem elfteren mehr im ponieren, als der billige Warenhauskram. Zu gediegenen Sortimenterkenntnissen gehören aber nicht bloß im Hirn aus gespeicherte Zahlen: viel wichtiger sind musikalische literarisch kritische Kenntnisse, die mir nicht nur die Kluft zwischen Beethoven und Gilbert klarlegen — das weiß schließlich Wohl jeder langjährige Laufbursche —, sondern die denn doch etwas tiefer gehen. Es ist geradezu beschämend, was ein unwissender, übereifriger Verkäufer für Unheil anrtchten kann, der einem Kunden ernsterer Richtung die traurigsten Eintagsfliegen als neueste musikalische Erscheinungen anempfiehlt. Ich habe schon darauf hingedeutet, daß die vielen billigen Ausgaben, die Sammlungen und Bände namentlich der Klas siker und Romantiker, die fast nicht mehr, oft weniger kosten als vorher einzelne Hefte, es notwendig machen, diese einzelnen Hefte aus dem Gedächtnisschrank zu entlassen. Bei der ge waltigen Überproduktion alles, was da angeflutet kommt, in dem armen Schädel aufzuspeichern, ist eben so unmöglich wie überflüssig, da das meiste davon verschwindet, ehe es so recht heimisch geworden ist. Das wenige, was lebensfähig ist, interessiert allein und bleibt, wenn das der Fall ist, auch ohne Schwierigkeit haften. Jessels Zinnsoldaten sind unmög lich zu vergessen, und so geht es mit manchen anderen Werken und Komponisten. Run gibt es auch noch ältere bewährte Werke, die trotz der Albums sich noch im Einzelverkauf bemerkbar machen, dafür hat man gute »faule Knechte«, die dem Gedächtnis ganz ausgezeichnet zu Hilfe kommen, so ähnlich wie vor zirka 50 Jahren die schönen gereimten Genusregeln, die bis ins hohe Alter unvergeßlich bleiben und in Zweifelsfällen immer wieder hervorgeholt werden. Von diesen »faulen Knechten« sind als dem Gedächtnis sich leicht etnprägende Merkels die »Spitznamen« hervorzuheben, die viele stets be gehrte Kompositionen unserer Altmeister tragen. Besonders hierbei bedacht sind Beethoven, Chopin und Haydn. Die Geisterfonate, auch Mondfcheinsonate genannt, ist die von Beethoven op. 27 Nr. 2 Cismoll, der Minuten-Walzer von Chopin ox. 64 Nr. 1 Desdur, das Seuszer-Nokturno von demselben Komponisten op. 9 Nr. 2 Esdur und viele andere. Ich habe in verschiedenen Musikalien-Fachblättern große Serien veröffentlicht und genauestens bezeichnet, die ich bei passender Gelegenheit auch im Börsenblatt Mitteilen werde. Außer solchen »faulen Knechten« gibt es nun aber auch noch andere und besonders wirksame Mittel, um sein Wissen ohne Extragedächtnisübungen zu vermehren. Hauptsache ist, möglichst früh zu ihnen zu greifen, da in jungen Jahren der vorläufig noch wenig belastete Kopf am aufnahmefähigsten ist. 1053