Volltext Seite (XML)
3448 Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. 65. 20. März 1909. »Nanine? fragten sogenannte Kunstlichter, als dieses Lustspiel im Jahre 1749 zuerst erschien. Was ist das für ein Titel? Was denkt man dabei? — Nicht mehr und nicht weniger, als man bei einem Titel denken soll. Ein Titel muß kein Küchenzettel sein. Je weniger er non dem Inhalte verrät, desto besser ist er. Dichter und Zuschauer finden ihre Rechnung dabei, und die Alten haben ihren Komödien selten andere, als nichtsbedeutende Titel gegeben. Ich kenne kaum drei oder viere, die den Hauptcharakter an- zeigten oder etwas von der Jntrigue verrieten. Hierunter gehört des Plautus Alles glvriosus. Wie kömmt es, daß man noch nicht angemerket, daß dieser Titel dem Plautus nur zur Hälfte gehören kann? Plautus nannte sein Stück bloß tiloiiosus; sowie er ein anderesTrueulootus überschrieb. Alles muß der Zusatz eines Grammatikers sein. Es ist wahr, der Prahter, den Plautus schildert, ist ein Soldat; aber seine Prahlereien beziehen sich nicht bloß auf seinen Stand und seine kriegerischen Taten. Er ist in dem Punkte der Liebe ebenso großsprecherisch; er rühmt sich, nicht allein der tapferste, sondern auch der schönste und liebenswürdigste Mann zu sein. Beides kann in dem Worte Sloriosus liegen; aber sobald man Alles hinzufügt, wird das gloriosus nur auf das erstere eingeschränkt. Vielleicht hat den Grammatiker, der diesen Zusatz machte, eine Stelle des Cicero (äs otüciis lib. I, oax. 88) verführt; aber hier hätte ihm Plautus selbst mehr als Cicero gelten sollen. Plautus selbst sagt; Ick uos Vatiuo OI.OItlOiil A äioimas —- und in der Stelle des Cicero ist es noch gar nicht aus gemacht, daß eben das Stück des Plautus gemeinet sei. Der Charakter eines großsprecherischen Soldaten kam in mehreren Stücken vor. Cicero kann ebensowohl auf den Thraso des Terenz gezielet haben. — Doch dieses beiläufig. Ich er innere mich, meine Meinung von den Titeln der Komödien überhaupt schon einmal geäußert zu haben. Es könnte sein, daß die Sache so unbedeutend nicht wäre. Mancher Stümper hat zu einem schönen Titel eine schlechte Komödie gemocht; und bloß des schönen Titels wegen. Ich möchte doch lieber eine gute Komödie mit einem schlechten Titel. Wenn man nachfragt, was für Charaktere bereits bearbeitet worden, so wird kaum einer zu erdenken sein, nach welchem besonders die Franzosen nicht schon ein Stück genannt hätten. Der ist längst dagewesenl ruft man. Der auch schon! Dieser würde von Molidre, jener von Destouches entlehnet sein! Entlehnet? Das kömmt aus den schönen Titeln. Was für ein Eigentumsrecht erhält ein Dichter auf einen gewissen Charakter dadurch, daß er seinen Titel davon hergenommen? Wenn er ihn stillschweigend gebraucht hätte, so würde ich ihn wiederum stillschweigend brauchen dürfen, und niemand würde mich darüber zum Nachahmer machen. Aber so wage es einer einmal und mache z. E. einen neuen Misanthropen. Wenn er auch keinen Zug von dem Molidreschen nimmt, so wird sein Misanthrop doch immer nur eine Kopie heißen. Genug, daß Molidre den Namen zuerst gebraucht hat. Jener hat unrecht, daß er fünfzig Jahre später lebet; und daß die Sprache für die unendlichen Varietäten des menschlichen Ge müts nicht auch unendliche Benennungen hat. »Wenn der Titel Nanine nichts sagt, so sagt der andere Titel desto mehr; Nanine, oder das besiegte Vorurteil. Und warum soll ein Stück nicht zwei Titel haben? Haben wir Menschen doch auch zwei, drei Namen! Die Namen sind der Unterscheidung wegen; und mit zwei Namen ist die Ver wechselung schwerer, als mit einem. Wegen des zweiten Titels scheinet der Herr von Voltaire noch nicht recht einig mit sich gewesen zu sein. In der nämlichen Ausgabe seiner Werke heißt er auf einem Blatte, das besiegte Vorurteil; und auf dem andern;, der Mann ohne Vorurteil . . .« Daß an dem Titel wenig liegt, spricht Lessing auch im 14., 87. und 88. Stück seiner Hamburgischen Dramaturgie aus. Mit dieser Ansicht Lessings dürsten viele Verfasser, Verleger und Bibliographen nicht einverstanden sein. Wie man einem Menschen an seiner Stirne oder an seinem Gesicht abzulesen sucht, was hinter der Stirn oder hinter dem Menschen steckt, so sucht man auch aus dem Buchtitel, der ja auch an der Stirnseite des Buches steht, herauszulesen, was man von dem Buche zu erwarten hat. Aber wie das Gesicht manches Menschen nichts sagt oder geradezu täuscht, so sind auch die Titel mancher Bücher nichtssagend, langweilig oder irre führend. Über die Einrichtung der Titel ließe sich ein ganzes Buch schreiben, wie es ja auch schon geschehen ist (»Critik der Titel, oder wie soll man die Büchertitel einrichten? Ein Versuch zum Vortheil der Literatur.- Halle 1804). Die solgenden Ausführungen wollen das Thema keineswegs er schöpfen, sondern nur auf einige Mängel Hinweisen und zur zweckentsprechenden Fassung der Titel anregen. Der Titel soll nicht bloß ein Mittel sein, eine Druck schrift, etwa wie ein Personenname, von einer anderen Druckschrift zu unterscheiden, sondern er soll vornehmlich so kurz, genau und bestimnit wie möglich den Inhalt der Schrift angeben und sich auf die kürzeste Weise bibliographisch richtig einordnen lasten. Es wird ja niemand verlangen, aus dem Titel eines Werkes dessen Inhalt so genau zu erfahren, wie eS aus dem Inhaltsverzeichnis möglich ist; aber man muß doch einigermaßen aus dem Titel ersehen, was das Buch wirklich bietet. Dieser Forderung entsprechen im allgemeinen die Titel wissenschaftlicher Bücher, obwohl manche irre führenden Weglastungen gelegentlich Vorkommen. So muß z. B. der Titel eines Lehrbuchs der chirurgischen Operations technik entschieden die Angabe enthalten, ob das Werk !ür Arzte, Zahnärzte oder Tierärzte bestimmt ist, ob eine Ana tomie sich an Mediziner oder Künstler, ein Lehrbuch der Chemie sich an Pharmazeuten, Mediziner oder Techniker, oder ein Lehrbuch der Botanik an Drogisten, Gärtner, Forst leute usw. wendet. Bei einer Stillehre muß der Titel zeigen, ob der Stil in Sprache, Baukunst, Malerei usw. gemeint ist. In andern Literaturfächern tragen die Vorliebe des Verfassers, die Mode, die Sucht, aufzufallen und die Neu gierde zu erregen, und verschiedene andere Ursachen dazu bei, daß die Titel manchmal eine unbestimmte, rätselhafte, markt schreierische oder geradezu irreführende Fassung erhalten, deren Vermeidung dem Verleger vielfach unmöglich ist. Wenn man in unserer Zeit trotz ihrer gelegentlich abscheulichen Reklame- wütigkeit stark von hochtrabenden und irreführenden Titeln abgekommen ist, so hat man früher desto mehr darin geleistet. So sagt z. B. der bekannte Leipziger Professor Joh. Burkh. Mencke in seinen satirischen »Vs obsrlstaosria vruäitoruw äeel-rw-rtiouos äu»o> (Leipzig 1715 u. ö.j, in denen er literarischen Unfug aller Art rügt; »Es ist endlich auch nicht zu läugnen, daß die Trttul allerdings viel zu Hintergehung derer Ungelehrten und Ungeübten beitragen, welches diejenigen wohl wissen, die solche Schriften drucken lassen, bei denen dergleichen Lockspeisen vonnölhen seyn«. Dann weiter; -Ich schreite also zu denen Bllchertiteln, auf denen gewiß die Wahrheit ein seltsames Wilpret ist; sintemal sie zwar insgemein herrlich eingerichtet sind und viel großes und sonderbares versprechen, aber doch in der That selbst die Leser meistentheils hinters Licht führen«. Wen» der berühmte Philosoph I. G. Fichte einer seiner Schriften den Titel gab; »Sonnenklarer Bericht an das größere Publikum über das eigent liche Wesen der neuesten Philosophie. Ein Versuch, die Leser zum Verstehen zu zwingen«, so mag er diesen auffallenden Titel in fester Überzeugung von der Richtigkeit seines Be weises gewählt haben; aber das größere Publikum war keines wegs so sest davon überzeugt. Als seinerzeit A. o. Knigges Buch