Volltext Seite (XML)
X- 155, 24. Juli 1919. Redaktioneller Teil. doch recht wertvoll, da sie ein dem deutschen Leser fremdes, sehr eigenartiges Milieu — das der russischen Geistlichkeit — lebendig und anschaulich schildern, und der widerwärtige Roman von Artzhbaschcw »Am letzten Punkt« (München, Georg Müller) ist doch immer ein »äooumont lmmain«, das uns manche sonst ganz unbegreiflichen Vorgänge im bolschewistischen Rußland wenig stens einigermaßen verstehen Hilst. Die russische Moderne ist mit vier Büchern vertreten (Brjus- sow, Mereschkowski, Remisow, Ropschin). Ob man das epigonen hafte, an dichterischen Schönheiten aber doch nicht arme Vers drama des Großfürsten Konstantin »Der König der Juden« tDresden, H. Minden) als moderne Dichtung bezeichnen kann, mag dahingestellt bleiben. Der Rest der russischen Bücher (also nahezu 707°) gehört den großen Meistern: Leo Tolstoi ist mit l4 Büchern vertreten, Dostojewski mit 8, Turgenjew mit 4, Puschkin und Saltykow-Stschedrin mit je einem. Auch die Müllerschc Gesamtausgabe der Werke Gogols gelangte unmittel bar vor dem Kriege zum Abschluß. 1915 erschienen nur vier russische Bücher, 1916 und 1917 je sechs. In den ersten zwei Jahren sind cs nur Neuauflagen und Neuausgabcn längst be kannter und allgemein anerkannter Werke — Tolstois »Krieg und Frieden«, Dostojewskis »Raskolnikow« und »Idiot«, Gogols »Tote Seelen«, Mereschkowskis »Leonardo da Vinci«. 1917 aber macht sich — unzweifelhaft unter der Einwirkung der militärischen und politischen Ereignisse — schon so etwas wie eine leise deutsch-russische Annäherung bemerkbar. Maxim Gorkis »Kindheit« erscheint nicht nur im Original als Buch in Berlin früher als in Petersburg, sondern alsbald auch in deutscher Übersetzung; in Kurt Wolffs Serie »Der neue Roman« wird Osip Dymows schon vor Jahren deutsch erschienener, aber längst vergriffener und vergessener Roman »Der Knabe Wlatz« ausge nommen, in der Kiepenheuerschen Liebhabcrbibliothek erscheint > eine hübsche Auswahl von kleineren Erzählungen Anton Tsche chows (»Von der Liebe«) und Gogols »Ukrainische Geschichten«, bei denen ja schon der vom Übersetzer erfundene Titel deutlich das Bestreben zeigt, dem Buche ein gewisses aktuelles Interesse 1 zu geben. (Schluß folgt.) Teuerungszuschläge. Im Verlaufe des Krieges hat es sich in verschiedenen Län- I dern eingebürgert, ans die Ladenpreise der Bücher Teucrungs- I Zuschläge von verschiedener Höhe zu erheben. Man ist dabei Ivon dem Gedanken ausgegangcn, daß der Kriegszustand ein I anormaler ist, und daß man nach Beendigung der Feindselig- I teilen über kurz oder lang zu den alten Verhältnissen zurück- I kehren und damit auch die alten Preise wieder in Kraft setzen Ikönne. Daß man eine solche Ansicht überhaupt haben konnte, list Sache eines verkehrten Gefühls. Der Wunsch ist der Vater Ides Gedankens gewesen. W.er nüchtern denkt, der mußte von Ivornherein darüber klar sein, daß ein Krieg von solcher Dauer, Isolcher Ausdehnung und solcher Wucht grundstürzende Folgen Imit sich bringen mutzte, und daß weder für den Sieger noch »für den Besiegten eine Rückkehr zu den früheren Verhältnissen Imöglich war. In Frankreich hatte der »Orale >i« la iivrai,!«;« einen Anf- Ischlag von 307° auf die schöne Literatur beschlossen, die bisher leinen Einheitspreis von Frcs. 3.50 für den Band hatte, neuer- Idings ist der Aufschlag auf 1007° erhöht worden, sodaß diese »Romane vom 1. Juli an mit 7 Fr. verkauft werden. (Bbl. INr. 143.) Zum überwiegenden Teil werden auch jetzt noch die neuen Romane mit dem Aufdruck: »3 kr. 50 e.« veröffentlicht. Für wissenschaftliche Bücher beträgt diese »maforation teinp» lairo«, diese »vorübergehende Erhöhung«, 207 oder 107,, je mach dem Grundpreise, d. h. die billigeren Serienpreise (3 kr. mO e.; 7 kr. 50 e.) werden gemeinhin um 207» (auf kr. 4.20: »r. 9.—) erhöht, die teureren Einzelpreise wissenschaftlicher Werke pbcr nur um 107°, wobei natürlich die Kalkulation des Grund preises den veränderten Verhältnissen an sich schon Rechnung srägt. In Belgien hat der »Orale dslge cko la librairio« eine svausss temporale«; «ieü prix« von 207» beschlossen und durch- Iieführt. In Italien finden sich Aufschläge von 107°, 207» und 257». In allen diesen Ländern wird die Höhe des jeweiligen Aufschlages vielfach durch Aufkleben besonderer, zum Teil recht hübsch entworfener Marken auf dem Umschläge der betr. Bücher gekennzeichnet. England und Amerika haben sich von der Einführung der Tenerungsznschläge überhaupt fcrngehaltcn. Nicht etwa des halb, weil diese Länder unter dem Kriege nicht gelitten hätten. Namentlich in England ist das Kriegspapier ebenso schlecht und ebenso teuer geworden wie bei uns, und auch die Löhne haben sich überall erhöht. Man hat dort nicht vermeintlich »vorüber gehende« Teucrungszuschlägc eingefllhrt, man ist der Sache in der einzig vernünftigen und kühl kalkulierenden Weise zu Leibe gegangen, die möglich ist, man hat die Preise geändert, wo Neudrucke in Frage kamen, und hat sie auf Grund der be stehenden Verhältnisse festgesetzt, soweit es sich um Neuer scheinungen handelte. So kosten jetzt die großen Rcihen- veröffentlichnngen tvie die »Lvorz-man's llbrarz-« statt sb. l/- zwei Shilling und die Romane, die früher durchschnittlich für 6 «b. zu haben waren, jetzt sb. 6/9 oder 7/-, oder 7/6, oder auch 9/-. So herrschen in den Ländern unserer Feinde im großen und ganzen einigermaßen geordnete Zustände; man spürt den Ein fluß der Organisation. In Deutschland aber, in dem Lande, das den »Ladenpreis« erfunden, das für den »Schutz des Ladenpreises« jahrzchnt« lange Kämpfe geführt hat, im deutschen Buchhandel, der sich auf die Trefflichkeit seiner »Organisation«, wer weiß wie viel, stets zu gute getan hat, herrscht ein wüstes Tohuwabohu! Tic Zuschläge - wenn es nun einmal Zuschläge sein mußten — be wegen sich zwischen 107° und 1607°! Kein Mensch weiß, woran er ist, um so weniger, als sich nicht nur jeder Verleger von dem anderen in der Höhe des Zuschlages unterscheidet, sondern auch der einzelne die einmal festgesetzten Zuschläge nun nicht etwa auch festhält, sondern häufig Weiler erhöht. Um die Verwirrung vollkommen zu machen, gibt es dazu noch eine interne, verschie denartig wirkende Behandlung der Zuschläge: der eine Teil der Zuschläge wird dem Sortimenter gegenüber rabattiert, der an dere nicht. Es wird allmählich Zeit, den deutschen Buchhändlern zn- znrnfen, daß es so nicht weiter geht, daß dieser Weg in den Ab- grnnd führt. Zu alledem erhebt auch der Sortimenter noch einen Zu schlag von 107» auf den an sich schon »vorübergehend« erhöhten Preis, und dem ist in einer Notstandsordnung des Börsenver eins zugestimmt worden. Daß es in Form eines Tcuerungszu schlagcs geschehen ist, läßt von vornherein erkennen, daß man auch hier an einen kommenden Abbau gedacht hat. Aber weit davon entfernt, einen Abbau in Aussicht zu nehmen, geht man jetzt in gewissen Kreisen damit um, den Zuschlag ans 207 weiter zu erhöhen. Es kann nicht nachdrücklich genug vor einem solchen Schritte gewarnt werden. Der Buchhandel kommt dadurch nur noch mehr in den Ruf der Begehrlichkeit, also in einen schlechten Ruf. Man mutz jetzt allmählich auch wieder zur kühlen Überlegung zurückkehren und seine Maßnahmen nach den einmal vorliegen den Verhältnissen treffen. Der Verleger weiß, daß er bei den gestiegenen Papier- und Drnckpreisen und auch bei erhöhten Honoraren (denn der Schrift steiler ist sozusagen schließlich auch ein Mensch, der essen, trin ken und sich kleiden will), er weiß, daß er jetzt Bücher zu alten Friedenspreisen nicht mehr Herstellen kann. Er weiß auch, das; der Sortimenter, der ihm die Bücher vertreibt, leben muß, wenn er ihm nützen soll; er weih, daß er das bei einem Rabatt von 257,, ja von 3377. Rabatt nicht mehr kann. Es ist jetzt die Zeit, eine großzügige Reform in die -Wege zu leiten, wenn anders man den Ladenpreis als eine Norm erhalten will. Man einige sich in gemeinsamen Beratungen von Verlegern und Sortimentern über die z»m Leben und znm Ver dienst notwendige Höhe des Rabatts: man kalkuliere danach und nach den eigenen Unkosten die künftige .höhe der Ladenpreise und werfe in kühnem Entschlüsse alle und jede Zuschläge end gültig über Bord. Daß man dabei auch die Preise alter, noch N25