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30 Niederschläge aufgefangen und zurückgehalten. Dieser Verlust an Wasser, den der Waldhoden gegenüber dem Ackerboden erfährt, ist zwar noch etwas zu hoch, da ein Theil des aufgefangenen Wassers an Aesten und Stämmen herab- rinnt und allmählich doch noch dem Boden zugeführt wird. In den einzelnen Jahreszeiten schwankten diese Werthe für den Verlust zwischen 32 (Frühling) und 25 Prozent (Winter). Dabei hielten die Kronen der Nadelhölzer etwas mehr Wasser zurück als jene der Laubhölzer, und unter den Nadelhölzern nimmt die Kieferkrone am meisten Wasser auf. Wären also die mächtigen Niederschläge im Kemnitzer Thalkessel über einem Walde von mittlerer Dichte herabgegangen, so würde man hiernach anzunehmen berechtigt gewesen sein, dass dieselben eine Verminderung etwa um ihren vierten Theil allein schon durch die Baumkronen erfahren hätten; es wären also anstatt der 160 mm (welche im Maximum dort fielen), nur 120 mm zur Erde gelangt. Nimmt man an, es wäre im ganzen, etwa 9 Quadrat kilometer fassenden Thale der Kemnitz der Niederschlag allenthalben so mäch tig gewesen, wie im Orte Kemnitz (160 mm), so würden über diesem Gebiete, wie eine einfache Rechnung lehrt, 1440 Millionen Liter oder 1440000 Kubik meter Wasser herabgestürzt sein; diese Menge wäre um den vierten Theil geringer gewesen, falls das ganze Thal einen Waldbestand von mittlerer Dichte besessen hätte. Nach diesen verbürgten Ergebnissen exacter Forschung scheint es mir, dass die Bewohner der Lausitz, um die Gefahren eines Hochwassers zu verringern, ihr Augenmerk ganz besonders auf die Vermehrung des Waldbe standes zu lenken haben, insbesondere müssen da Waldkulturen entstehen, wo die Flussthäler von geneigten, kahlen Abhängen begrenzt werden. Das zweite Mittel, durch welches der Wald dem Eintritt von Wasser katastrophen entgegen zu wirken vermag, liegt in seiner Bodendecke. Fällt Regen auf irgend ein geneigtes Terrain, so fliesst jederzeit ein Theil ab, ein weiterer Theil gelangt zur Verdunstung, eine gewisse Menge dringt aber immer auch in den Boden ein, in welchem sie sich nach den Gesetzen der Capillarität und des hydrostatischen Druckes nach allen Seiten hin vertheilt. Wenn nun ein Boden, welcher eine starke Neigung besitzt, von der Vegetation und zwar zunächst von niederen Pflanzen, hierauf von Bäumen bedeckt wird, so verschlingen sieh die Wurzeln unter einander und bilden ein Netz, das dem Boden eine ungemeine Festigkeit und Widerstandsfähigkeit ver leiht. Die Wurzeln spalten das Erdreich und erleichtern den Durchgang des Wassers, das netzartige Gewebe zertheilt die eindringenden Gewässer gleich- mässig über die ganze Oberfläche. Die wohlthätigen Folgen eines mit einer Vegetation bedeckten Waldbodens an solchen Abhängen, welche wolkenbruch artigen Regengüssen ausgesetzt sind, lassen sich aus dem Gesagten unschwer erkennen. In dem Waldbestande der Lausitz finden sich aber vorwiegend nur die Bergkuppen mit Wäldern besetzt, während die Berglehnen der Flussthäler, und besonders auffällig die des Neisse- und Mandauthales und des Oderwitzer Dorf baches so gut wie gar keine ausgedehntere Waldkultur besitzen. Besonders in der grösseren oder geringeren Wasserzufuhr der Nebenflüsse in diesen Fluss gebieten zeigt sich deutlich die Wirkung kahler Abhänge. Der Thalabhang des Eckartsbaches hat gar keinen Waldbestand, ebenso der des Wittgenbaches; die dortige Katastrophe dürfte aber auch alle Schrecken eines Hochwassers an sich tragen. Das Thal der Kemlitz wird zwar von bedeutenden Waldungen (dem Klosterwalde und den Waldungen auf dem Buchberge) umgrenzt, diese erheben sich aber ausschliesslich auf den nahen hohen Bergkuppen mit 355 bez. 401 m Höhe, während die bis zur Tiefe von 250 m herabreichenden Thalgelände vollständig unbewaldet sind. Ganz ebenso ungünstig vertheilen sich die Waldbestände im Thale der Pliessnitz. Die dritte Wirkung der Wälder auf die Hochwässer besteht darin, dass sie durch ihren durch verschlungene Wurzeln zu grosser Zähigkeit gelangten Boden den erodirenden Wasseradern Widerstand leisten und auf alle mit Acker krume, Sand oder sonstigem Detritus vermengten Gewässer gleichsam filtrirend wirken. Das mit starken Sandablagerungen bedeckte Neissethal ist eine Folge der kahlen, meist nur mit Ackerkrume belegten Abhänge dieses Thaies. Nur der emsige Fleiss unseres sächsischen Landwirthes gehört dazu, dass durch solche Erscheinungen die Bodenflächen einer ganzen Gegend überhaupt noch fruchtbar bleiben. Da, wo dieser redliche Fleiss fehlt, kann es kommen, dass vorher fruchtbare Landstrecken zur Einöde werden. „Wir haben seit Ludwig, dem Heiligen,“ sagt Babinet, „in den französischen Alpen und den Bergen des südlichen Gestades von Frankreich, z. B. im Herault-Departement, das traurige Gemälde von Dorfsehaften, die eine nach der anderen verlassen wurden, seit die Schafe mit ihren stählernen Füssen und die unverständigen Bauern mit ihren Hacken dem Graswuchs und den Gebüschen der hochgelegenen Berghalden ein Ende gemacht und den Wildbächen, welche sich infolge davon bildeten, gestattet haben, die Pflanzenerde in die Ebenen hinab zu schwemmen. Oft reissen diese Wildbäehe Lawinen von Steinen und Kieseln mit sieh, welche dann die Fruchtbarkeit vortrefflicher Erdreiche in der Ebene zerstören, indem sie dieselben mit einer unanbaubaren Schicht von Geröllen überdecken, so dass der Pflanzenwuchs nicht durchzudringen vermag. Ich fragte einen Bewohner eines Dorfes am Fusse eines kleinen, trichterartigen Thaies: „Warum habt ihr diese kleine Anzahl Hectare, die mit Rasen und Gebüschen ausgestattet waren, urbar gemacht? Die Erde wird fortgeschwemmt werden und der nackte Fels zu Tage kommen.“ „0, mein Herr,“ lautete die Antwort, „ehe diese Zeit eintritt, werden wir drei oder vier gute Kartoffelernten haben.“ Man darf bei der Intelligenz unserer Landwirthe erwarten, dass in Dingen, wo es das Wohl einer grossen Zahl besonders von Industrie lebender Menschen gilt, eine ähn liche Kurzsichtigkeit nicht Platz greifen wird. Ich glaube hiermit zur Genüge nachgewiesen zu haben, dass in der Bodencultur unserer Lausitz ein grosser Umschwung eintreten muss, wenn den verheerenden Ueberschwemmungen, die, da wir auf die atmosphärischen Vor gänge, die sie ja nothwendig bedingen, nicht einzuwirken vermögen, früher oder später von Neuem eintreten werden, ein erfolgreicher Einhalt getlian wer den soll. An allen stark geneigten Bergabhängen muss ein geschlossener Wald mit einer guten Bodenvegetation entstehen; an weniger geneigten Abhängen müssen sich, parallel dem Flusslaufe, Waldparzellen von massiger Breite erheben. Der stärkste Platzregen wird durch das Laub- oder Nadeldach eines Waldes in seiner Fallkraft gleichsam gebrochen, seine Mächtigkeit verringert, er rieselt vielfach zertheilt allmählich zu Boden, wo er von der zerklüfteten Moos- oder Vegetationsdecke begierig aufgesogen wird und in den Boden einsiekert; der oberflächlich abfliessende und destructive Theil desselben wird aber dadurch bedeutend verringert. Ebenso sollte man ernstlich darauf bedacht sein, nirgends unnöthigerweise die sogenannten Bauembüsche und Buschsäume an den Bachrändern und Flur grenzen auszuroden, besondere nicht an jenen steilen Abhängen am Oberlauf der Flüsse. Sie schützen nicht nur die Ufer jener Flüsse durch die Ver schlingungen ihres Wurzel Werkes, sie halten auch durch ihren porösen Boden viel Detritus zurück, durch welchen die Fluren des Unterlaufes verschlemmen könnten. Mit diesen Angaben dürfte aber auch der Schatz von Mitteln erschöpft sein, auf welche die Meteorologie auf ihrem gegenwärtigen Standpunkte hinzuweisen vermag, um den Bewohnern unserer sächsischen Oberlausitz die Möglichkeit der Besserung ihrer Lage bei etwaigen Hochfluthen an die Hand zu geben. Ernst und dringend sind weiter die Fragen, welche die Vorgänge vom Berichtstage an unsere Wasserbautechniker und Kulturingenieure richten. Sie hier zu berühren, muss ich unterlassen, da die Arbeit ausschliess lich die meteorologischen Erhebungen und Folgerungen behandeln sollte. Die Tagespresse hat übrigens, wohl veranlasst durch die neuerdings in den norddeutschen Stromgebieten und erst vor Wochen in den Thälern des Riesengebirges sich abspielenden, verheerenden Vorgänge, die bezüglichen Fragen technischer Natur in den Fluss gebracht, so dass erwartet werden kann, dass auch von dieser Seite eine wissenschaftliche Durchforschung der Wasservorgänge der jüngsten Zeit vorgenommen und daraus Mittel geschaffen werden, wie den Gefahren derselben erfolgreicher zu begegnen sein wird. Die vollständige Sicherheit aber vor allen Gefahren einer Hochwasser katastrophe zu bieten, das wird wohl nicht in der Macht der Menschen liegen.