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29 Dieselbe Erscheinung hat auch Woeikoff*) an den hydrologischen Vor gängen im Stromgebiete der Wolga nach weisen können, wo ebenfalls in den letzten Dezennien eine grossartig fortschreitende Entwaldung stattgefunden hat. In einem Berichte **) der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg über die Wasserabnahme in den Flüssen und Strömen heisst es wörtlich: „Wir müssen bei dieser Gelegenheit noch der Wolga und des Dnjepr erwähnen, an deren Ufern die Waldverwüstung von Süd nach Nord so fort geschritten ist und immer noch fortschreitet, dass der mittlere und untere Lauf dieser für die Handelshewegungen Russlands so unentbehrlichen Ströme bereits durch vollständig entholzte Gegenden geht, in denen die Hochwässer einen höheren Stand erreichen als in früheren Zeiten. Wer wüsste nicht von den jährlich sich wiederholenden, schweren Klagen über die Veränderungen, die diese Hochwässer durch Bildung neuer Untiefen und durch neue Richtungen des Fahrwassers hervorrufen, wer wüsste es nicht, dass die im Winter und im dürren Sommer wasserlosen Schluchten im Frühling bei dem schnellen Schmelzen des Schnees in der kahlen Steppe und bei heftigen Regengüssen in tobende Sturzbäche sich verwandeln, die oft grosse Parzellen des schönsten Ackerlandes unterwühlen und zum Sturze bringen? Und schliesslich führen alle Zuflüsse und Uferschluchten jenen Strömen so massenhafte Mengen von Sand und Schlamm zu, dass diese jährlich ein reiches Material zur Bildung neuer Untiefen erhalten. Wir glauben die Ueberzeugung aussprechen zu müs sen, dass die Uebelstände an der Wolga, am Don und am Dnjepr in viel geringerem Maasse sich eingestellt haben würden, wenn man es verstanden hätte, die Ufergegenden dieser Ströme vor Entwaldung zu schützen!“ Man könnte noch eine umfangreiche Literatur anführen, aus welcher der eminente Einfluss, den eine ausgebreitete Waldkultur für den Unterlauf der Flüsse besitzt, scharf zu Tage tritt; ich will mich aber hier mit der Anführung dieser beiden Beispiele begnügen. Die spezifische Wirkung des Waldes auf den Wasserstand der Flüsse beruht auf der Eigenart des Waldbaumes und des Waldbodens, sie wird je nach der Art dieser beiden Factoren eine verschiedene sein, ja sie kann unter Umständen gerade die entgegengesetzte sein von der unserer europäischen Baum- und Bodenarten. So kommen gegenwärtig von einem verdienstvollen Forscher Australiens, R. v. Lendenfeld, Mittheilungen***), aus denen hervor geht, dass der Wald für Australien eine durchaus andere Wirkung äussert wie für Europa. Der Grund liegt in der Eigenart des Waldbaumes, einer Eukalyptusart mit langen, bis zu 6 m eindringenden Pfahlwurzeln und leder artigen Blättern, die eine poröse Humusschicht am Boden nicht zu bilden vermögen, und meist auf hartem, glattem, undurchlässigem Boden wachsen. Hier fliesst das Regenwasser über die kahlen Flächen des Waldbodens unge hemmt dahin und ergiesst sich in die Tiefen. Mit Recht fordert daher R. v. Lendenfeld hier Abholzung und Anbau von Gräsern. Die hemmende Wirkung, die der europäische Wald auf den Abfluss des Regen wassere und damit auf den Wasserstand der Flüsse ausübt, ist ein viel seitiger. Er lässt sich folgendermassen zusammenfassen: a. Die Kronen der Waldbäume halten einen nicht unbeträchtlichen Theil des fallenden Regens auf, der von hier aus wieder zur Ver dunstung gelangt, also nicht direct dem Boden zugeführt wird. b. An Abhängen bieten die Wälder durch ihre Bodendecke in hohem Grade Schutz gegen das rasche Abfliessen des Niederschlagswassers, sie verhindern ein plötzliches, rasches Steigen des Flusswassers, wirken also den Ueberschwemmungen geradezu entgegen. c. Auf abschüssigem Terrain bieten die Wälder dadurch Nutzen, dass sie die Abschwemmung von Erde, Sand und Geröll sehr erschweren und einer Versandung der Flussbette entgegenarbeiten. Diese drei Formen der Wirkung des Waldes richten sich geradezu gegen den Eintritt von Hochwässern in den Flüssen. Zwei weitere Formen dieser Wirkung hemmen zwar nicht den Eintritt solcher Katastrophen, aber sie beför dern denselben jedenfalls auch nicht. Es sind die folgenden: *) Meteorologische Zeitschrift. Band V. **) Meteorologische Zeitschrift. Band XI. ***) Petermanns Mittheilungen. Ergänzungsheft Nr. 87 und Band34, Heft II. d. Die geschlossene Moos- und Laubdecke erschwert das Eindringen des Wassers in den Untergrund, es wird dadurch zwar den Bächen und Flüssen mehr Wasser zugeführt, aber viel gleichmässiger und allmählicher als auf nicht bewaldeten Abhängen. e. In der heissen Jahreszeit gewähren die kühleren Wälder den durch sie fliessenden Wassergerinnen Schutz gegen starke Verdunstung, sie senden also nachhaltig den Thälern mehr Wasser zu, als das nichtbewaldete Freiland. Bei plötzlich eintretenden, gewaltigen Regen stürzen wird aber natürlich die Verdunstung in Waldbächen, wie in denen des freien Terrains sich nahezu gleich bleiben, es bietet also der Waldbach bei solchen Verhältnissen keine Förderung des Hochwassers. Die letzte Wirkung des Waldes könnte man nun allerdings als eine den Eintritt von Hochfluthen direct förderliche ansehen, sie besteht darin, dass man f. dem Walde eine locale Vermehrung der Niederschläge zuschreibt. Ueber diese Wirkung gehen jedoch in Fachkreisen die Meinungen noch stark auseinander. Besonders in neuerer Zeit werden Stimmen laut, die diese Wirkung des Waldes geradezu in Abrede*) stellen. Das Urtheil desjenigen. Gelehrten, das im Bezug auf die Meteorologie des Waldes massgebend sein dürfte, Prof. Ebermayer, geht dahin, dass diese Frage mit dem bis jetzt darüber vorhandenen Material überhaupt noch nicht lösbar sein kann. In einer Versammlung des Zweigvereins München der deutschen meteorologischen Gesell schaft behandelte derselbe dieses Thema in einem Vortrage. Sowohl vielfache Erfahrungen, heisst es da, welche man in entwaldeten Gebieten Europas über die Abnahme der Niederschlagsmenge gemacht haben will, als auch die That- sache, dass in allen bewaldeten Mittel- und Hochgebirgen Deutschlands die Niederschlagsmengen beträchtlich grösser sind, als im benachbarten Tieflande, weisen darauf hin, dass dem Walde eine gewisse locale Einwirkung auf Ver mehrung der Niederschlagsmengen nicht abgesprochen werden kann, was ja auch von vornherein aus theoretischen Gründen angenommen werden kann. Da nun aber die Gebirge als solche schon aus verschiedenen Ursachen als Condensatoren für Niederschläge wirken, so ist es schwer, hierbei den Grad der Wirkung des Gebirges und des Waldes von einander zu tren nen. Um nun durch mehrjährige Beobachtungen positivere Grundlagen zur Lösung dieser volkswirthschaftlich so bedeutungsvollen Frage zu schaffen, sind in Bayern zweckmässigere Stationen geschaffen worden. Da gebirgiges Terrain aus den eben besagten Gründen hierzu nicht geeignet ist, so müssen dieselben an geeigneten Orten im Flachlande errichtet werden und es eignen sich dazu nur solche Gegenden, in welchen sich grössere Waldbestände vorfinden, die von einer gleich hohen, ausgedehnten, nicht bewaldeten Fläche umgeben sind. Es sei hier erwähnt, dass dies auch einer von den leitenden Gesichtspunkten gewesen ist, welcher das Königliche Finanzministerium Sachsens veranlasst hat, im Jahre 1882 mit einer beträchtlichen Erweiterung des sächsischen Regen netzes durch Schöpfung einer grossen Zahl für die Lösung dieser Frage geeig neter Forststationen vorzugehen. Es bleibt somit noch abzuwarten, zu welchen Ergebnissen beide Systeme in der angeregten Frage führen werden. Aus den Zusammenstellungen der Maximalniederschläge in Sachsen schien nun aber doch mit grosser Wahrscheinlichkeit der Satz hervorzugehen, dass grössere Waldcomplexe meteorische Exzesse begünstigen. Immerhin aber sind dieselben dem unbewaldeten Terrain gegenüber nicht so bedeutend, dass sie die für die Verhütung von Wasserkatastrophen günstigeren Wirkungen des Waldes aufzuwiegen im Stande wären. Es liegen sogar gegenwärtig schon Zahlen vor, die diesen günstigen Einfluss des Waldes nach dieser Richtung darthun. Die Menge, welche die Baumkronen von dem überhaupt fallenden Regen aufzuhalten vermögen, ist natürlich eine Function von der Höhe, Dichte und der Nadelart des Waldes. Nach den Untersuchungen Ebermayers**) wurden im vierjährigen Mittel durch die Kronen der Bäume in einem normal geschlossenen Walde durch schnittlich 26 Prozent, also ziemlich genau der vierte Theil der wässerigen *) Henry Gannet. Science XI No. 257 und 265. **) Die physikalischen Einwirkungen des Waldes auf Luft und Boden und seine klimatologiscbe und hygienische Bedeutung. Von Prof. Dr. Ebermayer. Aschaffenburg 1873.