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28 fach beantwortet worden; es ist die eigenartige Vertheilung von Bergen, Flüssen und Wäldern. Von dem vorhältnissmässig eng begrenzten Kottmarkegel laufen die wichtigsten Wasserarme der Lausitz ab nach Ost, West, Süd und Nord; alle die meteorischen Vorgänge, die sich hier zutragen, sie werden empfunden in allen Theilen der Lausitz, deren industriereiche Bevölkerung, um die natür liche Kraft des fliessenden Wassers für sich auszubeuten, ihre Wohnungen und Arbeitsstätten dicht an den Ufern dieser Wasseradern errichtet hat. So segen bringend sich hier das in seinen Ufern gehaltene Wasser gestaltet, so vernich tend kann es auch auftreten, wenn namhafte Regengüsse am Kottmarkegel oder ein rasches Thauwetter es über die Ufer erheben. So weit die meteorologischen Annalen von Zittau zurückreichen, hat es fast in keinem Jahre an mehr oder weniger ernsten Ueberschwemmungen im Mandau- und Neissegebiet gefehlt. Schon die Mittheilungen Dreverhoff s, die vom Jahre 1831—1843 ausführ lich publizirt sind, überliefern uns im Jahre 1831 zweimal, 1833 dreimal, 1834 einmal die Kunde von grossen Ueberschwemmungen in diesen Fluss gebieten. 1838 traten wieder drei solche auf, von denen zwei im April unter grossen Verheerungen stattfanden. Alle diese Hochwässer stellten sieh schon ein nach Regenfällen von bei weitem geringerer Bedeutung als jene von 1880 und 1887. Im Februar des Jahres 1839 trat nach einem dreitägigen Regen von insgesammt nur 4.6 mm und durch das dadurch beförderte Abthauen des Schnees die Mandau aus und das Wasser stieg höher, als man sich je erinnern konnte. Weitere Kunde von verheerenden Ueberschwemmungen kam im Jahre 1840 einmal, 1841 zweimal und 1843, mit welchem Jahre Dreverhoff’s publizirte Mittheilungen schliessen, noch einmal. Auch in den Geschichtsannalen der Lausitz finden sich zahlreiche Schilderungen über verheerende Hochwässer in den Flussthälern dieses Landes. In der verdienstvollen Zusammenstellung der Ereignisse vom Jahre 1880 durch Scliuldirector Kru schwitz in Bernstadt werden aus geschichtlichen Quellen werken eine grosse Zahl verheerender Wasserkatastrophen in der Lausitz zusammengestellt, die ich hier nur den Jahreszahlen nach nennen will, deren nähere Vorgänge in dem genannten Werke ziemlich ausführlich geschildert sind und dort eingesehen werden können. Im Pliessnitzthale brachten die Jahre 1552 (16. August), 1596, 1666 (13. Juni), 1668, 1673, 1689, 1703, 1751 (27. Januar), 1789 (27. Januar), 1799, 1804 (14. Juni), 1806 (10. August) und 1821 (3. Mai) furchtbare Ueberschwemmungen; das Oderwitzer Thal wurde heimgesucht am 17. August 1595, am 14. Juni 1666 und am 29. Mai 1732. Dass die Flüsse jener Gegend von dem Momente an, wo sich Menschen ansiedelten, durch ihre häufigen Hochwässer gefürchtet waren, dafür spricht der Umstand, dass einzelne Orts- und Flussnamen diese Erscheinung deut lich zum Ausdruck bringen. Der Name Oderwitz soll seine Entstehung dem wendischen Stammworte Wudrjenca, d. i. ein Ort, wo das Wasser herausreisst, verdanken. Dem Flussnamen „Pliessnitz“ liegt nach Im misch*) eine slavische Wurzel zu Grunde, die plisnica heisst, d. i. schmutzen; oder auch eine wendische Wurzel plisnic, d. h. mit Schimmel oder einer dem Schimmel ähnlichen Masse überziehen. Diese Benennung, sagt Immisch, ist dem Flüsschen gegeben werden, weil es bei Ueberschwemmungen die Umgebung mit grauweisslichem Schlamm oder Schmutz überzieht. Im Hinblick auf solche ungewöhnliche, in ihren Wirkungen schon seit Jahrhunderten und oft sehr schwer empfundene Ereignisse drängt sich die Frage auf, warum der schöpferische Geist des Menschen, der schon gewaltige Naturkräfte in unschädliche Bahnen zu lenken vermocht hat, hier noch nicht Mittel und Wege schaffen konnte, die solchen Verheerungen Schranken zu setzen vermögen? Ich bin damit in diesen Betrachtungen an den Punkt gekommen, an welchem dieselben eine eminent praktische Seite gewinnen. Erst in der allerneuesten Zeit hat die junge, meteorologische Wissenschaft Beobachtungen gesammelt, welche dem Grunde von verheerenden Ueberschwemm ungen nachspüren, noch sind aber, wie man eingestehen muss, ihre Annalen zu kurz, um aus ihnen den richtigen Weg zur vollständigen Verhütung von *) cf. Zittauer Schulprogramm, die slavisehen Ortsnamen der südlichen Oberlausitz. solchen Katastrophen anzubahnen. Wolle man sich ja hüten, die Meteorologen auf diesem Gebiete durch ungestümes Verlangen zu verfrühten Schlüssen und praktischen Fingerzeigen zu verleiten. Es kommen hier so hochwichtige Fragen des Bebauungssystems und der Technik in Betracht, dass sie, wenn sie falsch gelöst würden, schwer schädigend in unser Gemeinleben eingreifen könnten. Je tiefer man in diesen Gegenstand eindringt, um so verwickelter gestalten sich die Schwierigkeiten. Mit kühnen Hypothesen vermöchte man ja wohl schon auf Grund des heute Bekannten ein System aufzuführen, aus dem man sich Besserung verspricht; was fördert dies aber die Sache, wenn die Unrichtig keit nur eines hypothetischen Satzes das ganze prächtige Gebäude wieder zum Sturze bringt! Ich werde mich daher begnügen, aus dem Studium verbürgter, meteoro logischer Vorgänge einzelne Andeutungen zur Beantwortung dieser wichtigen Frage zu geben, zu einer endgiltigen Lösung des Problems werde ich dabei, wie mir recht wohl bewusst ist, nicht gelangen; aber ich glaube durch die angegebene Betrachtungsweise die Frage fördern zu können; besonders wenn man die Lücken der eigenen Untersuchung offen eingesteht, lenkt man die Forschung auf Ergänzung und Berichtigung derselben hin. Nach bisher bekannten Beobachtungen ist es von grossem Vortheil, wenn eine bedeutende Wasserscheide und die Gebiete ihrer Entwässerungsadern grosse Strecken weit eine starke Waldkultur besitzen. Eine ganze Menge von Arbeiten liegen gegenwärtig vor, welche diese Thatsaehe auf Grund genauer Beobachtungen zahlenmässig bekräftigen. In der Zeitschrift für Agrikulturphysik (redigirt von Wollny) findet sich über diesen Gegenstand interessantes Zahlen material, das einer Arbeit entnommen ist*), welche betitelt ist: „Das Hoch wasser in den Flüssen nimmt in dem Maasse zu, als die Entwaldung der Gebirge, aus welchen letztere fliessen, grösser wird.“ In dieser Arbeit wird nachgewiesen, dass die Ursachen des Hochwassers im Addathale, eines der grössten Thäler Italiens, in der Entwaldung zu suchen sind. Dasselbe erstreckt sich vom Stilfseijoch bis zum Comosee in einer Länge von 140 km und führt den Fluss Adda, dem aus vielen Seitenthälem starke Wasseradern zugeführt werden, bis zur Mündung in den Comosee. Die hydrometrischen Beobachtungen wurden hier schon im Jahre 1792 begonnen und bis zum Jahre 1863 fort gesetzt. Die Bearbeitung dieses Materials zeigt nun, dass vom Jahre 1792 bis 1821 Hochwasser durchschnittlich nach einem Zwischenräume von 58 Mo naten, also beinahe nach je fünf Jahren wiederkehrten, von 1821 bis 1839 betrug dieser Zwischenraum nur noch 44 Monate und von 1839 bis 1863 sank derselbe sogar auf 20 Monate herab. Bis zum Jahre 1820, so heisst es in dieser Arbeit, waren sowohl die Berge des Hauptthaies, als diejenigen der Nebenthäler mit alleiniger Ausnahme der gegen Süd exponirten Vorberge, wo seit Jahrhunderten die Weinkultur betrieben wird, mit Waldungen bedeckt. Strassen gab es bis dorthin keine, nur schlecht zugängliche Gebirgspfade ver mittelten den Verkehr. Unter Napoleon I. wurde die erste fahrbare Strasse in der Ebene angelegt und von der österreichischen Regierung im Jahre 1820 vollendet. Der Bau dieser Strasse regte den Verkehr ungemein an und der Bezug von Holz aus den Wäldern, die einem schonungslosen Abtrieb preis gegeben wurden, nahm in dem Maasse zu, als die Holzpreise in die Höhe gingen. Genau um diese Zeit, nämlich um das Jahr 1820, constatirte man den ersten hohen Wasserstand im Comosee. Während nun weiter in der Zeit von 1792 bis 1821 sich die Wassermenge auf alle vier Jahreszeiten gleich- mässig vertheilte, so dass in der Regel nach je fünf Jahren eine Anschwellung des Wassers, ohne Schaden zu verursachen, zu verzeichnen war, stieg nach erfolgter Entwaldung das Hochwasser im Herbst und im Frühling in abnormer Weise zum Nachtheile des befruchtenden Wassers im Sommer, während doch im ganzen Jahre die gleiche Regenmenge gefallen war. Es trat in Folge dieser Entwaldung hier also ein arges Missverhältniss zwischen niederem und hohem Wasserstande ein. Auf Grund genauer Messungen wird ferner in der genannten Arbeit berechnet, dass im Verlaufe von 24 Stunden aus dem Addaflusse in den Comosee bei niederem Wasserstande eine Wassermenge von 1 161400 kbm floss, während diese bei hohem Wasserstande die enorme Ziffer von 69120000 erreichte, woraus ein Verhältniss von 1 : 60 folgen würde. *) Aus dem Bolletino della Societa triennale promotriee delle Silvicoltura.