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20 besitzt aber viele Nebenflüsschen in Sachsen, über deren Verhalten zur Zeit der Katastrophe Berichte vorliegen. Es ist dies zunächst der durch Ober und Mittelweigsdorf führende Dorfbach; derselbe trat von V2II Ehr Abends bis 1 lt 2 Uhr Morgens aus seinen Ufern und überschwemmte alle Dorfwege im Mitteldorfe etwa 40 cm und im Oberdorfe, wo sich das Wasser mehr ausbroiton konnte, etwa 20 cm hoch. Wie im Jahre 1880 drang das Wasser wieder in eine grössere Anzahl von Häusern ein, hat zahlreiche Gärten über- fluthet und die ganze Dorfstrasse ausgewaschen; besonders die thalwärts führen den Wege sind vielfach zerrissen. Im Oberdorfe ist eine Brücke eingestürzt und die Ufermauer an vielen Stellen demolirt. Eine zweite, zur Wittig fliessende, kleine Wasserader sieht an ihren Ufern die Orte Trattlau und Wanscha; sie hat trotz der geringen Wassermonge, die sie zu führen vermag, doch durch Stauung eine Brücke an einem Strassen- übergange zerstört. Der dritte, zur Wittig fliessende Wasserarm ist der Reut- nitzer Dorfbach, aus dessen Thal uns aber leider keine Nachrichten zuge gangen sind. Eine Reihe von Zeitungsnachrichten gestatten das Hochwasser der Neisse auch auf preussisches Gebiet hinüber zu verfolgen. Das Thal dieses Flusses ist hier meist sehr weit, die Orte erheben sich vorwiegend an den Anhöhen; zudem kamen hier die Hochwässer am Tage an und konnten von den bereits betroffenen Orten an die nördlicher gelegenen Gemeinden signalisirt werden. So kam es, dass die Schäden an beweglichem Eigenthum hier allerorts geringer sind, wenngleich die unter Wasser gesetzten Fluren von den Eluthen arg mitgenommen wurden. Aber es muss ein schaurig-schöner Anblick gewesen sein, die gewaltigen Wassermengen in fast meilenweiter Breite sich nach dem Niederlande stürzen zu sehen. „Während die Schneeschmelze, ohne Schaden angerichtet zu haben, vorübergegangen ist“, schreibt der Görlitzer Anzeiger, „haben die letzttägigen Regengüsse die damals gehegte Befürchtung jetzt zur schrecklichen Wahrheit gemacht. Das Neissethal ist auf viele, viele Meilen nach allen vier Himmelsgegenden total unter Wasser gesetzt. Gestern Abend erschien die Neisse äusserlich nicht reissender, wie gewöhnlich. In der Nacht zum 18. Mai stieg das Wasser allmählich und heute von der 7. Morgenstunde an mit einer so rapiden Geschwindigkeit, dass viele Ortschaften in der Umgegend von den Wasserfluthen geradezu überfallen worden sind. Wohin der Blick des Beschauers von dem erhöhten Standpunkte schweift, gewahrt er ein schaurig-schönes Bild von der Gewalt des Elementes. Hunderte und aber Hunderte hatten zu diesem Zwecke im Laufe des heutigen Tages die Wanderung zur Höhe gemacht. An einem „meerumspielten“ Restau rationsgebäude von Görlitz, dem Insulaner-Restaurant, das, sonst auf einer Insel stehend, selbst zur Insel geworden war, kann man einen deutlichen Begriff von der Höhe des Wasserstandes bekommen. Sie gleicht der vom 14. Juni 1880 zwar nicht, aber es dürfte kaum mehr als ein Meter dazu fehlen.“ Ich lasse nun einige Schilderungen folgen aus den Orten, an welchen die Hochfluth der Neisse vorübergegangen ist. In Ni krisch musste die Neisse alle Gebäude unter Wasser gesetzt haben, denn es verbreiteten sich dort die Fluthen bis an den Bahnhof heran, der etwa 500—600 Meter vom Neisseufer entfernt liegt; der Schaden soll ganz beträchtlich sein. Auch in dem nun folgenden Deutsch-Ossig hat das Hochwasser bedeutenden Schaden ange richtet. Der grösste Theil der Häuser im Niederdorfe musste ausräumen, da das Wasser in die Stuhen drang, der Verkehr mit der Mühle des Ortes musste mittelst Kahnes bewerkstelligt werden. Nur wenige Zoll fehlten zu der Höhe des Hochwassers von 1880. Auf der Chaussee von hier nach Lesch- witz stand am Mittwoch gegen Mittag das Wasser ungefähr 1 /a Meter hoch und konnten Fuhrwerke nur mit Gefahr dieselbe passiren. Auf der Chaussee nach Ni krisch ist eine Brücke zusammengebrochen und es muss der Verkehr durch eine Nothbrücke ermöglicht werden. Da das Wasser am Tage kam, so sind Unglücksfälle hier nicht vorgekommen. Um Moys, das wenig südlich von Görlitz um nahezu 1000 m vom Neisseufer östlich abliegt, soll das Hoch wasser dem Wildstande ungeheuren Schaden zugefügt haben. Hunderte von Hasen haben in den Fluthen ihren Tod gefunden. Sehr ernst lauten die Nachrichten aus Görlitz, dessen Häusergevierte zu beiden Ufern der Neisse errichtet sind. Die ganze Neissoinsel glich einem Trümmerhaufen, dessen zerrissene Kähne und durcheinander geworfene Tische und Stühle ebenso von der Gewalt des Wassers Zeugniss ablegen, wie die geknickten Bäume und umgestürzten Laternenpfähle, die demolirten Schiessstände, Kegel bahnen und der aufgewühlte Boden. Wahrlich, — so schreibt man von dort — es gehört ein unerschütterlicher Muth dazu, um auf solchen Stätten das Werk der Hände wieder zu beginnen, um furchtlos und unverzagt der Zukunft ins Auge zu schauen. Eine Mühle am Neisseufer stand völlig in den Fluthen; um die zweite Nachmittagsstunde war das Wasser sogar in die vorderen, bewohnten Gebäude eingedrungen. Die Höhe dos Wassers wird uns nach verlässlichen Pegolmessungen bereits am Abend des 17. Mai auf 90 cm angegeben, wäh rend das normale Maass 40 cm ist. Am Mittag des 18. waren aber die 120 cm des Pegels nicht nur erreicht, sondern sogar noch um 150 cm über stiegen. Auf der alten Neissebrücke hatten sich Hunderte von Menschen eingefunden, um den brandenden und schäumenden Wogen des Neisseflusses, welche die verschiedenartigsten Gegenstände, als Tische, Bänke, Stühle, Bett stellen u. s. w. mit sich führten, zuzuschauen. Mittags um 1 Uhr hatte das Wasser am Pegel eine Höhe von 3.40 m erreicht, etwa 3 /4 Meter weniger als am 14. Juni 1880. Um diese Zeit war das Wasser nicht mehr im Steigen begriffen, es blieb vielmehr einige Zeit auf derselben Höhe stehen. Eine in der Nähe dieser Brücke verlaufende Strasse stand ganz unter Wasser, die an das rechte Ufer anprallenden Fluthen haben am Wege durch Unterspülen der Uferböschungen für den Verkehr äusserst gefährdete Stellen erzeugt; in die Parterreräumlichkeiten der an beiden Ufern der Neisse befind lichen Fabriken und Häuser sind die ungestümen Wogen eingedrungen. In der dritten Nachmittagsstunde hatte in den Bleichen das Wasser eine gewaltige Höhe erreicht, dort waren ebenfalls die Parterrefenster nicht mehr zu sehen. Ein Bad wurde von den Fluthen vollständig mit fortgerissen. In der Stadt selbst hat das Hochwasser argen Schaden angerichtet. Jedenfalls infolge der grossen und mit so gewaltiger Heftigkeit ankommenden Wassermassen, welche einem Kanäle in der Blumenstrasse zuflossen, ist derselbe defect geworden, sein Inhalt ergoss sich zum grössten Theile in die Keller dieser Strasse. Durch die Ueberfüllung des Pontekanals wurde ein Fabriketablissement unter Wasser gesetzt, wobei ein erheblicher Schaden entstanden ist. Die Rauschwalder- strasse, die Emmerichstrasse haben stark unter dem Hochwasser gelitten, in der Nähe eines Schulhauses auf der Reichenbergerstrasse hatten sich bedeutende Erdmassen losgelöst. Eie letzten Nachrichten über die Verheerungen im Neissethale gehen uns aus Rothenburg zu. Dort war die Nachricht von der Ankunft des Hochwassers bereits am Vormittag eingelangt, so dass man Vorkehrungen treffen konnte. In den späten Nachmittagsstunden begann der Neissespiegel sich zu heben, Abends 10 Uhr stieg das Wasser rapid und erst in den frühen Morgenstunden des 19. Mai fing es an zu fällen. An der Tormers- dorfer Brücke wurde ein Theil des Dammes weggeschwemmt und ein Eis brecher vernichtet. Besonders hat das Wasser auf den zum Nie der vor werk gehörenden Aeckern viel Schaden angerichtet. Wir kehren nun wieder zurück auf sächsisches Gebiet und lenken unseren Blick auf die Vorgänge im Pliessnitzthale. 4. Das Hochwasser der Plicssnitz und ihrer Zuflüsse. Waren schon die Berichte über die Verheerungen im Mandau- und Neissethale und in deren Zuflussthälern dazu angethan, die Gewalt einer Wasserkatastrophe in ihrer ganzen Furchtbarkeit zu zeigen, so übersteigen die Mittheilungen aus dem Pliessnitzthale diese noch bei weitem. Von den Sammelflüssen zur Petersbach haben nur der Ruppersdorfer Dorfbach, der vom Fusse des Kottmar kommt, und der Grosshennersdorfer Dorfbach stärkere Wassermengen der Pliessnitz zugeführt. Die von den Ab hängen des Wolfsberges kommenden Zuflüsse haben keine derartigen Mengen geführt, dass sie für die Bewohner der an den Ufern angebauten Orte gefahr bringend gewesen wären. In Ober- und Niederstrahwalde hat der Bach die Ufer überhaupt nicht verlassen, seinen höchsten Stand erreichte er in Nie derstrahwalde (Mitte des Dorfes) in der 12. Stunde. In Berthelsdorf schwoll der Dorfbach nur stark an, verliess aber auch hier seine Ufer nicht.