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Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Redaktioneller Teil. X» 268, t7. November 1921. Herr Georg Ernst begrüßte als Vorsteher der Korporation die Erschienenen. Es dankte namens des Börsenvereins Herr Hofrat vi. Meiner und namens der Ortsvereine Herr Schae- d er-Dresden (Burdach). Daran schloß sich im Laufe des Abends noch eine große Anzahl teilweise sehr launiger und witziger Ansprachen, über die sämtlich im einzelnen zu berichten hier freundlich erlassen werden möge. Das Beisammensein war auf einen sehr herzlichen, harmonischen Ton gestimmt und wird den Teilnehmern in angenehmster Erinnerung bleiben. Die Freude am »positiven Schassen« wurde immer wieder betont, das so viel wertvoller ist als alle bloßen Organisationsgefechte, die sonst im Mittelpunkt zu stehen Pflegen. Wie weit alles Trennende vergessen war, konnte man auch daraus ersehen, daß durch einen neckischen Zufall die Vertreter der Arbeitsgemeinschaft kultureller Verleger, der schönwissenschaftlichen Gruppe und der Arbeitsge- meinschast zur Regulierung der Verkaufspreise friedlich neben, einander zu sitzen gekommen waren und sich ausgezeichnet unter- hielten. Ein gutes Zeichen für die Zukunft. Zur Unterhaltung trug auch viel die Sondernummer der »Lustigen Blätter- bei, die den Teilnehmern überreicht worden war. Über die Ausstellung selbst erhielten wir von unserem Ber ltner Berichterstatter folgenden Bericht: Herbstschau. Draußen ist darüber Winter geworden. Schnee liegt auf den Dächern, Schnee rieselt in stechenden Kristallen aus dem dunklen Novemberhimmel. Man friert und fröstelt, vergräbt seine Hände tief in die Manteltaschen und steigt in die sonnabend- lich überfüllte Elektrische. Die Abendzeitungen berichten, daß der Reichspräsident der schlichten Eröffnungsfeier der Herbst schau »Buch und Bild« beigewohnt hat, mit ihm Vertreter der Reichs- und Staatsregierung. Das ist ein Lichtstrahl, einer von den ganz seltenen dieser Zeit. Denn solche Besuche verpflichten. Einerseits (wenn man die Behörden darunter versteht) und andrerseits (wenn man wieder die Behörden darunter versteht). Haben die beiden blaßsarbenen Bengels, die seit acht Tagen von den Anschlagsäulen zum Kunstgewerbemuseum weisen, hoffnungs« froh gelächelt?! Ich weiß es nicht, denn sie hängen zu hoch oben — vielleicht von einer gutmütigen Kleberseele dahinge bracht, damit sie der wärmenden Sonne näher sind ... In jedem Falle: ein Kontakt zwischen Buchhandel und Reichsregie rung ist geschaffen, sie hat sich überzeugen müssen, daß es außer Gesetzesbüchern noch andere Bücher gibt, die Papier brauchen. Im übrigen drehen sich die Gespräche um den neuen Streik in den Gaswerken und um das kalte Mittagessen, das man für morgen erwarten kann. Hinterher wirbelt es durcheinander, Bücher, Bücher, Bilder . . . Wieviel hundert, tausend, Millionen, Milliarden Bücher und Bilder . . .? Das ist ja so gleichgültig! Anderes schasst den Wert: die Überzeugung, die man mitnimmt darüber, daß man stolz sein kann auf den deutschen Buchhandel, weil er unser gei stiges Erbe in Treue und mit Treue verwaltet und verwertet! Weil er nicht unterzukriegen ist von dem Gespenst der Teuerung, das in den Verlagsstuben und Papierfabriken, in den Druckereien und Buchbindereien zäher hockt als im Kaufmannsladen, wo man Ware mit Geld aufwiegt. Das tiefe moralische Gefühl verbietet dem Buchhändler, mit Büchern Wucher zu treiben, er feilscht mit dem Materiellen, um dem Ideellen zu nützen. Wenn jemand fragt: kann ich dieses oder jenes Buch kaufen — so sollte man eigentlich antworten: nein. Denn man kann ein Buch durch Bezahlung überhaupt nicht kaufen. Wohl die äußere Hülle, den Einband, das Papier, den Druck, aber das, was den eigentlichen Wert des Buches ausmacht — der innere Wert — bleibt immer unbezahlt. . . Ich traf einen Herrn, groß, gut gekleidet, mit seidener Kra- batte und Raglan. »Was will diese Ausstellung?« fragte er kühl. — »Sie will, daß Unberufene ihr fernbleiben.« ... Er ging seiner Wege und schüttelte den Kopf, der verständnislos über die Bücherstände hinausragte. Unberufen aber ist der, der nicht er faßt, was es bedeutet, wenn unser tief darniederliegendes Vater land in der Reichshauptstadt mit dieser Ausstellung das Gehirn seiner geistig schaffenden Kräfte von heute und je darlegt, um die Mißachtung der Bücher niederzukämpfen; der Bücher, von denen! ises einmal ein Großer, der Friedrich hieß, sagte: »Sie sind kein gerin ger Teil des Glückes« und ein anderer, Friedrich Ludwig Jahn, wenige Jahre später predigte: »Ein Volk, das ein wahres volks tümliches Bücherwesen besitzt, ist Herr von einem unermeßlichen Schatze ... Es kann aus der Asche des Vaterlandes wieder auf leben, wenn seine heiligen Bücher gerettet werden!« Der große Lichthof des Kunstgewerbemuseums und seine Nebenräume sind angefüllt von diesem »unermeßlichen Schatze«. Es ist die große Schau des Buchhandels, wie er wurde, seit der Krieg über uns kam und zusammenbrach, was war und was erhofft ward. In Reih und Glied ist der Verlagsbuchhandel aufmarschtert, Wappen alter Verlegergeschlechter stehen trutzig zwischen den farbenslammenden Panieren der Jungen und Jüng sten, deren viele hier zum ersten Turnier erschienen, für das es kei nen Preis gibt als den Weg zum Herzen des Volkes. Rund zwei- hundertundfünfzig Verleger sind aufmarschiert. Aus dem Westen und Osten, Norden und Süden, aus den Grenzlanden und Öster reich sind sie herbeigekommen, angesüllt mit den Werten ihrer Verlagshäuser und Offizinen und erfüllt von der Bedeutung dieser ersten wirklich großen Bücherschau für die Zukunft des deutschen Gesamtbuchhandels. Denn hier soll der Kontakt zwi schen dem umsatzfähigen Berliner Buchhandel und seinem Publi kum neu gewonnen werden, soll aber vor allem die natürliche Verwandtschaft zwischen Buchhandel und Presse neue Form ge winnen, um uns ein entfremdetes Publikum, die große Masse, zurllckzuführen. Man kann den Presseempfang, der der Eröff nung der Ausstellung voranging, die Traustunde einer Ehe nen nen, die in jungen Jahren versäumt worden war. Man mutz es in diesem Zusammenhangs auch dankbar begrüßen, wenn die amtliche Zeitschrift des Reichsverbandes der deutschen Presse — der stärksten und maßgebenden Redakteurorganisation — in die sen Tagen eine Sondernummer unter dem Namen »Buchhandel und Presse« herausgeben wird?) Kritik üben hieße hemmen. Hieße die große, glänzende Pha« lanx, die dort ausgereiht ist und in Nischen, Kojen und Winkel reicht, zerlegen und zerstückeln. Jeder Verlag, der hier ausge stellt hat, hat seine Berechtigung, seinen ihm eigenen Wert. Der Luxusverlag und der Spielbuchverlag, Hand in Hand stehen sie hier, und der Bildverlag der billigen Reproduktionen greift über zum Kunstverlag der kostbarsten Graphik. Freuen wir uns an dem Ganzen, an dieser Geschlossenheit, gehen wir nicht mit Ach selzucken dort vorbei, wo ein anderer andächtig verweilt! Jeder Mensch hat seinen Geschmack, und das wissen wir, daß jeder Verlag die ihm gegebene Richtung nach bestem Willen und Ge wissen vertritt. Das genügt uns, wenn wir diese prächtige Herbstschau des Buchhandels, die den engen Rahmen der Quali tätsschau sprengt, an unserm Auge vorüberziehen lassen, diesen Millionenwert deutschen Geistes und deutscher Kultur! Ein Amerikaner trat zur Ausstellung der Außenhandels- Nebenstelle für das Buchgewerbe. Dort ist an geschickt gewählten Beispielen aus dem schönwissenschaftlichen und wissenschaftlichen Büchermärkte ein Preisvergleich zwischen ausländischen und deutschen Bücherpreisen gezogen. »Ja aber — der Dollar ist doch drüben ein ganz anderer Wertmesser . . .» —»??!!» — Man gab ihm auf, das gleiche vorliegende Buch zum gleich billigen Preise in Dollar-Bruchwährung herzustellen, worauf er es vor zog, weiterzugehen. — Nicht weit davon hat der Börsenverein anschauliche graphische Darstellungen ausgehängt, die den Nach weis der Billigkeit des deutschen Jnlandbuches bringen. Es sind vergleichende Darstellungen von schlagender Beweiskraft. Sie in trockenen Zahlen hier wiederzugeben, hieße ihre Anschaulich keit beeinträchtigen. Diese graphischen Darstellungen bilden ge wissermaßen die Konzentration des Zweckgedankens der ganzen Ausstellung: die Meinung vom teuren Buche Lügen zu strafen. *) Verlag Julius Vollmer, Berlin-Friedenau. Das Studium dieser mit redaktioneller Unterstützung des Börsen- vereins hcranskommcnden Sondernummer sollte sich jeder Buch händler angedeihen lassen.