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7752 «örsnu LU s. d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. dem die Zeitungskaution. Warum deshalb, wenn solche Argumente gelten, die deutsche Presse davon entlasten? Österreich muß übrigens bei den Pflichtexemplaren aus dem Gerede bleiben. Österreich gewährt 50 Prozent Entschädigung für gewisse wertvoll ausgestattete Werke. Und wie steht es mit Frankreich und England im Vergleich zu Deutschland? In Frankreich ist der vornehmste Verleger für wissenschaftliche Literatur — und diese kommt vor allem in Betracht — der Staat, der den Brauch hat, höchst ansehnliche Summen darauf zu verwenden. In England liegt die Sorge für die ernsteren Aufgaben des wissenschaftlichen Verlags an den früher sehr einträglich privilegierten und seitdem sonst wohl situierten Universitäten, an den ähnlich gestellten Königlichen Instituten, Gesellschaften usw. Der französische und englische Verlagshandel beschränkt sich mit den Unternehmungen für eigene Rechnung auf das Feld der eigentlichen Buchhändler spekulation, so daß ein wissenschaftliches Werk ganz andere Chancen bieten muß als in Deutschland, um einen Verleger zu finden. Große Pariser Verleger setzen nur ihre Firmen auf die vom Staate bezahlten Unternehmungen, um dabei ein sicheres und gutes Geschäft zu machen; die englischen Verleger haben sogar für den Vertrieb solcher aus öffentlichen Geldern hergestellten Unternehmungen die uns nicht geläufigen Bezeichnungen: xud- Iwstei ok tÜL Iluivsrsit/, pudlisüsi ok tüo Olarenäou Urss8 usw. In Deutschland kann niemand Verleger der Universität Berlin und dergleichen werden, und ebensowenig ist dem deutschen Verleger Gelegenheit geboten, sich mit Stnatsgeldern den Leib zu erwärmen. In Deutschland ist die wissenschaftliche Literatur mit allen Dependenzen, sehr geringe Ausnahmen abgerechnet, bei denen dem Verleger in der Regel auch trotzdem das Haupt risiko bleibt, auf die Privatunternehmertätigkeit verwiesen. Das Geringste, was der Privatunternehmer unter solchen Umständen sollte verlangen können, ist, daß der Staat seine Bibliotheken hinlänglich dotiere, um auf sie als Käufer rechnen zu können. Statt dessen werden ihm zwei und mehr Freiexemplare abverlangt von Werken oft in 100 bis 300 Exemplaren Auflage, wo jedes Exemplar dem Verleger 20 bis 50 Taler und höhere Herstellungs kosten verursachen kann. Und je höher der Preis, um so mehr sind die Bibliotheken auf das 0xu8 erpicht, viel mehr erpicht,chls auf die von Oncken erwähnten kleinen Flugschriften, welche die Zeitstimmung dem künftigen Historiker in lebendiger Farben- srische vor die Seele führen. Auf dieses gegen Frankreich und England unterschiedliche Verhältnis gründet sich die besondere Unzufriedenheit des deutschen Verlagshandels hinsichtlich der Pflichtexemplare. Hiernach würde es sich auch erklären, daß, wie Oncken sagt, in keinem der drei Länder bis jetzt eine Klage gegen die Pflicht exemplare laut geworden ist. Das ist jedoch eine unmögliche Behauptung, selbst wenn die von ihm angeführte Tatsache fest steht, daß keine der dortigen parlamentarischen Körperschaften sich jemals mit der Beschwerde über dieselben beschäftigt habe. Haben die Freiexemplare imAuslande nicht den schneidigen Charak- te.r für die Privatinteressen wie im Deutschen Reiche, so werden sie nichtsdestoweniger als anomale Behelligung der Unternehmer tätigkeit empfunden werden.*) Ein internationaler Buchhändler *) Die Art, wie sich der Abgeordnete vr. Oncken auf die Vorgänge in anderen Ländern bezieht, kennzeichnet seine Berufung auf die Ab schaffung der Pflichtexemplare im Königreich Sachsen (November 1869). Er sagt: »In der (sächsischen) Regierungsvorlage war das Pflichtexemplar, das die Polizei verlangt, identisch mit dem Freiexemplar, das der Wissen schaft dienen soll. Die Folge war, daß mit dem Pflichtexemplar, das die Polizei verlangte, das Freiexemplar, das der Wissenschaft dienen sollte, verworfen worden ist, allerdings nur mit einer Mehrheit von acht Stimmen. So durchschlagend galt dieser Gesichtspunkt in der Ver sammlung, daß einer der Verteidiger der Regierungsvorlage sagte: ein solches Pflichtexemplar ist eine kleine Schikane, aber im Interesse der öffentlichen Ordnung kann sich der Buchhandel diese kleine Schikane 164, 17. Juli 1S08. kongreß würde trotz aller Ungleichheit der Verhältnisse in den verschiedenen Ländern dagegen entscheiden. Die weitere Be hauptung, daß man im Auslande den Kopf schütteln werde, wenn man von dem Anträge im Deutschen Reichstage höre, ist deshalb eine Hyperbel. Die ausländischen Sachverständigen werden nur dann den Kopf schütteln, wenn sie hören, wie die Dinge im Deutschen Reiche liegen. Englische Buchhändler, welche Leipzig besuchen, zucken schon die Achsel, wenn man ihnen schwer fällige wissenschaftliche Werke vorlegt und ihnen bemerklich macht, daß derlei in Deutschland nur im Wege des Privatunternehmens zustande gebracht werden könnte. Nicht minder wird man im Auslande den Kopf schütteln, wenn man liest, wie wenig Ver trauen der Abgeordnete Oncken in die deutsche Reichsvertretung setzt, daß sie die öffentlichen Bibliotheken hinlänglich zu dotieren geneigt sei, um dieselben von einer solchen Belastung der Privat unternehmer unabhängig zu machen. Hat man sich Wohl im Reichs tage überlegt, welche Opfer damit dem Reiche im Vergleiche zu seinen Mitteln angesonnen werden würden, namentlich dann, wenn man, wie in Österreich, dem deutschen Verleger wenigstens eine Entschädigung für kostspielige Werke böte? Für das Kopf schütteln über die Onckensche Apostrophe an den Reichstag haben wir einen ganz konkreten Anhalt. Th. Mommsen erklärte bekannt lich im Januar vor der Budgetkommission des preußischen Ab geordnetenhauses, daß für London der sechsfache Betrag von dein ausgeworfen sei, was die Dotation der Königlichen Bibliothek zu Berliu betrage, trotzdem an letztere höhere Ansprüche gemacht würden als im Auslande, und daß statt der jetzigen 20 000 Taler mindestens einmal 100 000 Taler bewilligt werden müßten, um den nötigen Komfort herzustellen. Diese Eröffnung mit ihren Einzelheiten hat im Auslande mehr als Kopfschütteln verursacht, wofür wir auf Wunsch mit dem für deutsche Ohren nicht sehr schmeichelhaften Wortlaut der englischen Quelle zur Verfügung stehen. schon gefallen lassen». —Das Pflichtexemplar für die Polizei, welches nach dem Abgeordneten Oncken verworfen sein soll, besteht in Sachsen nach wie vor für Zeitschriften mit Ausnahme der rein wissenschaft lichen, artistischen und technischen Organe. Selbst die Zeitschriften sind somit in dieser Beziehung nicht miteinander identifiziert worden. Noch viel weniger mit den Zeitschriften die Freiexemplare von Büchern an Bibliotheken, wie vr. Oncken anzunehmen beliebt. Für letztere wurde nach Art der Motive des Gesetzentwurfs ein Hauptakzent auf das materielle Moment gelegt, indem die Deputationsberichte beider Kammern die Pflichtexemplare an Bibliotheken als Besteuerung des Buchhandels auffaßten und verwarfen. In der Verhandlung beider Kammern zeigte sich die nämliche Auffassung. In der Zweiten Kammer war es der Antragsteller Plosz, welcher betonte, daß nach der Bundesgewerbe ordnung eine indirekte Steuer wie die der Pflichtexemplare unzulässig sei. Vizepräsident Streit schloß sich dieser Begründung an. Der Re ferent Biedermann bekämpfte die Pflichtexemplare prinzipiell als un würdig der Behandlung der Presse und ihrer Gewerbtätigkeit. Die Zweite Kammer verwarf sie darauf mit 34 gegen 26 Stimmen, aller dings «nur« acht Stimmen Mehrheit, aber immerhin bei dem Ver hältnis der Gesamtstimmen eine Mehrheit von Bedeutung. In der Ersten Kammer versuchte Prof. Heinze anachronistischer Weise aus dem staatlichen Schutz gegen Nachdruck einen Rechtsgrund für die Pflichtexemplare herzuleiten. Prof. Albrecht trat dem entgegen, indem er darauf verwies, der Schutz gegen Nachdruck sei kein Privilegium, für welches die Buchhändler den Staat besonders bezahlen müßten. Man sieht, in Sachsen lvar die Frage der Pflichtexemplare weniger neu und, wie der Abgeordnete v. Schulte meinte, unreif für die Be handlung als vier Jahre später im Deutschen Reichstage, und so von ungefähr sind sie hier nicht in Wegfall gekommen. Dabei kannte Sachsen nach seinem ehemaligen Gesetz nur ein Pflichtexemplar und schloß »Prachtwerke mit Abbildungen- davon ans, so daß die Steuer nicht halb das war, was sie inPreußen und anderswo ist. Das »Interesse an der Aufbewahrung der einheimischen Literatur- ist dabei keine Ge fahr gelaufen und wird noch weniger Gefahr laufen, wenn der Staat für die »einheimische Literatur» tiefer in den Säckel greifen will. Hierfür sind ihm weniger Opfer angesonnen, als den ausländischen Staaten, die diese Literatur teilweise aus öffentlichen Mitteln Herstellen müssen.