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sehen Zeitungswcsen, d. h. der „Presse" im engeren Sinne deS Wortes, deren Productionskosten im deutschen Reiche fast ausschließ-. , lich durch den Postdebit und die Colportage hcreinkommcn. Der Einwand, daß eine Trennung der Literatur nach Vcrtriebsmitteln durchaus ungehörig sei, ist hier sicherlich am Platze, zumal bei einer Classe literarischer Produete, nämlich den Untcrhaltungsblätter» mit und ohne Illustrationen, deren massenhafter Vertrieb durch die Col portage sich nicht entfernt schätzen läßt. Immerhin aber ist der eigentliche (ansässige) Buchhandel der wichtigste und vornehmste Fac tor des literarischen Verkehrs; er vermittelt den ganzen Bedarf der Schulen, der Universitäten, der Gelehrtenwelt und bietet mithin einen besseren Maßstab zurBcurtheilung des nationalen Bildungsdranges, als die übrigen Vcrtricbsarten (Postdebit und Colportage) jede für sich. Acht Millionen Thaler — wie viel in der Hand eines Ein zelnen, und doch wie wenig im Vergleich zu der Bedeutung, welche der Literatur in jedem gebildeten Lande zukömmt. Wenn man bc- bedenkk, daß unsere deutschen Zeltelbanken allein für ihre nicht durch baar gedeckten Noten jährlich an 6 bis 8 Millionen Thlr. Zinsen ein- slcckcn, ohne die geringste Mühe, und ganz abgesehen von ihren eigentlichen Bankgeschäften, dann muß man gestehen, daß der deutsche Vcrlagsbuchhandcl für jenen geringen Betrag der Na tion ein ehrliches Stück Arbeit leistet. Mit 8 Millionen Thlrn. wird ein ganzes Heer von Setzern und Druckern und Buch bindern, werden Tausende von Buchdruckerpressen unterhalten, viele Papierfabriken und mittelbar zahllose Lumpensammler in Bewegung gesetzt, von jenem Betrage bleibt Hunderten von geachteten Verlegern ein nicht unerheblicher Unternehmergcwinn und endlich — die Autoren! Wie viel bleibt für sie von den 8 Millionen? Ich glaube, nicht eine einzige. Aber warum schreiben sie auch Bücher, die Aermsten, warum sind sic nicht lieber Actionäre von Zettel- und anderen Banken geworden? Ist es! nicht viel angenehmer, eine Bank, denn ein Buch zu gründen? Aber so ist es einmal in dieser ungerechten Welt: Privilegien und Nor mativbedingungen sind nicht gewachsen für den gewöhnlichen Reichs- bürgcr; „Bücher druckt die Presse Wohl, Note» druckt sie nicht". Freilich die Actionäre werden wieder sagen: „Was wollt Ihr, Ihr fangt es nur ungeschickt an, macht Eure Bücher nicht zu dick und so pikant, daß sie von Actionären gekauft werden, — oder verwandelt Eure ganze Literatur in ein großartiges Actienunternehmcn, Grün- dungscapital 100 Millionen, Emissionscours 120, alles per Syndicat, dann kehrt Ihr auf immer der Schillerstiftung den Rücken." In welch' bescheidenen Grenzen sich die Kosten der literarischen Production bewegen, erhellt am besten aus dem Vergleich mit ein zelnen Aufwendungen für materielle Bedürfnisse. Den Werth betrag der gesammten Einfuhr des Zollvereins habe ich, unter Zu grundelegung von Engrospreisen, vor einigen Jahren auf ca. 580 Mill. Thlr. veranschlagt — siebenzig mal mehr als die Produc tionskosten des Buchhandels in Deutschland und einem großen Theilc Oesterreichs! Für unseren Kaffee zahlen wir an das Aus land etwa viermal so viel, als unsere Literatur herzustellen kostet, während der Betrag der Kaffcesteuer den in Rede stehenden Produc tionskosten etwa gleichkömmt. Die Branntweinsteuer wiegt in Noiddeutschland allein eine doppelt so große Summe auf. In den jährlichen Productionskosten der deutschen Baumwollenindustrie sind die Kosten des Verlagsbuchhandels mindestens sechsmal enthalten, in dem deutschen Rcichs-Militäretat etwa elfmal. Aus den Zinsen der französischen Kricgscontribution würden sich die Kosten unserer Literatur nach jetzigem Stand für acht Jahre, aus der gesammten Contribution aber für mehr als 160 Jahre (also beiläufig bis zum Jahre 2030) bestreiten lassen! Jene acht Millionen, welche wir der Kürze halber schlechthin als „Productionskosten" bezeichnet haben, stellen aber in Wirklich keit nur eine Jahrcseinnahme der Verleger dar; ob damit die Herstel lungskosten der in einem der letzten Jahre producirten Bücher völlig gedeckt sind, bleibt unentschieden. In keinem Geschäftszweig wird so viel „auf Lager" gearbeitet, als im Buchhandel; bei Büchern, die nicht momentanen Werth haben, ist die Calculation häufig so ange legt, daß die Kostendeckung erst im zweiten oder dritten Jahre nach der Publication, ein Gewinn aber erst im vierten Jahre re. eintritt. Der Verlagsbuchhändler ist gewissermaßen der Bankier der Civili- sation, er discontirt die von dem Bildungsbedürfniß der Gegenwart auf die Zukunft gezogenen Wechsel; freilich hofft er dabei ein gutes Geschäft zu machen, aber er speculirt in der Hausse aus den ideal sten Motiven, im Glauben an die Fortentwickelung der Menschheit — nämlich wenn er ein chrenwerther Verleger ist. Sein Geschäft nimmt Herz und Geist gleicherweise in Anspruch, er trennt sich von ihm viel schwerer, als der Fabrikbesitzer oder Großhändler, und noch seltener zieht er sich als Millionär in das sorgenlose äoles kur nients zurück; cs gibt nicht viele Verleger, die ein paar tausend Thaler verdienen können, ohne siewiedcr in Papier und Buchdiucker- schwärze anzulcgen. Der deutsche Bücherverlag gleicht vielfach dem alten und befestigten Grundbesitz — zäh hängt er sich, wie ein Fa- milienvermächtniß, von Generation an Generation. In diesem kon servativen Zuge liegen manche Gefahren, aber mehr noch Bürgschaf ten für gesunde, solide deutsche Entwickelung. Den Verkehr zwischen den Producentcn und dem Publicum ver mitteln fast ausschließlich die Sortimentsbuchhaudlungen. Es gibt wenige so mühsame, Geist und Nerven anstrengende, und doch ver- hältnißmäßig wenig einträgliche kaufmännische Geschäfte, wie das des „Sortimenters". Obschon mit anderen Beschränkungen aus der Zopfzeit das Staatscramen der Buchhandlungsgehilfen gefallen ist, so sind doch die Anforderungen des Publicums, und sicher mitRecht, dieselbe» geblieben: man setzt in jedem Buchhändler einen halben Gelehrten, mindestens einen universell gebildeten und literaturkun digen Mann voraus. Daher kömmt es auch, daß er im gesellschaft lichen Verkehr und Ansehen wesentlich höher rangirt, als der Kauf mann schlechthin — etwa wie der Apotheker; beide, Buchhändler und Apotheker, stehen mit einem Fuße auf dem Boden der Wissenschaft, und in der That haben wir aus ihren Reihen der wissenschaftlichen Forschung ganz ausgezeichnete Kräfte erwachsen sehen. Aber mit dem höheren Ansehen ist auch alles gethan — die Einnahmen des Sorti mentsbuchhandels sind unbedingt schlechte: im Verhältniß zu obigen 8 Millionen ist der ihm verbleibende Rabatt auf nur etwa 3 Mill. Thlr. zu veranschlagen, wovon nicht nur dieTransportkosten für alle verkauften und nicht verkauften (von den Kunden oft gelesenen und dann obendrein mit unangenehmen Bemerkungen zurückgegebencn) Bücher, sondern auch die Honorare für Gehilfen und Austräger, die Localmiethe, Annoncen u. s. w. zu bestreiten sind. Aus jede der ca. 2400 Buchhandlungen, die mit Leipzig in Verbindung stehen, kommen von der Rabatteinnahme von 3 Mill. Thlr. etwa 1250Thlr. — nun erwäge man, wie viel davon besten Falls für den Besitzer der Handlung und seine Familie sich a(s Reingewinn herausstellt! Für diese 1250 Thlr. sind jährlich über 10,000 Bücher zu bestellen, zu buchen, an Kunden zu versenden n. s. w., und — Hunderte von Mahnbriefen zu schreiben. Fragen wir nun endlich danach, wasdie Konsumenten selbst für die Literatur auswenden, so würden, wenn wir alsConsumtions- gebict für den Bruttobetrag von ca. 11 Millionen Thlr. nur unser Vierzigmillioncnreich annehmen, auf jeden deutschen Kops jährlich etwa 8 Sgr., auf jede Familie mehr als ein Thaler kommen — bei dem enormen Uebergewicht unserer ländlichen Bevölkerung doch viel leicht etwas mehr, als in manchem Nachbarrcich, und jedenfalls ein