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^ 190, 17. August 1896. Nichtamtlicher Teil. 4943 für deren Beschaffung eine Zeitung sich große Opfer auf erlegt, breit macht, dann kann diese Zeitung einem Konkurrenz unternehmen, das ihr die Kundschaft durch dieses Auffangen der Neuigkeiten abschneiden will, einen Prozeß wegen un lauteren Wettbewerbes anhängen. In ähnlicher Weise haben französische Gerichte letzhin das Recht der Tclegraphenagen- turen auf die Priorität der durch sie gesammelten Nach richten gewahrt, obschon diese Priorität sich nicht auf die Form der Nachrichten, sondern bloß auf ihren Inhalt bezieht (Droit ä'^utour, 1895, Seite 167). In zweiter Linie darf man nicht außer acht lassen, daß die Achtung, die man dem litterarischen Eigentum schuldet, doch nicht so weit geht, das Recht der wörtlichen Anführung von Stellen aus Geisteswerken (Citationsrecht) zu verkümmern. (Dieses Recht ist durch einzelne Gesetze, z. B. das italienische, Artikel 40, ausdrücklich gewahrt.) Diese Citate sind auf dem Gebiet der Litteratur wie auf dem Gebiet des Zeitungs- wescns in toleranter Weise überall da geschützt, wo es im Interesse der Polemik, der Berichtigung, der Kontroverse, der Kritik, der Diskussion, der Belehrung nötig erscheint. Endlich hat man auch die Solidarität in Betracht zu ziehen, die naturgemäß alle Zeitungen mit einander verbindet, da selbst das bescheidenste Organ dazu beiträgt, den gemein samen Fonds an lokalen und andern Nachrichten zu be reichern. »Wenn ein Journalist seine Meinung ausspricht« — so äußerte sich auf dem Kongreß von London im Jahre l879 Herr Claretie —, »daun tritt er nicht nur als Litterat, sondern außerdem noch als Politiker und Bürger auf; er hat sich dann auch nicht zu beklagen, wenn man seinen Artikel wiedergiebt, übersetzt, resümiert oder ummodelt, wenn mau ihm die größte Publizität giebt, wenn ein anderes Zeitungs unternehmen ihm seine Mithilfe angedeihen läßt und ihm seine Spalten öffnet. Jeder Artikel allgemeinen Lehrinhalts gehört der Gesamtheit. Niemand kann ohne Mißbrauch auf die Meinungen und die Ideen einen Zoll schlagen«. Ohne Herrn Claretie aus dieses Gebiet zu folgen, muß man doch anerkennen, daß in der Praxis die Zeitungen sich gegenseitig stillschweigend mit großer Freigebigkeit das Recht der Ent lehnung größerer oder kleinerer Artikel zugestehen. Welches ist nun bei dieser Sachlage die Aufgabe des Gesetzgebers? Er ist dazu berufen, jede Arbeit mit wirklich litterarischem Charakter, die in einer Zeitung erscheint, gegen Nachdruck, gegen geschäftliche Ausbeutung oder gegen eine aus einem andern Grunde vollführte gewaltsame Aneignung zu schützen, bestehe diese Arbeit nun in einem Leitartikel, in einer Korrespondenz, in einem Reisebericht, einem »Brief«, einem Gedicht, einem kritischen Aufsatz über Litteratur oder Theater, einer Studie über irgend einen Gegenstand aus dem Gebiet der Wissenschaft, der Litteratur oder der Kunst oder selbst der Politik?) Und alle diese Schriftwerke, die in Wirk lichkeit Darstellungen von Ideen enthalten, müssen gegen jede Raubunternehmung geschützt werden, ohne daß die Autoren durch eine Ausnahmemaßrcgel dazu gezwungen werden, das Eigentumsrecht an ihnen mittels eines besondern Vermerks sich vorzubehalten. Da aber auf journalistischem Gebiet die Entlehnungen und Citate eine so große Rolle spielen, so sollte diese Reform noch durch eine andere vervollständigt werden, die eine ebenso große Wichtigkeit hat, nämlich durch die obligatorische Angabe der Quellen, woraus diese Materien geschöpft werden, und durch Angabe des Autornamens, sobald der entlehnte Artikel unterzeichnet ist. Ist es nicht ein einfaches Gebot der Ehr lichkeit in seinem Stande, daß man auch sagt, was man von *) Herr CH aumal wendet sich mit guten Argumenten gegen das System, das den Artikeln politischen Inhalts (nitiois» äs äiseussion politigus) eine Sonderstellung zuweist und sie voll ständig schutzlos läßt. DletundsichMter JahrMgg- der Arbeit eines andern sich angeeignet hat, und daß man dieses Zwangsanlehen wenigstens mit der Erwähnung des ursprünglichen Werkes etivas aufwiegt? Deshalb dringt diese Reform auch immer tiefer in die Gepflogenheiten des loyalen Journalismus ein. llebrigens haben wir schon oben in unserer Zusammenstellung der Gesetze und Verträge gesehen, daß diese Maßregel in fast allen Ländern angenommen ist. Sie ist also reif, zum Gegenstand des internationalen Schutzes, der Kodifikation, gemacht zu werden. Nachschrift der Redaktion. Wir haben einleitend bei Anführung des neuen am 4. Mai 1896 in Paris ange nommenen Artikels 7 erwähnt, daß den vorstehenden Aus führungen in vieler Hinsicht Rechnung getragen worden ist. Die Feuilletonromane und auch die novellistischen Erzeugnisse dürfen nur noch mit Genehmigung des Autors abgedruckt werden; dagegen ist für die übrigen Artikel die Wiedergabe frei, sofern sie nicht das Verbot des Abdrucks tragen; aber auch diese freie Wiedergabe wird durch die obligatorische Quellenangabe einigermaßen korrigiert. Artikel politischen Inhalts, Tagesneuigkeiten und vermischte Nachrichten sind ganz frei. Kleine Mitteilungen. Stempelsteuer in Preußen. — In Betreff der Anwendung des neuen preußischen Stempelstcuergesetzes hat jetzt der Kultus minister an die Nachgeordneten Behörden einen Erlaß gerichtet, worin diesen für die Folge die genaueste Beachtung der einschlägigen Bestimmungen zur Pflicht gemacht wird. Wie es in dem Erlasse heißt, haben nach den gemachten Wahrnehmungen bisher die Stempelsteuer-Vorschriften «bei den Behörden nicht immer die jenige Beachtung gefunden, die das Interesse des Stcuerfiskus er fordert». Die Finanzvcrivaltung habe sich diesem Verhalten der Be. Hörden gegenüber bis jetzt im allgemeinen darauf beschränkt, die nicht verwendeten Stempel nachzufordern, ohne eine strafrechtliche Ahndung der Steuerhinterziehungen herbeizuführen. Für diese milde Praxis sei der Umstand maßgebend gewesen, daß die Unklarheit der bisherigen Stempelsteuer-Vorschriften ihre Anwendung in hohem Grade erschwert habe und deshalb vielfach angenommen werden mußte, daß der Staatskasse die ihr gebührenden Abgaben ohne böse Absicht vorent- haltcn worden seien. Diese Gründe seien aber weggefallcn, nachdem jetzt das gesamte Stempelsteuerwesen übersichtlich geregelt und damit jedem Beamten die Möglichkeit gegeben sei, sich über die steuerliche Behandlung der bei seinen Amtshandlungen vorkommenden Urkunden oder der von ihm namens einer Behörde abgeschlossenen Verträge zu unterrichten. Seien jedoch im Einzelfalle über die Stempel pflicht noch Zweifel vorhanden, so könnten diese jetzt sehr leicht beseitigt werden, da allen Hauptämtern wie Stempel- steuerämtern die Pflicht auferlegt sei, aus Anfragen Auskunft über die Versteuerung zu erteilen. Der Einwand, daß die Beibringung des erforderlichen Stempels nicht aus Absicht, sondern aus Unkenntnis der gesetzlichen Bestimmungen unterblieben sei, werde daher in Zukunft nicht mehr so allgemein wie bisher mit Erfolg geltend gemacht werden können, weshalb die Nachgeordneten Behörden jetzt Sorge zu tragen hätten, daß die an der Ausführung des Gesetzes beteiligten Beamten sich mit den Ausführungs-Be stimmungen genau vertraut machen. Professor Lombroso und Herr Crsp ien-Jamin. — Zu der auch in diesen« Blatte mitgeteiltcn Verurteilung des bekannten Turiner Professors Lombroso durch ein französisches Gericht wegen übermäßiger Citierungcn aus einem Werke Crspien-Jamins wird der Vossischcn Zeitung aus Paris ausführlich berichtet. Wir entnehmen dieser Darstellung folgendes: In Nouen lebt ein Zahnarzt Namens Crspicn-Jamin, der sich in seinen Muße stunden neben anderen Dingen auch mit der Handschriften deutung beschäftigt. Er hat ein Buch über diesen Gegen stand geschrieben, das den Titel trügt: «ll'Loriturs st is Oüraotörs-, -Die Handschrift und der Charakter«. Die Gerechtig keit erfordert, zuzugeben, daß das Buch nicht schlecht ist. Neben willkürlichen Deutungen, die sich wissenschaftlich noch nicht be gründen lassen und die Vorbehalte des ernsten Lesers heraus fordern, findet sich darin ungefähr alles zusammengetragen, was über Graphologie zur Zeit bekannt ist. Der geschichtliche Teil macht den Wert des Buches aus. Er ist fleißig gearbeitet und vollständig. Der Verfasser hat außerdem zahlreiche Schriftproben berühmter Persönlichkeiten gesammelt und in treuen Nachbildungen seinem Buche eingefügt. Nun hat vor einiger Zeit Professor Lesarc 672