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9926 BSrsrnil-U s. d. Dtschn. Buchh»»d-r Mchtamtlicher Teil. ^ 203, 2. September 1910. Rede stehenden Frage sehr oft die nationale Seite betont. Man ist nun freilich heute nicht mehr so unwissend, die Fraktur als eine ursprünglich deutschnationale Schrift auszu geben, wie das früher geschah; aber um den nationalen Grund nicht zu verlieren, sagt man nun: die Fraktur ist zwar keine ursprünglich den Deutschen eigentümliche Schrift, aber dadurch, daß andere Völker sie aufgegeben haben, ist sie zu einer deutschen geworden. Ich muß gestehen, daß mir diese Beweisführung nicht sehr schlagend erscheint, aber ich verstehe vollkommen, daß die Anhänger der Fraktur um jeden Preis das nationale Mäntelchen retten möchten, das man ihnen durch die Aufdeckung ihres Irrtums entrissen hatte, weil ihnen nicht viel anderes zur Deckung ihrer Blößen bleibt. Die Paläographen haben es längst aufgegeben, von nationalen Schriften in dem Sinne von Etgenerzeugnissen der Langobarden, Westgoten und Franken zu sprechen. »Wie das ganze Kanzlei- und Urkundenwesen der Merowinger auf römischer Grund lage ruht, so ist es auch die römische Kursivschrift, deren man sich in dieser Kanzlei bediente,") Und was nun dis Behauptung betrifft, daß die Fraktur schon unter Karl dem Großen in den Windeln gelegen habe, so ist allerdings unter diesem Kaiser eine Schriftreform eingetreten, aber in der Weise, daß die römische Majuskelschrift kräftig wieder ausgenommen und sie von allen Undeutlichkeiten ver ursachenden Floskeln befreit wurde. Weiter gelangte dann in der Folge die Minuskelschrist zur Ausbildung, die in der römischen Kursiv ihr Vorbild hatte. Professor Sickel, eine Autorität auf paläographischem Gebiete, hat die wohl begründete Behauptung ausgesprochen, daß man »den Römern, wenn nicht die Erfindung der Minuskel, so doch einen frühzeitigen und großen Einfluß an der Ausbildung und Verbreitung derselben beilegen« müsse. »Italien ist das Heimatland der Minuskel«, sagt er ein andermal. Und wenn nun nach dem zehnten Jahrhundert die Rundungen der Buchstabensormen eckiger werden, so beschränkte sich diese Entwicklung nicht auf Deutschland, sondern wird auch in Frankreich, Italien und Spanien beobachtet. Mit den Goten haben bekanntlich diese »gotischen Lettern« nichts zu tun. Der gotische Stil hat seinen Namen von den Italienern, die damit spottweise den Barbarismus ausdrücken wollten, den sie in der Gotik erblickten. Sie glaubten, nur rohe Barbaren wie die alten Goten hätten solche Werke Hervorbringen können. Bon diesem »Rest mittelalterlicher Geschmacklosigkeit«, wie Professor Wilmans die Fraktur nennt, von dieser ent- arteten Künstelei haben sich alle anderen Völker wieder befreit; nur die Deutschen glauben darin etwas ganz besonders Schönes zu besitzen. Wie es mit der Behauptung steht, daß »die wichtigsten Werke unseres ältesten Schrifttums meist in der gebrochenen karolingischen Schrift« niedergelegt sind, illustriert ein Werk, Las soeben sein Erscheinen begonnen hat: Deutsche Schrist- tafeln des 9. bis IS. Jahrhunderts aus Handschriften der k. Hof- und Staatsbibliothek in München, herausgegeben von Erich Petzet und Otto Glaunig. Die vorliegende erste der fünf Abteilungen enthält in 15 Lichtdrucktafeln Reproduktionen von althochdeutschen Schriftdenkmälern des neunten bis elften Jahrhunderts. Es befinden sich darunter das Wesso- brunner Gebet aus dem achten oder neunten Jahrhundert in der karolingischen Minuskel, Muspilli und Heliand aus dem neunten Jahrhundert, Otfrieds Evangelienharmonie, zwischen 902 und 905 geschrieben, eine Probe von Notkers Pmlmen aus dem elften Jahrhundert. Keine der 15 Proben verleugnet die Antiqua, und sie könnten noch vielfach ver mehrt werden. ") Bretholz, lat. Paläogr. in Meister, Grundriß der Geschichts- wissenschast, i. I. Halbband. S. 9«. Mit dein Patriotismus hat die Entscheidung der Frage der Abschaffung der Fraktur, das kann nicht oft genug wiederholt werden, nicht das mindeste zu tun, und die Be strebungen, die Abschaffung der Fraktur als »oolksverräterisch« zu brandmarken, können wirklich nicht ernst genommen iverden. Lediglich praktische Gründe können für die Beantwortung unserer Frage maßgebend sein. Bisher hatte man die An schauung, daß einer Schrift, deren Bilder in weiterer Ent fernung entziffert werden können als andere Schriftbilder, die deutlicheren Formen zuerkannt wurden. Soennecken hat in seinem schon 1881 erschienenen Werke festgestellt, daß, wenn die Antiqua-Buchstaben noch auf 143 cm Entfernung gelesen werden können, das Entziffern der Fraktur nur mehr auf 115 om möglich ist. Nun werden wir von Herrn K. oder von ungenannten Schriftsachverständigen belehrt, daß die Deutlichkeit der Schriftbilder mit dem Lesen nichts zu tun habe, ja daß »die größere Einfachheit der Form der Schrift zeichen, bzw. die größere Leichtigkeit, sie zeichnend oder schreibend wiederzugeben, nicht leichtere, sondern schwerere Erkennbarkeit und Lesbarkeit bewirkt». »Daß du die Nase in's Gesicht behältst», würde Onkel Bräsig sagen. Also braucht man die Buchstaben für das Auge nur recht schwer faßlich zu machen, dann kann man sie am besten lesen! Zur Illu stration dieser unglaublichen Behauptung machen wir gleich die Probe: SCHRJFTFORM und 80URIb"1ll?Oiru. Hier find die erwähnten Bedingungen ideal erfüllt. Die Buchstaben rechts können sicherlich den Anspruch erheben, mit bedeutend »größerer Leichtigkeit zeichnend wiedergegeben« zu werden als die Buchstaben links. Also müßten sie bedeutend schwerer erkannt und gelesen werden! Herr K. scheint aller dings dieser Meinung zu sein; denn er sagt einige Zeilen weiter: »deshalb ist die deutsche Schrift besonders in ihren kleinen Buchstaben leichter erkennbar als die abgerundete lateinische Schrift«. Er stellt also die Behauptung auf, daß auch die großen »deutschen« Buchstaben leichter erkennbar sind als die »lateinischen»! Man stelle sich ein Straßen schild vor: ALBERTUS MAGNUSSTRASSE. Warum mag man wohl auf Münzen, Schildern, Stempeln, Land karten, Straßenschildern usw. ausschließlich die undeut lichere Antiqua verwenden? Ebenso wird von Herrn K. das, was man bisher für einen Mangel der Fraktur ansah, zu einem Vorteil: »die kleinen scharfen Ecken, Kanten, Häkchen, eckige (dreieckige, rautenartige) Verdickungen der senkrechten Striche, schnörkel artige Zollsätze und Abschlüsse, zahlreiche Ober- und Unter längen sowie andere kennzeichnende Anhängsel, sämtlich Eigen schaften, die das Hinmalen derselben aus dem Kopfe zwar etwas erschweren, die Unterscheidung und Erkenn barkeit beim Lesen aber erleichtern«. Also auch hier die Behauptung: nicht das einfache, dem Gedächtnis sich leicht und tief einprägende Bild des Buchstabens ist das deutlichere, sondern dasjenige, das man sich im Kopfe nicht vorstellen kann! Und ist es denn wahr, daß diese Ecken und Kanten schärfere Unterscheidungen ermöglichen? Das Gegenteil ist der Fall, wie man sich wiederum durch den Augenschein sehr leicht überzeugen kann. B, V, R, N, M, W, C, E, s, f, b, d, k, t, daneben 8, V, R, kl, LI, V, 0, 8, s, k, l>, ä, Ir, t, halte man g, p, q, a, o, n, u, r, x; 8, k, 4: 2, o, n, a, r, r. Trotzdem lesen wir bei Herrn K. wörtlich: -Die Groß buchstaben der Lateinschrift sind weniger gut zu unter scheiden als die der deutschen Schrift, die Buchstaben ä, b, p, q, b, ll leicht zu verwechseln«. Ich habe deshalb die ersten Beispiele vorstehend mit ausgenommen, damit sich jeder von dem Gegenteil auch hier überzeugen kann. Folgerichtig