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3986 Nichtamtlicher Teil. 90, 20. April 1906. andern Zeichnungen mit Sicherheit wiedergegeben hat; 1904 Msrim^es korsischen Roman »6olombs«, in dem Vierge in etwa 60 Bildern die Vielseitigkeit seines Talents voll ent falten konnte. Wie die Verlagsfirma Conquet Vierges erstes mit der linken Hand illustriertes Werk herausgegeben hat, so ist auch dieses letzte aus ihrem Verlage hervorgegangen. Aber die großartigste Schöpfung nach des Künstlers Wiederherstellung, sein Bedeutendstes überhaupt und vielleicht auch das, in dem er sein ureigenstes Können, sein Genie in bewundernswertester Weise äußern konnte, ist sein Don Quijote. Der Verfasser widmet diesem, gleichwie früher dem Pablo de Segovia, ein besondres Kapitel. »Don Quijote«, sagt er im Eingang desselben, »ist Spanien: Don Quijote, seiner Zeit eine schimärische Posse, ist für uns das Werk gewaltiger Philosophie, ein Drama der Menschheit ge worden .... Don Quijote, der denken macht, nachdem er uns erst zum Lachen gebracht hat, ist, vom Erhabenen ins Lächerliche gezogen, vom Lächerlichen wieder zum Erhabenen emporgestiegen, Don Quijote de la Mancha ist wieder ge worden ^.lonro HuirLU0-Ie-6oll, und seine Rosinante erscheint uns als Zentaur. . . . Den rüden Bauern der Mancha gilt er noch heute als ein Nationalheld, von dessen Leben und Taten sie ebenso felsenfest überzeugt sind wie die Schweizer der Vierwaldstätte von der geschichtlichen Existenz ihres Wilhelm Tell«. Vierge hat das Erscheinen dieses seines Hauptwerks, das einen Beitrag zur Dreijahrhundertfeier des spanischen Meisterromans zu bilden bestimmt war, nicht mehr erlebt Er hat ihm zehn Jahre lange Vorarbeiten gewidmet und die Mancha besucht, wo er in Gemeinschaft mit seinem Freunde August Jacacci den Spuren des ingeniösen Ritters- manns nachgezogen ist. Seine Reiseroute war die des Don Quijote und seines Dieners Sancho; nur so glaubte er ein wirklich treues Abbild von deren Taten und Abenteuern schaffen zu können. Das Ergebnis dieser Reise hat er, ge wissermaßen als Vorwort zum spätern Hauptwerk, im Jahre 1897 zuerst im »lloui- äu Llonäs«, dann als Buch unter dem Titel »L.u psvs äs von Huiobotts« veröffentlicht, wo wir die Reise des Kommentators des Ritters von der trau rigen Gestalt von Ort zu Ort verfolgen können, von Ciudad Real, der Hauptstadt der Mancha, nach Manzanares, nach Argamasilla, wo er in der Oass äs Nsärnno in das dunkle Kellerverließ hinabgestiegen ist, in dem Cervantes Jahre der Gefangenschaft verbrachte und seinen Don Quijote wohl erdenken, nicht aber niederschreiben konnte, weil ihm hierzu alles fehlte, Feder, Papier und vor allem das Licht. Der Madrider Verleger Ribadeneira hat die sonderbare Idee ge habt, hier in diesem Keller im Jahre 1864 zwei Buchdruck pressen aufzustellen und zwei Ausgaben des Don Quijote zu drucken, die man mit Fug und Recht »Wiegendrucke« nennen könnte, sind sie doch an dem Ort hergestellt worden, der die Wiege des Don Quijote bedeutet. Vierges Don Quijote wird von der Firma Hachette L Cie. eifrig vorbereitet; er umfaßt 260 Zeichnungen, in denen der Künstler sich selbst übertroffen zu haben scheint. Welcher Gegensatz zwischen ihnen und den naiven, jedoch interessanten Kupferstichen der ersten illustrierten Ausgabe des Werkes, die Juan Montmarte im Jahre 1662 in Brüssel verlegt hat, deren Urheber wir aber leider nicht kennen! Wir sind beim letzten Kapitel angelangt, »Ooulsur st vurin«, wo de Marthold Vierges Betätigung auf dem Ge biete des Aquarells, der Ölmalerei und der Radierung schil dert und überall des Meisters große Kunst, die Farbe, hervor leuchten läßt, die auch der großen Mehrzahl seiner nicht farbigen Werke in hohem Maße eigen ist. Wir haben eine An zahl Aquarelle von ihm, die man dreist neben das Beste stellen kann, was diese liebenswürdige Kunst hervorgebracht hat. Die Kunst der Ölmalerei hat er nur selten geübt, immerhin einige gute Porträts gemalt. Dagegen hat er sich in der Radierung, in deren Geheimnisse ihn sein Freund, der große Meister Boutet, eingeführt hat, mit viel Glück versucht. Dem vorliegenden Werke ist eine Anzahl seiner Original-Radierungen beigegeben, die sein entschiedenes Ta lent für diese Kunstgattung bezeugen. Der Autor geht nunmehr das gesamte Jllustrationswerk Vierges in den französischen und ausländischen Zeitschriften nochmals sum marisch durch und führt dabei einige besonders hervorragende Holzschnitte mit ihren Titeln an. Außer für den vielfach erwähnten Lloaäs illustrs zeichnete der Künstler für V'Illu- strstion, lonr äu Llonäs, NnFsein pittorssqns, Nnsös äs ks- rnills, Vis woäsrns, Llossiqus, Illnstrstion sspnAnols st »mkri- osins, Vsrpsr's, Loribnsr's, Osntur^-Nsgsrius, Lostkolio. Zum Schluß nennt uns de Marthold noch die jenigen Werke, die der Meister, der im Jahre 1904 einem Rückfall seines Leidens zum Opfer gefallen ist, unvollendet hat zurücklassen müssen, oder deren Erscheinen wenigstens er nicht mehr hat erleben dürfen. Den »Don Quijote« haben wir hiervon bereits kennen gelernt; hierzu gehört ferner die Novelle Msrimses »vss ^.WS8 än Lnrzstoirs« und eine Reihe von Illustrationen zu »Carmen«, die beide ihn wieder ins Land seiner heißblütigen und stolzen Landsleute geführt haben und ihm zum letztenmal, gleichsam zum Ab schied vom Leben, Gelegenheit gegeben haben, seine erstaunliche Beherrschung des spanischen Lebens und der spanischen Landschaft zum Ausdruck zu bringen, an denen er mit der großen Liebe seiner Künstlerseele bis zu seinem letzten Atemzuge gehangen hat. Und so haben wir die »Seelen des Fegfeuers« als sein Testament zu betrachten, als seinen letzten künstlerischen Gruß an die Heimat. Er war gerade mit der Darstellung eines Leichenzuges für dieses Werk beschäftigt — der Herzog von Grandia im offnen Sarge —, als der neue Schlaganfall ihn von der Arbeit abrief, diesmal für immer. Am 2. Mai 1904, nachdem er vorher noch den Tod seiner für ihn nach Paris gekommenen Mutter hat beklagen müssen, nachdem er von der Wieder kehr des Frühlings vergeblich neue Heilung erhofft hatte, ist er einem letzten Anfall erlegen, im Alter von 53 Jahren, leider viel zu früh für die Kunst und für die große Masse derer, denen sein Griffel die schönsten und reinsten Freuden — denn jungfräulich wie sein Name ist auch seine Kunst stets geblieben — in reicher Fülle gebracht hatte. So haben wir in großen Zügen das Wichtigste aus de Martholds Monographie dargestellt, um das Interesse derjenigen zu wecken, denen der Meister mehr oder weniger fremd gewesen ist. Das schöne Buch bietet all diesen die beste Gelegenheit, tiefer einzudringen in das reiche und großartige Werk des französischen Zeichners, der neben Gustave Dors genannt zu werden verdient und Johannot, Lenoir, Robida und viele andre berühmte französische Namen über strahlt. Wie schon im Eingang dieser Betrachtung betont wurde, gibt uns aber de Marthold mehr als eine bloße Beschreibung von Vierges Leben und Arbeit. Eine außer ordentliche Sicherheit auf dem Gebiet der ältern und neuern Literatur Frankreichs und namentlich Spaniens, und neben der Gabe, uns hierfür zu interessieren und zu begeistern, einen Reichtum der Sprache, einen Elan in der Ausdrucks weise, dem zu folgen manchmal sogar Schwierigkeit macht. Sie bewirken, daß wir das Buch nicht aus der Hand legen, bevor wir es bis zur letzten Zeile gekostet haben, und nicht ohne daß wir vielerlei wertvolle Belehrungen und An regungen aus der französischen und spanischen Literatur geschichte als dauernden Gewinn zurückbehalten hätten. Auf einzelne der etwa 125 Illustrationen, die mit ^ Geschick aus dem vielseitigen Lebenswerk des Künstlers aus-