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Redaktioneller Teil. 3. April 1918.' daß also der Wahl eines Vorstandsmitgliedes nach Ablauf seiner Amtszeit in ein anderes Vorstandsamt statutarische Bedenken nicht entgegenständen. Ohnedies hätten wir jetzt ganz außer ordentliche Zustände, und wir sollten froh sein, wenn ein Mann, der sich so im Amte des I. Vorstehers bewährt habe, geneigt sei, noch einmal die Last eines Vorstandsamtes auf sich zu nehmen. Hätten wir nicht Krieg, und wären die Schwierigkeiten der Be setzung von Vorstandsämtern nicht so groß, so würde auch Redner vielleicht mehr dem Geiste der Satzungen nachgehen, als ihrem Wortlaut. Heute aber, wo in allen gesetzgebenden und verwal tenden Versammlungen Burgfriede herrsche und wo in sehr vielen der alte Vorstand einfach für ein weiteres Jahr bestätigt würde, könne auch der Börfenverein in ähnlicher Weise Vorgehen. Er empfehle also dringend, die Vorschläge, die der Verband der Kreis- und Ortsvercine gemacht, und die, wie er zu seiner Freude gehört habe, auch vom Wahlausschuß gebilligt würden, anzunehmen. Es sprechen zu diesem Punkte noch die Herren Mangelsdors und Nit schmann. Herr vr. Paetel verwahrt sich noch gegen den Vorwurf, persönlich gegen Herrn Sicgismund vorgegangen zu sein, er habe lediglich betont, daß sich die beabsichtigte Wiederwahl nicht mit dem Geiste der Satzungen in Einklang bringen lasse. Herr Webe r und Herr vr. Votiert sprechen ebenfalls da für, daß der jetzige Vorstand in seiner jetzigen Zusammensetzung er halten bleiben solle, und der letztere erwähnt noch besonders, daß man Herrn Siegismund dankbar sein müsse, wenn er sich wieder wählen lasse und das Opfer bringe, von dem Platze des 1. Vor stehers zu dem des 2. herniederzusteigen. Herr vr. Bollert stellt folgenden Antrag: »Die Versammlung erklärt sich damit einver standen, daß Herr Geheimrat Siegismund zur Ostermesse zum 2. Vorsteher des Börsenvereins gewählt wird, und spricht ihm ihren Dank für die Bereitwilligkeit aus, das Amt des 2. Vor stehers anzunehmen«. Es spricht noch Herr Koebner, der einige Fälle aus der Praxis anführt, in denen ähnlich gehandelt worden sei. Auch er glaube, daß man Herrn Siegismund für das zu bringende Opfer nur dankbar sein solle. Es sprechen noch die Herren Staar, vr. Ullstein, Fraenkel, Mangelsdorf und Fritz Springer, der ebenfalls die geplante Wahl nicht mit dem Geist« der Satzungen Vereinen kann und der es gleichfalls für wünschenswert hält, daß neue Leute in den Vorstand kommen. Er ist deshalb nicht für den Antrag Vollert, sondern dafür, daß ohne Neuwahlen der jetzige Vorstand einfach noch ein weiteres Jahr im Amte bleibe. Da sich gegen diese Lösung juristische Bedenken geltend ma chen, muß von dem Vorschläge des Herrn Fritz Springer abge sehen werden, und der Antrag Vollert wird mit 35 gegen 15 Stimmen angenommen. Zu Punkt 2 der Tagesordnung nimmt wiederum im Namen der Antragsteller Herr vr. Paetel das Wort. Er wünscht, daß Anregungen zu Neuwahlen von Berlin ausgehen sollen und Berlin sich das Recht wahren müsse, dem Wahlausschuß Kandidaten vorzuschlagen. Er regt an, die Horcht« Versammlungen künftig interessanter und anregender zu gestalten und macht den Vorschlag, nicht nur ausnahmsweise, sondern ständig außerordentliche Hauptversammlungen einzuberufen, in denen man sich unter anderem auch rechtzeitig über die Frage der Neuwahlen schlüssig machen könne. Die Herren Koebner und Prager weisen auf die Schwie rigkeiten hin, die sich dem Wunsche des Herrn vr. Paetel nach außerordentlichen Hauptversammlungen entgegenstellen, namentlich aus die Unlust vieler Mitglieder, die Hauptversammlungen zu be suchen, welcher Umstand jetzt sich in etwas zu bessern scheine, was Wohl eine Folge der Satzungsänderung sei, die nunmehr das un- entschuldigte Versäumen einer Hauptversammlung mit einem außerordentlichen Beitrage von 2 belege. Jedenfalls wird der Vorstand der Vereinigung die Anregung des Herrn vr. Paetel prüfen und tunlichst berücksichtigen. Herr vr. Vollert als Vorsitzender des Wahlausschusses muß bei seiner Meinung bleiben, daß es ein« Stelle geben müsse, die die Wahlen vorbereitet: Es sei unmöglich, zu einem 382 ^ 77, Ziel zu kommen, wenn jeder einzelne Verein einen Beschluß in dieser Hinsicht fasse. Punkt 4 der Tagesordnung wird der späten Stunde wegen von der Tagesordnung abgesetzt. Schluß der Sitzung IM Uhr. Was ich in Belgrad sah. Von Anton Lübke. Belgrad, im Februar 1916. Ein dienstfreier Nachmittag. Der Himmel wölbi sich in schwindelnder Höhe und ist durchflutet von glänzendem Lichte. Die Luft durchzittert Lenzessehnen, und mikroskopisch scharf, um geben von einer wohligen Flut kristallklaren Lichtes, treten die Gegenstände hervor. Ohne Sorge, ohne Wunsch und Wille durch schlendere ich die Straßen des eroberten Belgrad. Ich habe kein bestimmtes Ziel, bin nur von dem Impuls geleitet, aus den vier Wänden zu kommen, hinaus ins ausatmende Leben, unter Men schen, in den erwachenden Morgen eines neuen Lebens von Belgrad. Vor Wochen, gleich nach unserer Ankunft, machte ich den selben Spaziergang durch die Belgrader Straßen. Auch damals schien die Sonne, aber auf eine tote Stadt. Die letzten Akkorde der gewaltigen Kriegssinfonie, die über Belgrad ihren Weg ge nommen hatte, durchzitterte noch die Lust. Gähnende Leere und Ode durchschritten wie reckenhafte Gespenster die Straßen. Nur Trümmer, verkohlte Balken und finstere Häuserreihen redeten die stumme Sprache von Krieg und Schrecken. Der Taktschritt Patrouillierender Soldaten hallte durch die Straßenfluchten so seltsam. Nur unten am Hafen pulste das Leben von hüben und drüben. Das war das einstmals so stolze und übermütige Bel grad kurz nach der Eroberung. Durch die holzgepflasterte König Milan-Straße nehme ich meinen Weg. Der Straße entlang schlängelt sich langsam ein unübersehbarer Zug serbischer Gefangener. Zerlumpte, verhun gerte Gestalten sind es, denen das Elend und die Verzweiflung ans den müden Augen schaut. Der eine ist in einen groben Sack gehüllt, der andere zieht fröstelnd eine gefundene Zeltbahn um seinen krummen, knochigen Rücken, wieder ein anderer schreitet in gebückter Haltung, beide Hände auf den Leib gepreßt, vorwärts. Einer kaut gierig an einer Paprikaschote, um seinen nagenden Hunger zu stillen. Tausend verlangende Arme strecken sich flehend um Brot dem Vorübergehenden entgegen. Matt und apathisch ziehen diese herabgekommenen Bauerngestalten ihren Weg. Das sind keine Soldaten mehr. Das sind Trümmer der Ruine eines besiegten Volkes. Auf den Bürgersteigen haben sich Menschen angesammelt, Soldaten und zurückgekehrt« Serben. Mancher von den letzteren schaut mit fieberndem Blick auf das daherkommende Elend, ob nicht einer der Seinigen dazwischen ist. Ein schwarzäugiger Spaniolenjunge weckt mich mit lautem Schrei aus meinen Be trachtungen. »Deitsche Zeitung!«, ruft er mit fremdländischem Akzent. Ich lese die Überschriften der Blätter, die er im Arme trägt, und staune: »Belgrader Nachrichten«. Die erste Zeitung für Belgrad in deutscher Sprache. Nur ein Zweihellerstiick genügt, um den Zeitungshandel zwischen mir und dem Zigeunerbengel abzuschließen. Ein Grinsen huscht über das braune Kindes gesicht, sodaß die blendend weißen Zähne zu sehen sind, und ver- schwunden ist er in der Menge. Antihuaschrist, die anscheinend mühsam aus serbischen Setzkästen zusammengesucht worden ist, kündet auf kleinem Papierformate die Kriegsberichte, Blätter stimmen und Nachrichten von Belgrad an. Die ganze Aufmachung mutet an wie die mühsamen Gehversuche eines Kindes oder wie die Jntelligenzblättchen aus dem vorigen Jahrhundert. Im Straßenstaub und an den Häuserfronten entlang spielen Serbenkinder, hocken schreiend und wimmernd um eine Gabe an haltende Bettler. In den Ecken oder in Schausensterhöhlen haben fliegende Händler ihren Stand aufgeschlagen. Spaniolen sind es, die Belgrad auch während der Belagerung nicht verlassen haben. Sie betreiben einen schwunghaften Straßenhandel und