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242, 16. Oktober 1912. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt s. d. DlsHtt. vuchhanbek 12509 Nichtamtlicher Teil. Aus dem englischen Buchhandel. VI. <v vgl. Nr. 184.) Der August ist für den englischen Buchhandel ein Monat der Ruhe und Beschaulichkeit. Die Verleger bringen nur we- lüge Neuigkeiten und warten lieber die zweite Halste des Sep tembers ab, um wichtigere Bücher erscheinen zu lassen. Die Chefs und Angestellten gehen zum großen Teil auf ihre zwei- und dreiwöchigen Ferienreisen, um sich von den Anstrengungen des Jahres zu erholen und neue Kräfte für die Herbst- und Winter-Kampagne zu sammeln. Der Schreiber dieser Zeilen machte eine Reise nach dem romantisch gelegenen Lissabon und den Kanarischen Inseln. Leider vermochte er nicht seinen Beruf ganz und gar zu vergessen und versuchte inLissabon sich über die dortigen buchhändlerischen Verhältnisse zu unter richten. In allen Buchhandlungen fiel ihm die Abwesenheit deutscher Werke aus, dagegen fanden sich überall, außer de» nicht bedeutenden neueren portugiesischen Werken, viele spa nische Bücher und vor allem viele französische Romane von der bekannten gepfefferten Sorte vor. Neben den gemischten Sortimentsbuchhandlungen existiert inLissabon einerein fran zösische Buchhandlung in der Rua Aurora Nr. 248. Englische Bücher waren nur in der englischen Buchhandlung in der Rua Nova do Carmo Nr. 26 zu habe». Rach einer deutschen Buch handlung erkundigte ich mich vergebens. Es gibt eine größere Anzahl Agenturen für ausländische Zeitungen, und unter die sen nimmt die lüvrarm Norm, 74 Rua Nova da Almada, Wohl die erste Stellung ein. Hier waren auch einige der bekann teren größeren deutschen Tageszeitungen zu haben. Lissabon selber macht in seinem Stadtinnern, trotz seiner an vergangene Herrlichkeit gemahnenden Paläste und Kir chen, einen armen Eindruck; die Bevölkerung scheint unzufrieden und argwöhnisch, die bessern Ladcnbesitzer bedauern den Fall der Monarchie und die Flucht der wohlhabenden Mobilität aus Lissabon. Für Eng land, »unseren ältesten Verbündeten«, hat man eine schwär merische Zuneigung. Es gibt in Lissabon eine Menge ziemlich bedeutender Bibliotheken. Zu erwähnen sind: die öffentliche Bibliothek, die Bibliothek der Akademie der Wissenschaften und die Bibliothek der Akademie der Kunst. Auch in diesen Biblio theken befinden sich verhältnismäßig wenig deutsche Bücher, der Hauptsache nach sind ältere portugiesische Werke, dann Spa nisches, Französisches, die lateinischen und griechischen Klas siker und vereinzelte wissenschaftliche englische Werke dort zu finden. Ich hatte Gelegenheit, mit einem Professor der Univer sität Edinburgh über den Rückgang der deutschen Literatur im Ausland zu sprechen, und seine Bemerkungen darüber waren ein wenig verblüsfend für mich. »Die Deutschen selber haben Schuld daran. Sie schreiben so schwerfällig und unklar. Von wissenschaftlichen Werken abgesehen, ist es für den Gebildeten unmöglich, deutsch zu lesen. Dazu kommt die entsetzliche gotische Schrift, die die Augen so sehr verdirbt, daß von je drei Deutschen stets einer eine Brille tragen muß.« Meine Antwort war, daß das Wohl ein Vorurteil des Herrn Pro fessors sei, daß wir brillante neuere deutsche Romane hätten, die, was Stil und literarischen Wert anbeträse, den französischen mindestens gleichständen; an Gedankentiefe wiege sicherlich ein deutscher Roman 50 französische und 20 englische Romane auf. Hinsichtlich der Schrift und der Kurz sichtigkeit in Deutschland glaubte ich wohl der Ansicht sein zu dürfen, daß der Herr Professor übertreibe. »Im Gegenteil«, war die Antwort, »ich bin selber in Deutschland erzogen und Börsenblatt sür den Deutschen Buchhandel. 7S. Jahrgang. schätze die deutsche Wissenschaft hoch, aber die heutige belletristische deutsche Literatur ist durchaus neuraslhenisch und voller Perversität«. Natürlich konnte man auf diese so deutlich ausgesprochene Ansicht eines einflußreichen Kun den nur stillschweigen. Seine Ansicht über die moderne eng lische Romanliteratur konnte ich leider nicht erfahren. Die englische Herbstsaison ist nun wieder in vollem Gange. Es ist unmöglich, einen vollen Überblick über sie zu gewinnen, da sich die Verleger überstürzen, so viel wie eben möglich im September aus den Markt zu werfen. Ein gutes Zeichen ist das Erscheinen einer Menge populärwissen schaftlicher Werke, die bei dem englischen Publikum immer mehr Anklang finden. So veröffentlichten Williams L Nor- gate weitere zehn Bändchen ihrer »Häms Ünivsisitz- I-ibrarx«, die einen unerwarteten Erfolg hatte. Um dem Leser eine Vorstellung von der Mannigfaltigkeit dieser Bibliothek zu geben, mögen folgende Titelangaden genügen: G. E. Moore, Utllias, eine vorzügliche Darstellung der verschiedenen ethischen Systeme und der Begriffe über Recht und Unrecht. — Chap- man, »kolltioal Leooomx«; dieses volkswirtschaftliche Merkchen ist sehr belehrend und gibt in kurzen Umrissen eine unparteiische Übersicht der in England sich bekämpfen den Ideen über Löhne, Zölle usw. — Eins der in teressantesten der Bändchen der Sammlung ist »Nlls üraat VVritors vk Lmariea«, von P. W. Trent und Pro fessor Erskine. Gerade über die neuerdings mehr und mehr in den Vordergrund tretende amerikanische Literatur fehlt ein erschöpfendes und unparteiisch gehaltenes Merkchen, das den Leser über das Wissenswerteste der verschiedenen lite rarischen Bestrebungen aufklärt und den Weizen von der Spreu sichtet. — Mit der See und den alten Seehelden macht uns das Bändchen »Laster Laimors« bekannt. Ein ähn liches Werk existiert in der deutschen Literatur nicht, es dürfte einem unternehmenden Verleger zum übersetzen zu empfehlen sein, weil ja neuerdings auch in Deutschland der Schiffahrt ein steigendes Interesse zugewandt wird. — Keith, »Nke Human Loüz-«, lehrt in kurzen Umrissen die Anatomie des mensch lichen Körpers und die Stellung des Menschen im Weltall. — Hilaire Bellocs »IVarkaie in Lnglanü« ist eine der besten Abhandlungen über die seit der Römerzeit in Großbritan nien geführten Kriege. — Prof. Gregorys »Nb« LaicinA ok tlla Lartll« ist eine zwar knappgesaßte, aber gründliche geo- logische Studie und dürfte manches große Werk über den selben Gegenstand aufwiegen. — Professor Gisbert Knapp hat ein gelehrtes, aber doch Laien verständliches Werk über die Elektrizität geschrieben. — »Nim Lalcinß ok tke Ilevv Nestament«, von Professor Bacon, ist eine vorurteilslose Stu die über die Schriften des Neuen Bundes und wird Pro testanten wie Katholiken gleich willkommen sein. — Sehr interessant ist auch das Bändchen über die Missionen von Mrs. Creigthon, das allen Konfessionen gerecht zu werden und das abgeflaute Interesse für die Missionen neu zu be leben sucht. — Aus diesen kurzen Notizen wird man ersehen können, inwieweit die Verleger ihr Programm für die »Ü»ms Ilniversitx lübrarz-« verwirklicht haben. Überhaupt scheinen in England ernstere Bücher mehr und mehr in Aufnahme zu kommen und die Gunst des Publi kums zu erringen. Der Durchschnittsroman mit seinen stereo typen Helden und Heldinnen findet immer weniger Anklang unter den Lesern, die durch die billigen Ausgaben der besse ren Romane arg verwöhnt und durch die in Massen herge- siellte Fabrikware übersättigt worden sind. Als das wich tigste Ereignis der Herbflsaison muß man unbedingt das Er scheinen des ersten Bandes der Biographie des Kanzlers 1628