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VilMaM Nr. 80 (N. 25). Leipzig. Sonnabend den 28. Februar 1931. 8. Jahrgang. RedMioneller TA Frau und Buch. Deutschland zählt heute rund 33 Millionen Frauen. Läßt man die Kinder und Jugendlichen bis zu 16 Jahren außer Be tracht, so bleiben rund 25 Millionen übrig. Davon sind rund 1l,5 Will. — 47^ hauptberuflich erwerbstätig, 8.8 Will. -- 36H Ehefrauen, 1.9 Mill. — 8)4 nebenberuflich tätige Angehörige, 2,1 Mill. — 9)4 bcruflose Selbständige. Die 8 Millionen Mädchen bis zu 16 Jahren spielen als Leserinnen naturgemäß ebenfalls eine Rolle. Auf dem Bücher markt erscheinen sie aber noch nicht selbständig. Ihre Vertretung übernehmen in erster Linie die fast 9 Millionen Ehefrauen, die damit die eine wichtige Gruppe bilden. Zahlenmäßig noch stär ker ist die Gruppe der 11*/- Millionen eigentlichen erwerbstätigen Frauen. Seit 1907 ist die erwerbstätige Bevölkerung Deutsch lands um 27,2A gestiegen. Wo früher 4 standen, stehen also heute 5—6. Der Anteil der Frauen machte aber 1907 erst 30'/-^ aus, heute dagegen über 3514)4. Diesem überdurchschnittlichen Anwachsen entspricht naturgemäß auch ein gesteigertes Gewicht dieser Frauen als Leserinnen. Besondere Beachtung verdient noch die Verteilung der Frauen auf die verschiedenen Schichten der Bevölkerung. Der Münchner Statistiker Zahn hat eine Aufteilung der Er werbstätigen einschließlich ihrer Angehörigen dieser Art vor genommen. Er rechnet auf die Oberschicht rund 800 000 Men schen, auf den Mittelstand rund 27)4 Millionen und auf die ab hängigen Schichten in Stadt und Land rund 28,14 Millionen. Unter diesen insgesamt 56)4 Millionen befinden sich rund 1914 Millionen erwerbstätige Frauen und Ehefrauen, Angehö rige also der obigen beiden Hauptgruppen. Die prozentuale Verteilung sieht so aus: Oberschicht: Mittelstand: Abhängige: insgesamt: 1,7)4 48,8)4 49,5^ Frauen: 1,2)4 52,1)4 46,7)4 Ehefrauen: 2,7 ^ 45,4)4 51,9^ Uber die Hälfte der erwerbstätigen Frauen und der Ehefrauen gehört also dem Mittelstand an (rund 10 Millionen). Die Ober schicht ist zahlenmäßig sehr schwach (etwas über 14 Million), aber zahlungskräftig. Beachtlich ist noch, daß unter den Frauen des Mittelstandes der Anteil der Ehefrauen (rund 314 Millionen) relativ geringer ist (nur 13,3)4 der Gesamtmenge statt 25,1 A in der Oberschicht und 15,0)4 bei de» Abhängigen). Hier überwiegsn also die hauptberuflich erwerbstätigen Angehörigen. Die Hauptmasse dieser Frauen des Mittelstandes entfällt mit rund 4 Millionen (40A) auf den landwirtschaftlichen Mit telstand. Denen folgt mit fast 3 Millionen (29,5)4) die Ange stelltenschaft, mit etwas über 2 Millionen (21,8)4) der gewerb liche und kaufmännische Mittelstand, endlich mit fast )4 Million (7,4)4) der gebildete Mittelstand. Der Rest (1,3)4) verteilt sich auf kleinere Gruppen (Hausgewerbetreibende,Hausierer,Nonnen). Von diesen Zahlen hat man auszugehen, wenn man der Frage nach den Beziehungen zwischen Frau und Buch nähertreten will. Es versteht sich von selbst, daß diese verschiedenen Schich ten und Gruppen der Frauenwelt dem Buch mit ebenso diffe renzierten Forderungen und Auffassungen cntgegentreten. Wei tere Unterschiede, die in den genannten Zahlen noch nicht zum Ausdruck kommen, treten hinzu. Hier spielt der Gegensatz der Bekenntnisse, der politstchen Parteistellung und manches andere noch eine Rolle. Hält man sich das vor Augen, so wird vor allem wohl einleuchten, daß übereilte Verallgemeinerungen gerade bei der Beurteilung und Beleuchtung der Beziehungen zwischen Frauen- und Buchwelt unbedingt vermieden werden müssen. Was an bestimmter Stelle unbestreitbar richtig ist, braucht noch nicyi überall und unter allen Umständen richtig zu sein. Aus dieser Vielseitigkeit des Problems und der Vielfältigkeit der Be ziehungen ergibt sich aber auch eine Mtle der rrufgaben, die unerschöpfliche Möglichkeiten der Betätigung in sich schließen. So erweist sich gerade das Thema »Frau und Buch- als beson ders reizvoll und fruchtbar. Das Verhältnis der Frau zum Buch. Wenn es eine richtige Frau und ein richtiges Buch ist, dann liest sie es nicht, dann ißt sie es. Vielleicht riecht sie erst ein wenig daran wie an einem Apfel. Dann beißt sie hinein, ohne erst lange zu schälen. Unter der Schale, sagt man ja übrigens, sitzen die besten Vitamine. Die Frau hat von jeher ein anderes Verhältnis zum Buch gehabt als der Mann. Der Mann, wenn er kein Dichter war, gebrauchte Bücher als Mittel zum Zweck. Um daraus das und das zu erfahren; um sich auf einem bestimmten Gebiet weiter zubilden; und schließlich um sich zu zerstreuen mit dem ausge sprochenen Motto: Sorgen Hab ich allein, die Kunst sei heiter! Neuerdings und sehr begreiflicherweise soll sie durch eine neue Spannung von anderen Spannungen abziehen. Darauf beruht der Reiz der Kriminalromane, die ja, wenn sie gut sind, nichts anderes sind als eine Art Schachspiel, bei dem man sich aber am glücklichsten fühlt, wenn man den nächsten Zug nicht kennt. Anders die Frau. Sie steht heute im Erwerbsleben wie der Mann und hat in vielen Beziehungen ähnliche Bedürfnisse wie er. Wenn man bedenkt, daß sie es ist, die jetzt die Zigaretten raucht, sollte man meinen, daß sie auch ganz genau dieselben Bücher liest wie der Mann. Aber ganz stimmt das denn doch nicht. Die Zeit der »Al- manache für das Frauenzimmer- ist vorbei, gewiß, aber immer mehr Zeitungen machen Beilagen auf, die speziell den Inter essen der Frau gewidmet sind, die also doch nicht ganz dieselben zu sein scheinen wie die des Mannes. Es gibt Menschen, die behaupten, daß es heutzutage über haupt nur mehr Frauen sind, die belletristische Bücher lesen — das ist natürlich übertrieben. Der kleine Junge liest, das kleine Mädchen, wobei es heute sehr häufig geschieht, daß das kleine Mädchen Bücher liest, die für Jungen geschrieben sind, Aben teuergeschichten, Bücher über Technik und Erfindung: wie ja im allgemeinen gerade in der Jugendliteratur das Knabenbuch heute moderner und zeitgemäßer ist als das Mädchenbuch, das seine Note noch sucht. Dann aber wird man finden, daß das Mädchen weniger früh aufhört zu lesen als der Junge, der ja immer noch das aktivere Leben führt und Pläne, Unternehmungen leichter ver wirklichen kann, so sehr sich die Jugend beider Geschlechter schon angeglichen hat, so sehr Sport, Radio, Tanz, mehr oder weniger leichte Unterhaltung die Zeit ausfüllen, die nicht der Arbeit gehört. 181