Volltext Seite (XML)
x° 50, 28. Februar 1931. Zuni Tag des Buches, Frau und Buch. Börsenblatt s. ü. Dtschu Buchhandel. Frauen der Weltliteratur. Dichtung, im Gegensatz zu den bildenden Künsten und zur Musi!, ist die vollsgebundenste Kunst, da ihr Mittel die Sprache ist und es zu einer Wirkung in fremden Sprach gebieten erst der Übersetzung bedarf, die oft genug den Schmelz des Werkes zerstört, seine heimliche Melodie, Dennoch haben Dichtungen weit über die Grenzen ihres Entstehungslandes gewirkt, im fremden oft sogar An stoß zu neuer Bewegung, neuen Werken gegeben. Kraft und Wesen des Künstlerischen ist stark genug, um selbst durch die Verkleidung einer fremden Sprache hindurch lebendig zu wirken. So darf man füglich von einer Weltliteratur sprechen, und zu ihr gab auch die Frau ein bedeutsames Teil — von sagenumdämmerter Vorzeit bis in die Helle Gegenwart. Aus dem griechischen Altertum leuchtet der Name Sapphos herüber, jener schönen und geistvollen Äolierin, die auf Lesbos einen Musenhof mit jungen gleichgestimmten Mädchen hielt, was ihr die in größerer Gebundenheit lebenden Griechinnen der anderen Stämme nicht verziehen, sodaß sich noch im Altertum ein häßlicher Klatsch an ihren Namen heftete, unbegründet, aber desto hartnäckiger. Von ihren Dichtungen blieb nur eine Ode und das Bruchstück einer Ode, beides so voller Anmut und von echtem Empfinden beseelt, daß man manches wohlerhaltene Werk des Altertums für ein paar Dichtungen mehr von Sappho hingäbe. Von der schönlockigen Griechin bis zur Gandersheimer Nonne — welch ein Sprung über die Jahrhunderte! Dazwischen liegt der Verfall der Antike, liegt der Ausstieg des Christen tums, ssin gewaltiger Siegeslauf durch Europa, das Christen tum des Apostel Paulus — die Frau schweige in der Kirche — das eine orientalische Auffassung der Stellung der Frau nach dem Abendlande brachte, sodaß im 8. Jahrhundert fränkische Bischöfe ernsthaft darüber disputieren konnten, ob die Frau überhaupt ein Mensch sei. Was Wunder, daß uns keine geistig schaffende Frau von Bedeutung entgegentritt, bis das Aufblühen der Klöster auch der Frau Bildungsmöglichkeit und Entfaltung ihrer geistigen Kräfte brachte. So schreibt gegen das 1000. Jahr nach Christi Geburt die Nonne Hroswitha ihre nieder deutsch-kräftigen Legenden, ihre kleinen Dramen, deren Szenen unerschrocken und ohne jede Prüderie hingesetzt sind, so lebt im 12. Jahrhundert die Nonne Hildegard von Bingen, die neben ihren tiefsinnigen, religiösen Dichtungen sich auch mit Pflanzen kunde beschäftigte und ein Werk darüber geschrieben hat. Ungefähr zur gleichen Zeit lebte in Frankreich jene Dich terin, die wir Marie von Frankreich nennen nach dem Schluß eines ihrer Gedichte. Sie sang ihre weltberühmten Lais, Bers- balladen und -Novellen, die in geradezu meisterhafter Form, anmutig und leidenschaftlich zugleich, die wunderbaren Liebes und Kampsabenteuer der Ritter aus dem Arluskreis schilderten. Die italienische Renaissance, so reich an kunstliebenden und geistvollen Frauen, schenkte der Welt auch eine Dichterin von Format, jene Viktoria Colonna, feinsinnige Freundin Michel Angelas, deren edles Bild Gobineau in seinem Buch über die Renaissance heraufbeschwört. Eine berühmte Schönheit, früh vermählt, verlor sie den Gatten in der Schlacht von Pavia, und ihre Sonette geben dein Gram, der Liebe, der Hoffnung auf Wiedervereinigung rührenden Ausdruck. In der Übertragung Rilkes sind uns die licbeglühenden Sonette der Louize Labe teuer. Sie lebte im zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts. Schön — man nannte sie allgemein la belle Cordiere, klug — sie beherrschte außer ihrer Mutter sprache spanisch, italienisch, griechisch, lateinisch, tapfer — sie nahm in Mannskleidern an der Belagerung von Perpignan teil, war sie einsame Borkämpferin der Frauenbewegung: sie ermahnte ihre Mitschwestern, sich über den Bezirk des Häuslich- Allzuhäuslichen zu erheben, um würdige Gefährtinnen des Man nes zu werden. Französin ist auch die königliche Dichterin Margarete von Valois, deren kunstvoll erzähltes Heptamerone neben dem Dcca- merone des großen Italieners gern gelesen ward und auch heute von nicht nur sittengeschichtlichem Wert ist. Dem Kreise bedeutender Frauen, den die deutsche Romantik ihr eigen nannte, gehört auch die schillernde Gestalt der Bettina von Arnim an. Mörike nannte sie ein Meerwunder und traf damit ihr Wesen, dieses koboldartige, naturgeisthaft wechselnde und im Grunde seelenlose, seelenlos, wie es die Sage von den Naturgeistern behauptet. Ihr Briefwechsel Goethes mit einem Kinde ist noch heute anziehend durch die Beweglichkeit ihrer Phantasie — säst ein wenig allzubcweglich ist sie — und durch die außerordentliche Aufnahmefähigkeit auch schwebendster Naturstimmungen. Eine bedeutsame Rolle in der literarischen Welt ihrer Zeit spielte jene Französin halbdeutschen Geblüts, Madame de Stael, wenn auch ihr Bild ewig umstritten bleiben wird. Gewiß ist, daß sie den Hauptteil ihres Ruhmes der Verbindung mit den Großen ihrer Zeit verdankt, — aber ob sie diese Verbindung aus tiefsten, innersten Verständnis oder nur aus Eitelkeit knüpfte, läßt sich nicht entscheiden. Es steht fest, daß sie allen Großen, an die sie herantrat, bald lästig ward, weil sie im Grunde doch nichts verstand und mehr als verehren verehrt sein wollte, andrerseits wieder eroberte sie sich die Menschen, Alt und Jung war entzückt von ihr. Sie schrieb ein Buch über Deutschland, dem bis 1870 die Franzosen ihre Ansichten über Deutschland entnahmen, schrieb es, ohne Deutsches wirklich zu verstehen, schrieb es — um Napoleon zu ärgern, wie die einen meinten, — um ihrem Volk einen Spiegel vorzuhalten, darin es die eigenen Unzulänglichkeiten erkenne, wie die anderen glauben. Sei es wie es sei, es zeugt von Mut, daß sie ihrem siegberauschten Volk die Unterlegenen als Vorbild zu zeigen wagte. Mut bewies sie auch im Wüten der Revolution, als sie mit Gefahr ihres Lebens für Marie Antoinette eintrat. Eine der tapfersten Verfasserinnen jedoch ist die heute zu Unrecht literarisch-hochmütig belächelte Harriet Beecher-Stowe, die Verfasserin von Onkel Toms Hütte, und der Erfolg dieses Buches steht selbst für unser reklametüchtiges, für Massenauf lagen schwärmendes Zeitalter unerreicht da. Innerhalb 10 Ta gen erlebte es drei Auflagen, am Schluß des Erscheinungs jahres war cs in über einer Million Exemplaren verbreitet, in zehn Sprachen übersetzt. Mögen wir heute auch künstlerisch an spruchsvoller sein, Ehre und Dank gebührt dieser Frau, die mit einem Buche bewirkte, was Philosophen, Journalisten, Staats männern nicht gelang: die Beseitigung einer Kulturschande, der Negersklaverei. Und Mut gehörte dazu, schreckten doch die an der Sklaverei besonders interessierten Staaten Amerikas nicht vor Mordanschlägen auf ihre Gegner zurück. Dem England des 19. Jahrhunderts entstammt Elisabeth Barrett-Browning, deren Portugiesische Sonette zu den schönsten Liebesgedichten zählen. Ihr Leben selbst mutet wie eine Dich tung der Liebe an. Zu der 39jähr!gen, durch einen Sturz ge lähmten, faßt der jüngere Dichter Robert Browning eine tiefe Neigung, entführt sie, da der Vater die Einwilligung zur Ehe verweigert, läßt sich heimlich mit ihr trauen und übersiedelt nach Italien. Und siehe, das holde Wunder geschieht: Elisabeth gesundet. Neben ihr steht die feinsinnige George Eliot, deren Romane noch heute zu fesseln vermögen durch die Darstellung des Seelischen, die unpathetische Art, mit der sie die kleinen Nöte, Kämpfe und Verwicklungen schildern, die sich im beschränk ten Kreise abspielen. Ebensowohl durch ihre von leidenschaftlichem Gefühl be wegten Romane, ihr energisches Einsetzen für Frauenrechte, wie durch die Abenteuer ihres Herzens, die die literarische Welt be schäftigten, wurde George Sand berühmt. Mit Annette von Droste-Hülshoff nennt man eine der feinsten lyrischen Dichterinnen. In der Stille verlief ihr Leben, einfach, im engsten Kreise. Sie war sehr einsam, einsam als Unvermählte in der adligen Familie, einsam in der Liebes- regung ihres Herzens, die sie still und schmerzlich niederkämpfte, einsam in dem Ringen, das zwischen einer so wahrhaften und ausgeprägten Persönlichkeit wie der ihren und den Forderungen der Strenggläubigkeit, in der sie erzogen, nicht ausbleiben konnte. Trotz zwiefacher Einengung durch Familie und Streng gläubigkeit entfaltete sie sich doch zu der Dichterpersönlichkeit, als die sie vor uns steht. Eigenwüchsig, hartgeprägten Verses 18S