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802, 30. Dezember 1912. Nichtamtlicher Teil. «örlmblatt ». d. LUchn. «uchhandU. 1K389 Nichtamtlicher Teil. Bücherliches und Buchhändlerisches. Von R. L. Prager. (Schluß zu Nr. 301.) Unter dem Titel »Politik derBüchere i«*) schenkt uns der bewährte Organisator von Bibliotheken Herr vr. Paul Ladewig eine Übersicht alles dessen, was das Buch und seine Bewahrung in ausgedehntestem Sinne angeht. Wenn es auch eine große Literatur über die Verwaltung und Ord nung von Büchern gibt, die kaum ein einzelner gründlich kennen kann, so scheint cs mir doch, daß eine so umfassende Darstellung, die wirklich alles verzeichnet, was ein Biblio thekar wissen mutz, und die ihm auf alte Fragen Antwort gibt, die er etwa zu stellen Ursache hat, bis jetzt noch nicht vorhanden ist, jedenfalls nicht wie hier unter Berücksichtigung auch der ausländischen Bibliothekseinrichtungen, nament lich der vorbildlichen amerikanischen und der neueren Er rungenschaften der Technik. In diesem Werk wird der Bau, die Einrichtung, die Art des Ausleihen?, die Beleuchtung, das Mobiliar ufw. usw. in einer knappen, aber durchaus genügenden Form dem Leser vorgeführt, so daß, wenn die Kunst des Bibliothekars durch theoretische Beschäftigung sich erlernen ließe, das Ladewigsche Buch genügen würde, um einen Bibliothekar zu bilden. Herr vr. Ladewig gibt An leitung, in welcher Weise der Bibliothekar Einfluß nehmen soll auf den Bau einer Bibliothek; das Studium des Buches ermöglicht ihm dies auch in einer Weise, die den Baumeister zwingt, die Ansichten des Bibliothekars zu beachten. Der jenige, der es praktisch erfahren hat, in welcher geradezu imperialistischen Weise in früherer Zeit die Baumeister bei dem Bau von Bibliotheken den Bibliothekar beiseite geschoben haben, wird, wenn es damit auch besser geworden ist, jede Anleitung beglichen, die den Bibliothekar befähigt, auch dem Baumeister gegenüber sich zur Geltung zu bringen. Daß bei der Fülle des Materials die Besprechung des Buches eine sehr schwierige ist, wenn man nicht gerade ganze Seiten ausschreiben will, liegt auf der Hand. Ich werde mich deshalb auch darauf beschränken müssen, auf einiges hinzuweisen, was mir besonders ausgefallen ist »nd was mir deshalb zu erwähnen am Herzen liegt. Nach einer orientierenden Einleitung bespricht der Ver fasser die neuen Aufgaben der Bücherei und zeigt, welche Lösung die Amerikaner gefunden haben. Ladewig stellt gegenüber die alte Welt, in der cs »angesichts der großen Menge alljährlich bedruckten Papiers erstaunlich ist, wie niedrig der Grad allgemeiner Bildung nicht nur, sondern allgemeiner Interessen ist«, während in Amerika epochemachende wissenschaftliche Bildung vielleicht nicht in so hohem Matze zuhause ist wie anderswo, aber sicher das allgemeine Wissen, durch das Buch vermittelt! es befähigt den Amerikaner, jede wissenschaftliche Errungenschaft vorteilhaft zu nutzen. Ladewig nimmt als Grund an, daß bei uns die Technik der Verbreitung des Buches von Haus aus fchlgegangen zu sein scheint, während in Amerika die einzelnen Staaten es als Pflicht empfinden, »Mittel zn öffent lichen Büchereien zu gewähren, damit sich jeder nach Neigung ohne Zeitverlust zu unterrichten vermöge«. In diesen kurzen Worten liegt in der Tat das Problem. Während es bei uns immer noch schwer hält, Stadtverwaltung und Staat zu überzeugen, daß jede Mark, auf das Buch und seine Verbrei tung verwendet, tausendfache Zinsen trägt, und es noch schwerer hält, Private zur Hcrgabe von Mitteln zu veran- -j Ladcwig, Paul, Politik der Bücherei, kt. 1". Leipzig, Ernst Wiegandt, Verlagsb. 1912. Lwd. Ladenpreis 8 ,/l 5» ^; Halbfrz. 8 75 -s. «jöri-ublatl für den D-utfch-i, Buchhandel. 72 Jahrgang. lassen, versteht sich in Amerika die Hergabe solcher Mittel und die Verbreitung des Buches von selbst, und alle, Ge meinde, Staat und Private, wetteifern miteinander, solche Nüttel zur Verfügung zu stellen. Aber nicht nur das, auch die Einrichtungen, die den Leser befähigen, in freundlicher Umgebung, in neuen, hohen und Hellen Räumen sein Lese bedürfnis zu befriedigen, befördern die Erfüllung des Zwecks des Buches, während in der alten Welt die Einrichtungen vielfach nur dazusein scheinen, um jeden von der Benutzung einer öffentlichen Bücherei abzuschrecken. Wie in dieser Hin sicht bei uns die Dinge gehandhabt werden, ist ein Kapitel für sich, und ich könnte ergötzliche Beispiele beibringen, in welcher Weise dieser Zweck der Abschreckung mit Erfolg er reicht wird. Freilich ist auch in Amerika noch manches zn bessern, aber es wird auch gebessert, und Ladewig führt an, wie im Frühjahr 1909 eine Kommission die Leistungen der großen öffentlichen Bücherei von Chicago untersuchte und nach Feststellung »krasser Zustände« Grundforderungen aus stellte, die darauf hinwirken sollten, daß auch Kinder dieBiblio- thek besuchen. Die verhältnismäßig geringe Leserzahl in An betracht der großen neu zugezogenen Bevölkerung zeige, so sagte die Kommission, daß die Bibliothek die Vermittlung des Wissens und der Literatur, des Schrifttums ihres neuen Vater landes an die Bevölkerung nicht ernsthaft unternommen habe. Der Verfasser fügt hinzu, daß die Ausleihe dieser Bibliothek 1 800 000 Bände betragen habe, während die Königliche Bibliothek in Berlin im Jahre 1910 224 000 Bände ausge liehen hat. Freilich ist dabei zu berücksichtigen, daß die Königliche Bibliothek in Berlin wesentlich eine für gelehrte Zwecke bestimmte Bllchersammlung ist. Eine besondere Besprechung widmet Ladewig der »Neu aufgabe des Bibliothekars«. In ausführlicher Weise wird gezeigt, wie die Biblio thekare äußerlich die volle Stellung hoher und akademischer Beamten erreicht haben, dabei aber »unter der Empfindung einer persönlichen- und Standesherabwürdigung durch Auf lage Mechanischer' Arbeit, bei zu geringer Muße für ge lehrte Arbeit seufzen. Sie stellen eine Gelehrtenkaste dar, wie schon die Beschränkung der Mitgliedschaft ihres Berufs vereins aus akademisch geprüfte und graduierte Beamte hin weist«. Ladewig findet, daß, wenn mit der Sfsnung des Wissens für alle vorbehaltlos Ernst gemacht werden soll, der Bibliothekar nur zu einem Teil Bücher zu konservieren, zu dem andern aber dafür zu sorgen habe, daß auf erdenkliche Weise die Möglichkeit des Wissens für alle geschaffen wird. »Nicht mehr der Gelehrte gehört an die Spitze der Bücherei, sondern der die Geisteskultur eines Gelehrten und ein allumfassendes Wissen hat.« Ein weiterer Abschnitt bespricht die Praxis des Biblio thekars und führt an, daß sich diese im Laufe der Zeit sehr gewandelt habe. So sei das »Katalogisieren, die einstige edelste Hauptarbeit, heute nicht mehr als eine unter vielen glcichwichtigen Aufgaben des Bibliothekars« anzuschen. »Die Schule des Bibliothekars« wird besprochen, die De- weysche Bibliothekarschule und ihre Einrichtung gestreift, und Vorschläge für die weitere Fortbildung des Bibliothekars werden gemacht. Unter der Aufschrift »Die Stellung der allgemeinen öffent lichen Bücherei« erörtert der Verfasser den Unterschied der wissenschaftlichen Bücherei und der allgemeinen öffentlichen und zeigt, wie beide sich ergänzen. Während die wissenschaft liche Bücherei naturgemäß Schranken für ihre Benutzung auf stellen mutz, hat die allgemeine öffentliche Bibliothek nur dar aus zu sinnen, wie sie »vorhandene Schranken mildern, wo möglich ganz entfernen könne«. Die Freiheit der öffentlichen 2131