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Beilage zu Nr. 42, 1904. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 11 bis etwa 1840 dauerte die Blütezeit der alten illustrierten Unter haltungsblätter; die dreißiger Jahre sahen das Pfennig-Magazin seligen Angedenkens entstehen: die vierziger Jahre aber brachten die Illustrierte Zeitung, die Fliegenden Blätter, den Kladderadatsch; die allgemeinen Literaturzeitungen lassen nach, die Fachzeitschriften vermehren sich; die Verlagsspezialisierung nimmt zu. Noch in höherem Maße scheinen sich die sechziger Jahre als eine gewisse abschnittbildende Zeit darzustellen. Die Zeit bis 1825 erscheint uns heute in einem einigermaßen archaischen Lichte. Es ist die Begriindungszeit, wenn man will, das Heroenzeitalter des neuzeitlichen deutschen Buchhandels; damals wurden die Grund mauern zahlreicher unserer besten Häuser aufgesührt — es ist eine Zeit der ersten Generationen; damals wurde das Fundament der buchhändlerischen Organisation gelegt, das uns noch heute trägt. Der Zeitraum von 1825/30 bis rund 1870 ist dieser Neuzeit Mittelalter. Kein Altertum mehr; steht diese Zeit doch bereits unter den Zeichen der modernen Technik und des modernen Verkehrs; aber auch noch weit entfernt von der vollen Entfaltung des modernen Wesens; übrigens in beständigem Wachstum be griffen. In den sechziger Jahren werden Stimmen laut, die erklären, das Konditionssystem entspreche nicht mehr der Zeit; der Überschätzung der »wundervollen Organisation« des deutschen Buchhandels wird entgegengetrcten; der Verein der deutschen Sortimentshändler wird gegründet — und die Fragen des Sor timents sind es ja vor allein, die die nächsten Jahrzehnte erfüllen; und die postalischen und gewcrberechtlichen Änderungen entfesseln den vollen Strom der modernen Konkurrenz. Zahlreichen Firme», gegründet in der ersten Periode, wird um diese Zeit ihr Kleid zu eng; wir finden damals große Geschäftserwciterungen; und nun beginnt die Ricsenentwicklung der neuesten Zeit, mit all ihren blendenden Erfolgen und straffen und allzustraffen Spannungen. Entwicklungsgliederung des Zeitraums von 1869 bis zur Gegenwart. Wie die erste Periode in die Zeit der Begründung, in die Zeit des durch die Napoleonische Herrschaft beeinträchtigten Wachs tums und der Zeit der Vollendung und Nenkeimung zerfiel, wie die zweite Periode eine entsprechende Gliederung zeigt, ebenso ist es mit der dritten Periode. Ein dritter Abschnitt ist in dieser der Natur die Sache nach nicht wohl zu begrenzen; das Jahr 1880 aber scheint eine analoge Stellung einzunehmen, wie im zweiten Hauptzeitranm das Jahr 1840. Die Zahl der Zeitungen stieg von rund 950 im Jahre 1871 auf rund 2300 im Jahre 1881; von da bis zum Jahre 1898 aber auf rund 8000; und eine entsprechende Zunahme zeigen andere buchhandelsstatistische Erhebungen. Diese Gliederungen sind nicht zur äußern Disposition zu verwenden. Die Zeit von 1825 bis zur Gegenwart soll nicht etwa in diese fünf oder sechs Abschnitte äußerlich zerlegt und in jeder derselben Geschäfts-, Vereins-, Reform-, Rechts-, Herstellungs-, Produktions geschichte usw. untereinandergestellt werden. Trotzdem ist die Auf stellung solcher Meilensteine nicht überflüssig. Sie macht den Weg übersichtlich, die Entwicklung durchsichtig und würde besonders in der Zusammenfassung deutlicher hervortreten. Die Geschichte des Zeitraums von 1825 —1900 ist in zwei Bücher zu zerlegen. Ob sich aber wohl ernstliche Bedenken dagegen erheben würden, die Zeit in zwei in sich abgeschlossene Bücher zu zerlegen? Die Einführung der Gewerbefrcihcit und der Verkehrserleichterungen, die Aushebung des ewigen Verlagsrechts, die Gründung des neuen Reichs: das ungefähre Zusammentreffen dieser Momente drängt zu einem gleichsam dramatischen Abschluß. Ist vielleicht der historio- graphische Effekt einer solchen dramatischen Schürzung des Knotens zu teuer damit bezahlt, daß die örtlich orientierte Buchhandels- s geschichte und die Geschichte des Büchermarkts je in zwei Hälften zerlegt werden? Ein so übermäßiger Einbruch, wie ihn im An fang des Jahrhunderts die französische Zeit darstellt, ist hier nicht vorhanden. Wir empfehlen trotzdem die auch äußerlich durch geführte Teilung in zwei Perioden. Mehr oder weniger willkür lich für gewisse Seiten einer zusammengesetzten Entwicklung ist jede historiographische Einteilung. Wer würde z. B., was die literarische Seite betrifft, an das Jahr 182» denken, um damit die erste Periode zu schließen? Auch der Börsenverein steht um das Jahr 1870 an einem Wendepunkt seiner Geschichte. Die Muse der buchhändlerischen Geschichtschreibung tröstet sich mit dem stolzen Bewußtsein, daß sie das Material zu ihren Marksteinen ans den Brüchen holt, die ihrer Geschichte urcigentümlich an gehören. Dazu kommt, daß eine einmalige Umspannung des Zeit raums von 1825—1900 auf den genannten beiden Gebieten, ihre Entfaltung in einer einzigen Fluchtlinie, den Überblick schwieriger, den Eindruck blasser und verschwommener machen würde. Die Gliederung der örtlich orientierten Buchhandelsgcschichte wird von der Entwicklung des deutschen Buchhandels deutlich an gezeigt; wir habe» bereits davon gesprochen. Wir würden diese Partien in demselben Geiste und nach derselben Methode be handeln, wie wir das in der ersten Periode angegeben haben. Mau würde hieran die Geschichte des Börsenvercins und der allgemeinen Vereins- und Rcformbewegung anschließen und sodann die Fortschritte des Buchgewerbes, der Organisation des Buch handels, die Erfolge der Reformtätigkcit, die Veränderungen in der Gesetzgebung zusammenfassen. Den nächsten Hauptabschnitt würde die Geschichte des Bücher markts, den Schluß ein Um- und Ausblick über die Lage und die Aussichten des deutschen Buchhandels am Ende der sechziger Jahre bilden. Die Wirkungen der Gewerbefreiheit und der Verkehrs erleichterungen. Welche Wirkungen mußten die Veränderungen, die die Jahre um 1870 brachten, also in erster Linie die Einführung der Ge werbefreiheit und die Portoermäßigung auf die buchhändlerischen Verhältnisse ausüben? Eine außerordentlich günstige, so will es auf den ersten Blick erscheinen. Der Sortimenter muß billiger beziehen; das Publikum billiger kaufen; der Verleger mehr absetzen können. In Wirklichkeit haben sich daraus Bewegungen entwickelt, die die bestehenden Einrichtungen des Buchhandels geradezu Um stürzen zu wollen, und die auch aus die geistige Produktion von verhängnisvollem Einfluß werden zu können schienen. Die Schlag wörter: Rabatt oder Ladenpreis, Handelsfreiheit oder Korporations gesetze, Sortiments- oder Verlags-, Privat- oder Gcmeininteresse sind uns aus dem Beginn der Entwicklung des neuern Buch handels wohlbekannt; jetzt wurden sie wieder und jetzt erst wirk lich und eigentlich zu brennenden Tagessragen. Zentralisation und Dezentralisation. Daß die strikte Durchführung eines streng zentralisierten Kommissionsbuchhandels, wie ihn am ansgebildctstcn die zweite Periode gezeigt hatte, mit der Erweiterung des Eisenbahnnetzes, der Herabsetzung der Tarife usw. gewisse Änderungen erleiden mußte, ist natürlich. Derselbe Grund, der den Kommissionsbuch handel und seine Zentralisation zur Blüte gebracht hatte, die Spesenverminderung, mußte ihm nun einen gewissen Abbruch tun. Erspart doch der Sortimenter bei direkter Sendung mindestens die Emballagelosten; unter Umständen auch eine nicht zu unterschätzende Spanne Zeit. Diese Änderungen und die diesbezüglichen Vor schläge — so die Aufhebung der Kommissionsplätze und die Über tragung der Spedition an die Post gegen Pauschalierung des Portos — würden zu verfolgen sein. Zweifellos ist das, daß allen dezentralisierenden Tendenzen gegenüber um so stärker als aus das notwendige Korrelativ der Gewerbefreiheit usw. und Mittel