Volltext Seite (XML)
X- 8, 11. Januar 1927. Redaktioneller Teil. Börsenblatts, d. Dtschn. Buchhandel. lichen Werken lebensfähig zu erhalten. Wäre das Sortiment nicht vorhanden, so müßte der Verleger andere Absatzkanäle suchen und, wofür schon Beispiele aus anderen Ländern vorliegen, seine eigenen Vertriebsspesen um bei weitem mehr als den gleichen Prozentsatz erhöhen; ob mit gleichem Erfolg, ist dabei noch fraglich. — In dem Aufsatz wird weiterhin gefordert, daß die Prozent honorare nicht nur für broschierte, sondern auch für gebundene Bücher entsprechend ihrem Ladenpreis gezahlt werden sollen. Man sieht keinen Grund ein, warum auf die Auslagen für Leinwand, Pappe und Leim, das sind die Bestandteile des Ein bandes, dem Verfasser des Werkes ein Honorar gezahlt werden soll, denn eine geistige Arbeit desselben ist an diesen Bestandteilen nicht enthalten. Dagegen muß der Verleger in vielen Fällen eincin anderen Autor, nämlich seinem beratenden Künstler, für Anfertigung eines Entwurfs oder einer Zeichnung Honorar zahlen. Auch hat der Einband die doppelte Eigenschaft, einmal für den Absatz des Buches durch ein schmuckes Außeres zu werben, zum anderen das Buch vor Beschädigung zu schützen und den Gebrauch zu erleichtern. Infolgedessen wird der Einband vom Verleger auch mit ganz geringem oder keinem Nutzen bei der Festsetzung des Ladenpreises kalkuliert. Der Verleger trägt auch das Risiko für beschädigte Exemplare, die er neu binden lassen muß; er hat also in vielen Fällen doppelte Ausgaben und nur einmalige Ein nahmen. Endlich ist hervorzuheben, daß der Einband der Teil es Buches ist, dessen Herstellungskosten seit der Kriegszeit am neisten gestiegen sind; eine Belastung des Einbandes mit einem Prozenthonorar würde daher den Ladenpreis des Buches doppelt belasten. In ganz seltenen Ausnahmefällen mag Wohl einmal ein Ver leger die Spanne zwischen gebundenen und ungebundenen Prei sen übertrieben hoch ansetzen. In der weitaus überwiegenden Mehrzahl von Fällen benutzt er den Einband lediglich als Mittel ;um Zweck. Der Erlös deckt dann nur seine eigenen Herstellungs kosten und Spesen. Der Verleger begnügt sich in diesem Falle, in völlig richtiger Erkenntnis des Einbandzweckes, mit dem Rein ertrag aus dem broschierten Preis, ganz abgesehen davon, daß er das Wagnis für zuviel gebundene und nicht absetzbare Stücke auch noch in Kauf nimmt; denn ein preiswerter Einband ist meist nur herzustellen, wenn mindestens 500—1000 Stück einer Auf lage gebunden werden. Was davon nicht abgcsetzt wird, bedeutet einen tatsächlichen Verlust an den anteiligen Einbandkosten. Die vorstehenden Darstellungen zeigen, welch großen Einfluß das Honorar auf die Festsetzung des Ladenpreises hat. Es mag wohl der Fall sein, daß in Ausnahmefällen ein Honorar gezahlt wird, wie es in dem Aufsatz des Akademischen Schutzvereins ge wünscht wird. Das sind dann aber immer nur Ausnahmen, und eine Generalisierung dieser Wünsche führt zu falschen Ergebnissen. Auf jeden Fall muß man sich immer die Tatsache vor Augen halten, daß ein Honorar, wie es in dem Aufsatz gefordert wird, den Ladenpreis um viel mehr erhöht, als es die wirtschaftlichen Verhältnisse der Bücherkäufer heute erlauben. Eine Generali sierung führt auch zu'cinem Oirouln« vitiosus folgender Art: Weil alle technischen Herstellungskosten gestiegen sind, verlangt auch der Verfasser eine entsprechende Erhöhung seines Honorars, infolge dessen müssen die Ladenpreise entsprechend steigen; weil die Laden preise steigen, vermindern sich die Absatzaussichten und mit ihnen die Höhe der möglichen Auflage; weil so die Anfangskosten (Satz, Zurichtung, Klischees) sich auf weniger Abzüge verteilen, muß sich der Preis weiter erhöhen, der Absatz und die Auflage weiter sinken, und so muß, wenn kein Einhalt geschieht, einmal der Null punkt erreicht werden, d. h., der Verleger wird sich am besten stehen, wenn er nichts Neues mehr wagt. Dann kommen wir wieder auf die Zustände des 18. Jahrhunderts, wo das Erscheinen wichtiger Werke durch Vorausbestellungen (Subskription) gesichert werden mußte. Das Herabdrücken oder Vernichten des Wage mutes der Verleger würde aber auch für die Wissenschaft ver hängnisvoll werden. Selbstverständlich will jeder Verleger seinen Verfassern gern ein hohes Honorar zahlen aus dem Wunsche angenehmer Be ziehungen und dem Bedürfnis, ihn in gerechter Weise an dem Erfolg seines geistigen Erzeugnisses teilnehmen zu lassen. Dis vorstehenden Ausführungen lassen aber erkennen, daß bei der Bemessung des Honorars keinerlei Willkür von seiten des Ver legers herrscht, sondern daß ihm durch alle möglichen Umstände sein Handeln vorgeschrieben ist und seinen Vorschlägen Grenzen gesetzt sind, die den wichtigsten Ausdruck in der Höhe des Laden preises und der dadurch bedingten Verkäuflichkeit eines Werkes finden. Offene Leseabende im Dienste der Buchwerbung. Der Börsenverein der Deutschen Buchhändler erhob innerhalb seiner kulturellen Bestrebungen vor längerer Frist nachdrucksvoller als je die Forderung der Pflege des zeitgenössischen Schrifttums in Verbindung mit der Werbung für das gute und geschmackvolle Buch schlechthin. Getragen von dem Gedanken einer vornehmen Propaganda für das wertvolle und gute literarische Kunstwerk in gediegener und geschmack voller Aufmachung wurden zur Verwirklichung dieser Forderung Aus stellungen, aufklärende Werbetätigkeit in Schule und Presse, in Wort und Schrift empfohlen. So notwendig nun auch diese auf die Breite berechneten Unternehmungen sind, um größere Schichten des Publi kums zu erfassen: eine Vertiefung der literarischen Anteilnahme ist durch sie nicht immer zu erwarten. Und doch ist gerade eine solche Vertiefung die unbedingte Voraussetzung für die Auslösung aller der Bildungskräfte, die im literarischen Kunstwerk gebunden sind und für die Gestaltung in der Lebensform des Einzelnen wie der Gesamtheit. Dieses letzte Ziel, das aller großzügigen und machtvollen Propaganda und machtvollen Organisation aus diesem Gebiete erst ihren Sinn ver leiht, ist aber — soweit es sich nicht um die wesentliche Angelegenheit der Einzelpersönlichkeit handelt — nur auf dem Wege der Lesege- meinschaft zu erreichen, d. h. einer nicht äußerlich erfaßbaren, sondern einzig innerlich gebundenen, nicht organisierten, sondern orga nischen Gesamtheit. Für die Verwirklichung einer solchen setzt sich die Ratsbuchhandlung L. Bamberg in Greifswald seit anderthalb Jahren mit Nachdruck ein. Am 14. November v. I. konnte sie auf 25 Leseabende, die sich die Gründung solcher Gemeinschaft im Dienste vornehmer Buchwcrbung als Ziel gesetzt haben, zurückblicken. Ehe wir zu einer knappen Würdigung dieser Abende, der Art ihrer Durchführung im einzelnen übergehen, seien noch einige kurze prin zipielle Äußerungen über Leseabendc, ihre Zwecke und Ziele, willig htngenommen. Solche Leseabendc haben ein Dreifaches zu erfüllen: Ihre erste Aufgabe — und gerade darin kommen sie einem allgemein empfunde- nen Bedürfnis entgegen — ist Sichtung, prüfende Sonderung der Er zeugnisse des literarischen Marktes aus kulturellen und künstlerischen Gesichtspunkten. Diese Aufgabe zu erfüllen, ist um so unerläßlicher, als die Flut der mehr oder minder empfehlenswerten Untcrhaltungs- literatur auch nur einigermaßen zu überblicken heutzutage kaum noch dem möglich ist, der sich berufsmäßig auf dem Gebiete der Literatur bewegt. Zu der Gefahr, daß in der Fülle der Neuerscheinungen selbst das Ausgezeichnete wenn nicht überhaupt, so doch längere Zeit un beachtet bleibt und damit wesentliche kulturelle Werte unnütz ver stauben, tritt eine weit größere, da die wirtschaftliche Lage scheinbar zu gelegentlicher Publikumspekulation Berechtigung erteilt und so das wertvollere Werk, das einem gewissen Durchschnittsgeschmack mehr oder weniger entgegengesetzt ist, in seiner Wirkungsmöglichkeit noch mehr behindert. Andrerseits ist ss aber selbst innerhalb des Schrift tums, das den Anspruch auf literarischen Wert erheben kann, oft schwer, die Spreu vom Weizen zu sondern. Manche Erscheinungen werden unwidersprochen hingenommen und als künstlerisch belangvoll bezeichnet, die nichts weniger als empfehlenswert sind. Neben dieser Aufgabe der Leseabende steht eine andere: Aufklä rung in den Kreisen eines »gebildeten« Publikums, das dem litera rischen »Snobismus« huldigt. Ihr Werk ist außer der eigenen Ur teilslosigkeit und feigen Mitläuferschaft, die um jeden Preis der letzten Mode huldigt, vor allem die Entfremdung der zu charaktervollem Ur teil fähigen und höheren Ansprüchen willig entgegenkommenden Kreise der Leserschaft der jüngsten Dichtung. Die Bedeutung der weltanschau lichen Neueinstellung, der das Ringen um eine Form in der Literatur des sogenannten »Expressionismus« entspricht, ist noch heute — nach zwei Jahrzehnten! — nicht in das Bewußtsein der Allgemeinheit ge drungen. Außerordentliche seelische und kulturelle Werte harren damit noch jetzt der Erschließung in einer Zeit, die an solchen Werten wahr haftig keinen Überfluß aufzuweisen hat. Gerade die Schar der Mit- und Nachläufer des Expressionismus ist es gewesen, die mit ihren krampfigen, von groteskem Unvermögen und gewissenloser Geschäfts« 39