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161, 13 Juli 1SV7. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt s, d, Dtschn. Buchhandel. 7021 Geldbuße auferlegt wird, wogegen der Kläger den Gerichts saal mit dem Gefühl einer moralischen Niederlage verläßt, die sich in der Begründung des Urteils durch den Richter ausspricht. Der Fall, den ich im Auge habe, hängt mit den krampfhaften Bemühungen einer Verlagshandlung, für ihre Zeitschrift Abonnenten zu werben und sie festzuhalten, zusammen und darf wohl auf das Interesse der Leser dieses Blattes rechnen. Vor dem Strafrichter eines Wiener Bezirksgerichts stand als Angeklagter ein siebzehnjähriger Jüngling, Handels beflissener von Beruf, durch Neigung Dichter, dessen Pegasus allerdings — nach den Proben, die verlesen wurden, zu schließen — allen Grund hätte, sich an den Tierschutzverein zu wenden. Als Kläger stand dem poetischen Kaufmann der Vertreter einer Berliner Verlagshandlung gegenüber — sie wird es mir Dank wissen, daß ich ihre Firma ver schweige. Sie gibt eine lyrische Zeitschrift heraus, die die ihr eingesandten Gedichte dann aufnimmt, wenn der Dichter den laufenden Jahrgang pränumerando bezahlt. Für das Opfer von ein paar Mark seinen Namen gedruckt zu sehen, däuchte dem Jüngling sehr begehrenswert, und da er auch ein Jahr später sich von der Muse geküßt wähnte, so blieb er auch für einen weiteren Jahrgang Abonnent. Dann aber versiegte seine poetische Ader, und im Dezember v. I., so erzählte er dem Richter, kündigte er das Abonnement für 1907. Es erfolgte nun im Januar d. I. von der Verlagshand lung eine Mahnung, das Abonnement zu bezahlen, und als er die Zahlung verweigerte, erhielt er ein Schreiben, aus dem vom Richter einige Stellen verlesen wurden: »Eine Kündigung des Abonnements haben wir nicht erhalten. Laut beiliegender gedruckter Entscheidung des Reichsgerichts müssen Sie sich ausweisen können, daß Sie gekündigt haben. So aber läuft der »synallagmatische Vertrag«, den wir geschlossen haben, weiter. Zahlen Sie nicht gutwillig, werden wir die Sache unserm Anwalt übergeben und Sie überdies auf die schwarze Liste setzen!« Dieses Schreiben wurde dem Dichter zum Verhängnis. Der juristische Ausdruck »synallagmatische Vertrag« raubte ihm die Besinnung, und er richtete nun an die Verlags handlung zwei offene Karten, die ihn vor die Schranken des Gerichts brachten. Jnkriminicrt wurden die Stellen: »Ihr seid ja lauter Cretins«, »Notorische Betrügeibande« und »Ich schließe mit dem bekannten Zitat aus ,Götz von Berlichingen'«. Die Verhandlung bot, da Zeugen- und Sachverständigen beweis geführt wurde, ernste und heitere Momente, die ich hier übergehe, und schloß mit der Verurteilung des An geklagten zu zwanzig Kronen Geldstrafe wegen des Aus drucks »Cretins« und wegen des klassischen Zitats; dagegen wurde er von der Anklage wegen des Ausdrucks »notorische Betrügerbande« freigesprochen, weil das Vergehen des Verlags kein anständiges und korrektes war. Die Moral der Ge schichte ist jedenfalls: Eine sachliche Kritik ist, wenn auch in scharfer Form, gestattet, Schimpfen und Götz-Zitieren dagegen nicht. Da übrigens beide Parteienvertreter die Berufung anmeldeten, so wird auch das Gericht zweiter Instanz sich mit diesem interessanten Fall zu beschäftigen haben. * » » Die Schaubühne ist — so lesen wir in Schillers Abhandlung »Die Schaubühne als moralische Anstalt« — mehr als jede andre öffentliche Anstalt des Staats eine Schule der praktischen Weisheit, ein Wegweiser durch das bürgerliche Leben .... Wenn dies noch immer der Fall ist und wenn die Zuhörer auch jetzt noch ihre Ansichten über Gesellschaftsklassen und Stände nach den Vorgängen auf der Bühne formen, so dürfte ein großer Teil des Börsenblatt für den Deutsche» Buchhandel. 74. Jahrgang. Wiener Theaterpublikums keine günstige Meinung von dem Verlegerstande bekommen haben. Wenige Novitäten der abgelaufenen Saison konnten an Sensation mit Frank Wedekinds Schauspiel »Hidalla« wetteifern. Seine drama tische, literarische Bedeutung, die lebhafte kritische Kämpfe hervorgerufen hat, liegt außerhalb des Rahmens dieser Be trachtung. Hier soll nur darauf hingewiesen werden, daß der Dichter aus dem Verleger Gustav Launhardt, einer Haupt person des Stücks, eine recht erbärmliche Figur gemacht hat. Gleich in der ersten Szene fertigt er, der kürzlich zu seinem Vergnügen eine kostspielige Segeljacht gekauft hat, den Hauswirt, der den Mietzins für die Landwohnung des Verlegers fordert, mit leeren Versprechungen und unhöflichen Worten ab. Also eine Schmarotzerpflanze, die von der Aus beutung der andern lebt. Die weiteren Szenen geben das Bild eines starken Erwerbstriebes, der in gewissen Grenzen bei einem Geschäftsmann begieiflich, ja selbstverständlich ist. Es klingt ganz sinngemäß und nicht direkt abstoßend, wenn er einmal sagt: »Hansnarren nehme ich verteufelt ernst; mit Hans narren macht man bessere Geschäfte als mit Philosophen«. Aber je weiter das Stück fortschreitet, desto widerlicher wird er. In der Stunde der Gefahr verläßt er den Refor mator, dessen Pläne er zu fördern versprach. Im Auslande setzt er seine Unternehmungen fort, die nun prosperieren, weil sie von der Staatsgewalt verfolgt werden; er erwirbt Reichtümer. Zurückgekehrt, kennt sein Egoismus und Zynis mus keine Schranken. »Ich möchte«, sagt er, »ein Eisenbahn unglück mitmachen, bei dem zwanzig Personen zu Krüppeln zerdrückt würden, während ich mit heiler Haut davonkäme. Das wäre eine Riesenreklame für mich«. Und als der Held des Stückes durch Selbstmord endet, frohlockt der Verleger: »Jetzt fliegt der Name Hetman wie ein Lauffeuer um die Erde«. Nun nimmt er angesichts der Leiche triumphierend das nachgelassene Manuskript an sich, um es rasch zum Druck zu befördern. , So die tragische Muse. Ein andres Bild zeigt ihre heitere Schwester. Der Verlagsbuchhändler Eduard Möllen dorf in Oskar Blumenthals Lustspiel »Das Glashaus« ist durchaus kein Buchhändler »von altem Schrot und Korn«, keine Zierde des Standes, kein Förderer der Kultur — aber seine Geschäftspraktiken werden in so plausibler Form ge boten, daß er nur Heiterkeit, nicht Erbitterung auslöst. Zu dem sucht er sich seine Opfer nur in den bemittelten Ständen, und wenn wir die Geldsummen aus den Taschen der Wohl habenden in seinen unergründlichen Sack wandern sehen, so lachen wir auf Kosten der Gefoppten. Ihr wollt es ja so, denkt man sich. Die Grundidee des Stückes, daß wahres Glück nur in stiller Weltabgeschiedenheit gedeiht und wer sich in die Öffentlichkeit begibt in einem Glashause sitzt, ist philiströs und alt. Ruhm zu erringen, ist das sehnlichste Ziel von Tausenden von Dilettanten, und all diesen talentlosen Lyrikern, Dramatikern, Malern ist Eduard Möllendorf zu helfen bereit. Er übernimmt es, ihre Gedichte zu verlegen, ihre Theaterstücke aufführen, ihre Gemälde ausstellen zu lassen, — alles selbstverständlich unter der Bedingung vorherigen, ausgiebigen Kostenersatzes. Er hat sozusagen ein Entdeckungsgeschäft eröffnet und befindet sich dabei sehr wohl. »Bei meinem frühem Ver lage«, sagt er, »habe ich mich an die Leute gewendet, die etwas können. Dabei habe ich fast alles verloren. Jetzt wende ich mich an die Leute, die nichts können oder wenigstens noch nichts, an die Werdenden » In der Technik des Gimpel fangs ist er Virtuose, er schmeichelt seinen Opfern mit den bewährtesten Lobesklischees: »Es ist zwar ein Erstlingswerk; aber man sieht doch schon die Klaue des Löwen«, oder: »Die Hauptsache ist, daß Sie die persönliche Note haben«. 9l6