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Nr. 212. Zober Leipzig oder durch Kreuzband, an Nichtwitglieder in^ Mitglieder 40 Af.. 32 M.. SO M.. ISO M. — Deilageu werden Z dlejem Falle gegen 5 Mark Sulchlag für jedes Exemplar. Z* nicht angenommen.—Deiderjeitiger Erfüllungsort ist Leipzig Z laerttumdesdommierervsöerAeuLMenBumrllmdler' Leipzig, Montag den 13, September 1915, 82. Jahrgang. Redaktioneller Teil Auf feldgrauer Straße. Aufzeichnungen des Armterungssoldaten Otlo Riebicke. VI. sv siehe Nr. 201.) fNachbruck nur mit Genehmigung des Verfassers.) Frontsonntag. Es wird Sonntag sein. Die russischen Frauen gehen bunt und bekränzen die Heiligenbilder. Grelle Blumen liegen unter hölzernen Madonnen. Wir haben kein Glockengeläut, wir haben keinen Kirch- gang. Wir haben Arbeit. Vor uns liegt die Front. Aus Feuerschlünden brach sie gegen die Nacht. Mit Riesenzähnen biß sie in den Horizont. Der Himmel schrie firmamenthoch auf. Die Dunkelheit brüllte. Wir schliefen. Wir lullten uns ein unter dem Schutze der eisernen Batterien. Nun steht der Morgen. Kalt, nüchtern. Das Ungeheuer da vorn ächzt in verendenden Zuckungen. Trockene Gewehr, schlisse fallen noch; metallene Schläge pochen gegen den Himmel. Einzeln, matt, ersterbend. Wir erwachen in vibrierender Luft. Sie steckt noch voll der Erregung. Sie ist zerrissen, zerfetzt und fließt nur schwer ineinander. Pulver, Blut und Tod dunsten dazwischen. Der Tag sucht tastend seinen Weg. Noch muß die Sonne srontwärts hinter den Hügeln stehen; nur die Ränder des tief- hängenden Gewölks blassen aufwärts zum Licht. Ich gehe an einen Teich im Walde, mich zu waschen. (Es soll ja Sonntag sein.) Ekel treibt mich zurück: ein riesiger Pferdeleib ist gedunsen aus der Tiefe getaucht. Er stößt die Beine gegen den Himmel und segelt in grün, gallertenem Wasser. Die Frühsonne schiebt sich dahinter. In der Silhouette stehen die gekrümmten Beine wie Galgen. Ein schwarzer Vogel setzt sich queroben und pickt abwärts. Wiegend segelt die leichige Zille an Land, legt sich um, platzt auf und stinkt. Der fette Vogel haut in die Gedärme. Und immer an diesen Morgen, die aus durchschossenen Nächten erwachen, steigen schwarze Fanale aus den Fronten. Wir haben Arbeit. Die Front hat sich nach vorn gekurvt und dahinter liegen Gräben, zerbeult und verschüttet. Der Sturm der Deutschen schritt über sie hinweg. »Armierung vor!« Das Telephon sang es, ehe wir wach waren. Nun treten wir im Gleichschritt; kompagniettef. Das Quartier sinkt zu Tal. Wir schreiten über Höhen, auf denen uns wieder Berge decken. Wir marschieren den harten Weg der feldgrauen Frontstraße, bis uns der Wald sreigibt; dann stampfen wir nackte Felder. Am Depot der Pioniere nehmen wir Werkzeug, das blank und glatt vom Gebrauch ist; Befehle trennen uns in Gruppen. Wir schwenken rechts und links, denn die Mitte wäre der Tod: so ruht das feindliche Auge aus dieser Straße, die als schutzlose Lotrechte zur Front stößt. Wir meiden sie und treiben seitwärts vor; immer im Zickzack hinter Hügeln. Die Gruppen lösen sich, wir treten hintereinander und legen lange Abstände zwischen uns, um keine Zieletnheit zu geben. Die Front ächzt noch. Immer noch. Wir hören ihr Stöhnen jetzt nahe bet uns. Schrapnellwolken stehen schräg über Stellungen. Sie hüllen den Tod in Weiße Lieblichkeit. So sehen die Lämmerwölkchen aus, wenn in deutschen Hochsommern das ävo Laria läutet. Hier speien sie Blei, hartgesottenes Blei, das Blut sucht. Und dann stehen sie lange noch am Himmel, wie Augen des Hasses, und blicken nach tiefunten, wo Ambulanzen sich um ihre Opfer mühen. Nicht jeder Schutz trifft. Wahrlich nicht! Nur wenige von vielen. Aber dieses Heulen! dieses Heulen, das sie über die Strecke gießen — das ist das Furchtbare, Marternde, Zerrüttende! Als die ersten Projektile kamen, da waren wir wie flatternde Vöglein im Gewitterorkan. Heute kennen wir sie; wir haben uns daran gewöhnt. »Wir.: das Äußere, die Gestalt, der Mann. Aber innen, da rüttelt es doch an den Nerven. Jedesmal. Nur, daß wir es nicht mehr merken wollen. Ein Flieger steigt aus dem Horizont: der Feind fühlt vor. Ferngläser erkennen das rote russische Zeichen in doppelter Kilometerhöhe. Er kommt; er hat Habichtsaugen; er sieht durch scharfe Linsen. Die deutschen Geschütze schweigen. Ein Schuß würde die Stellungen verraten. Eintönig summt es vom Himmel und schlägt zum Surren, wenn der Wind nach unten drückt. Wir liegen platt gegen Hügelrücken, drücken die Ge sichter auf die Erde und suchen Assimilation. Er soll uns nicht sehen, aus dem Anmarsch den Zweck schließen. Wir ge winnen; in hoher Kurve wendet die Maschine gleitend zur eigenen Front. Sie sinkt zur deutlichen Augensicht. Da zer reißt die Luft: hinter uns . . . vor uns . . . neben uns. Deutsche Abwehrkanonen schießen. Zielwolken ballen sich um den Russen. Jäh ruckt er nach oben. Da bleiben die Wolken zurück .... wir erreichen ihn nicht mehr. Nun wird er drüben landen. Landen — aber ohne Erkundung. Oder wird er lügen? Wird er seine Batterien trreführen, daß sie harmlose Stellen mit Munition überschütten? Manchesmal schon standen unsere Feldgrauen und sahen nach solcher »Fliegerausklärung« lächelnd der Wut zu, mit der russische Artillerie in freies Feld peitschte. Wir stehen auf und schleichen weiter. Wie blinde, lider gequollene Augen glotzen Granattrichter. In vielen steht lehmiges Wasser. So weint die Erde. Auch an kleine Löcher kommen wir, um die Strohwische stehen, oder frische Baumreifer. Da müssen wir entfernt herumgchen. Die Soldaten haben hier Granaten hineinzischen sehen, und die stecken noch unkreptert in Metertiese. Er schütterungen können sie zur Explosion Wecken. Darum warnen die Zeichen, bis die Feuerwerker kommen und den Todeskeim erstickt haben. — Endlich sind wir hinter der vorgeschobenen Stellung. Da ist der eroberte Schützengraben. Ausgeslacht zur Unkenntlichkeit streckt er sich Hunderte von Metern. Die Drahtverhaue liegen in wirrer Zerrissenheit davor. Mit Balkenbrücken und Draht scheren ist diese Unüberwindlichkett überwunden. Die Artillerie schlug Bresche, die Pioniere weiteten Wege. In Zähigkeit hielten die Russen. Die Granaten schaufelten mit Rtesenhänden Gräber. Kartuschen sangen, Gewehre Pfiffen. Dann rang das Bajonett. Mann gegen Mann. Kein Schreien; nur Knirschen. Wut gegen 1257