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209, 7. September 1907. Nichtamtlicher Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. 8771 Nichtamtlicher Teil Die Zukunft unserer Druckwerke?) Von Prof. W. Lerzberg, Vorsteher der Abteilung 3 (Papier- und textiltechnische Prüfungen) des König!. Materialprüfungsamts in Groß-Lichterfelde-West. Bereits vor 20 Jahren hat Martens in den »Mit teilungen«**) auf die Gefahr hingewiesen, in der ein großer Teil der geistigen Erzeugnisse unsrer Zeit dadurch schwebt, daß zu seiner Herstellung Papiere verwendet werden, die lange Ausdauerfähigkeit nicht erwarten lassen, da sie weder in der Stoffzusammensetzung noch in der Festigkeit die hier für erforderlichen Eigenschaften besitzen. Damals wurden die von der Versuchsanstalt gelesenen technischen Zeitschriften untersucht, sowie Papiere von Druckwerken, die die König liche Bibliothek und die Bibliothekoerwaltung des Ministeriums der öffentlichen Arbeiten zu Berlin in bereitwilligster Weise zur Verfügung stellten. Das Ergebnis der Prüfung lieferte einen betrübenden Ausblick auf den Zustand, in den die Schätze unsrer Biblio theken schon nach wenigen Jahrzehnten kommen werden. Von rund 100 untersuchten Zeitschriften von dauerndem Wert waren nur sechs auf Papier gedruckt, das eine einiger maßen sichere Gewähr für langjährige Ausdauer erwarten ließ. Ein großer Teil der Papiere enthielt Holzschliff oder andre verholzte Fasern, also Rohstoffe, die für Dauerpapiere gänzlich auszuschließen sind; die übrigen waren aus aus- dauerfähigerm Material hergestellt, aber meist von so geringer Festigkeit, daß ihnen bei nur einigermaßen häufigem Gebrauch baldiger Zerfall in Aussicht gestellt werden konnte. Da es sich bei der Frage der Ausdauerfähigkeit unsrer Druckpapiere um eine Kulturfrage von großer Bedeutung handelt, so wurden am Schluß der eingangs erwähnten Arbeit die öffent lichen Bibliotheken gebeten, der Frage dauernd ihre Auf merksamkeit zuzuwenden und das Bestreben, an der Besserung der Zustände mitzuarbeiten, durch Überweisung geeigneten Versuchsmaterials zu unterstützen. Die vor Jahren ausgesprochenen Befürchtungen über den vorzeitigen Verfall von Druckwerken scheinen sich stellen weise schon zu verwirklichen. Die Königliche Universitäts bibliothek hat sich mit einer Eingabe an das Material prüfungsamt gewandt, in der sie darauf hinweist, daß es für die Wissenschaft und die öffentlichen Bibliotheken, zu deren Aufgaben es gehört, die gedruckte Literatur für die Zwecke der wissenschaftlichen Forschung zu sammeln und aufzubewahren, von größtem Interesse sei, daß diese Druck schriften in einem Zustande erworben werden, der eine Ge währ dafür bietet, daß sie nicht nur von den Zeitgenossen, sondern auch noch von den kommenden Geschlechtern wissen schaftlich ausgenutzt werden können. Die Frage der Haltbarkeit des zu wissenschaftlichen Druck schriften verwendeten Papiers hätte, so wird ausgeführt, eine immer größere Bedeutung gewonnen, seitdem mehrfache chemische und mikroskopische Untersuchungen die Vermutung nahe legten, daß zu dieser Literatur wahrscheinlich in weiter Ausdehnung Papier verwendet werde, das nach Stoff zusammensetzung und Festigkeit keine lange Dauer erwarten läßt. Diese Vermutung habe in der auf die Erfindung des *) Mit gütig erteilter Erlaubnis des Verfassers und Verlegers abgedruckt aus den: -Mitteilungen aus dem König!. Materialprüfungsamt- zu Groß-Lichterfelde-West. Hrsg, im Aufträge der König!. Aufsichtskommission. Verlag von Julius Springer in Berlin. **) A. Martens, Druckpapiere der Gegenwart. -Mitteilungen». l887, Ergänzungsheft IV und 1888, Seite 126. Holzschliffpapiers vor 60 Jahren folgenden Zeit, besonders aber in der Gegenwart unter dem Druck eines hochgespannten geschäftlichen Wettbewerbs eine immer greifbarere und drohen dere Gestalt angenommen. Das Papier, auf dem unsre Bücher, und noch mehr das, auf dem die Tageszeitungen gedruckt werden, errege hinsichtlich seiner Dauerfähigkeit und somit der Möglichkeit, diese Schriften in benutzungsfähigem Zustand auf die Nachwelt zu bringen, die schwersten Be denken, und es erscheine nicht ausgeschlossen, daß für einen Teil der heute in den Bibliotheken eingestellten Literatur, was seine zukünftige wissenschaftliche Verwertung anbetrifft, die großen Mühen und Kosten der Bearbeitung und Auf bewahrung nutzlos aufgewendet worden seien. Zu den nach Jahrzehnten wissenschaftliche Bedeutung erlangenden Druckschriften gehörten in erster Linie die Tages zeitungen, die ohne Unterschied auf stark holzschliffhaltiges Papier gedruckt und somit frühzeitigem Untergang geweiht sind. Aber auch andre Druckschriften, darunter viele als Pflichtexemplare in die Bibliotheken gelangenden, erschienen in dieser Hinsicht höchst verdächtig. Die Angelegenheit sei, so wird weiter ausgeführt, so wichtig und wird auch von allen wissenschaftlich Arbeitenden als solche anerkannt, daß es notwendig erscheine, zur Herbeiführung besserer Zustände geeignete Schritte zu unternehmen. So wie die Zustände von der Königlichen Universitäts bibliothek beurteilt werden, werden sie vermutlich auch von andern öffentlichen Bibliotheken angesehen, und es wäre erwünscht, wenn alle in Betracht kommenden Stellen sich an dem Bestreben, Wandel in den Verhältnissen zu schaffen, beteiligen würden und Mitteilungen über ihre Erfahrungen machten. Im Materialprüfungsamt hat zunächst eine Besprechung mit dem Direktor der Universitätsbibliothek vr. Franke stattgefunden, um zu erörtern, in welcher Weise die Sache zunächst in Fluß gebracht werden könne. Das Amt erklärte sich bereit, nach besten Kräften durch sachkundigen Rat und fachmännische Untersuchungen mitzuwirken, und es wurde beschlossen, zunächst nochmals eine größere Anzahl älterer und neuerer Druckwerke auf das zu ihrer Herstellung verwendete Papier zu untersuchen und auf Grund der hierbei gemachten Erfahrungen weitere Anregungen zu geben. Der Herr Unterrichtsminister hat diesen Vorschlag gebilligt, und von der Universitätsbibliothek sind aus etwa 400 verschiedenen Werken und Zeitschriften Papierproben entnommen und dem Amt zur Untersuchung zur Verfügung gestellt worden. Die Prüfung ist bereits eingeleitet worden, und über das Ergebnis wird später berichtet werden. Unter den übersandten Proben befindet sich u. a. ein Werk, das schon jetzt wegen seines mangelhaften Zustands aus der Bibliothek entfernt werden mußte: System und Geschichte des römischen Privatrechtes. Von G. F. Puchta, 9. Auflage 1881. Die Ränder der Blätter sind stark vergilbt und zeigen zahlreiche Risse; größere Stücke sind vielfach aus gebrochen. Viele Blätter des Werkes, namentlich im ersten und letzten Teil, sind an den Rändern mit festem Papier überklebt, um sie vor dem Verfall zu schützen. Ein Fachmann hätte dem Werk seinen unvermeidlichen Verfall bei starker Benutzung Voraussagen können, da es auf Papier gedruckt ist, das zur Herstellung derartiger Werke als ganz ungeeignet bezeichnet werden muß. Die Prüfung des Papiers, zu der die Proben aus dem besterhaltenen, innen nach dem Rücken zu gelegenen Teil des Buchs ent nommen wurden, lieferte folgende Ergebnisse: Mittlere Reißlänge 1550 m, „ Dehnung l,» °/o, 1143*