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6996 Nichtamtlicher Teil. 226, 28. September 1899. jener in verschiedener Richtung umbildete. Diese Umbildung geschah aber nicht durchaus den natürlichen Anforderungen der Schreibart entsprechend, sondern Geschmacksrichtung, Willkür und Unverstand der Schreiber lenkte diese Schrift oft von ihrer natürlichen Aufgabe ab, die gesprochenen Laute möglichst einfach, aber deutlich darzustellen. Dann folgte naturgemäß eine Gegenwirkung, die auf ältere, bessere Schrift formen zurückgriff; so wurde die verworrene merowingische Schrift unter Karl dem Großen aufgegeben und eine ein fachere Schreibung der Buchstaben gebräuchlich, die im wesent lichen in unserer heutigen »kleinen Lateinschrift« (Kursiv) noch erhalten ist. Diese Schrift, die also eigentlich »altdeutsche« oder »altfränkische- heißen sollte, wurde von den Humanisten, die sie »Antiqua- nannten, gegenüber der später wieder aus gearteten Schrift befürwortet und ist seitdem, namentlich in gelehrten Kreisen, viel in Gebrauch geblieben und nimmt in neuerer Zeit im Geschäftsleben immer mehr überhand. Aus geartet, ja geradezu verwildert war aber in der That die Schrift des Mittelalters, und praktischere Völker, die sich früher als die Deutschen auf ihren »weltmännischen Beruf« besannen, wandten sich dauernd von ihr ab. Nachdem in neuerer Zeit auch die nordgermanischen Völker zur Latein schrift übergegangen sind oder dazu übergehen, bleiben wir Deutschen allein bei der mittelalterlichen, wenn auch in ver einfachte Form gebrachten Schrift stehen; und was ursprüng lich nichts Deutsches an sich hatte, ist dadurch erst zu nationaler Besonderheit geworden. Aber mit dieser Thatsache müssen wir rechnen. Völkisches Empfinden läßt sich nur bei den Höchstgebildeten des Volkes durch geschichtliche Ueberlegung beeinflussen; die Masse folgt dem unmittelbaren Eindruck. Nun aber ist in der Schrift frage die naturgemäße Entwickelung immer wieder zum Durchbruch gekommen; mit ihr dürfen wir uns also nicht in Widerspruch setzen, wenn wir etwas Nationales in unserer Schrift festhalten wollen, ohne uns dem Vorwurf »senti mentalen Deutschtums- auszusetzen. Um das Naturgemäße sicher zu erkennen, müssen wir vor allem den Unterschied von Schreib- und Druckschrift auf das nachdrücklichste betonen. Unsere heutige Druckschrift greift auf die alten Zierschriften zurück, wie sie in mühsam und mit übermäßigem Zeitauf wand in den Klöstern des Mittelalters hergestcllten Büchern niedcrgelegt waren. Diese Schriften wurden durch den Druck zuerst mit ganzseitigen Holztafeln, dann nach Gutenbergs Vor gang unter Zerlegung in die Buchstabenbestandteile nachgebildet und vervielfältigt und sind in unserem heutigen »Frakturdruck« noch deutlich zu erkennen. Die auf ganz anderen Bedingungen beruhende Gebrauchsschrift des täglichen Lebens ging ihren eigenen Weg daneben und wurde zu unserer heutigen »Kurrent schrift«. Nichts ist drolliger, als wenn beide Schriftarten gleich mäßig als ihrem Charakter nach deutsch angepriesen werden, denn es läßt sich kaum etwas Gegensätzlicheres denken, als »deutsche« Schreibschrift und »deutsche« Druckschrift. Wenn also die eine »dem deutschen Charakter entspricht«, thut es die andere sicher nicht. Bei der Druckschrift müssen wir außerdem fragen, ob die gotisch stilisierten, gebrochenen Kleinbuchstaben oder die im Rokoko-Geschmack gehaltenen Großbuchstaben mit ihrer Auflösung aller Form in willkürliche Bogenlinien als »deutsch« gelten sollen. Daß Lesbarkeit die erste Grundbedingung einer Schrift sei, war den ersten Druckern nicht zum Bewußtsein gekommen, weil sie ihre Aufgabe in der Nachbildung der bestehenden Bücher sahen und sehen mußten, wenn sie über haupt mit ihrer Kunst durchdringen wollten. Nur die Ge wohnheit und die Auffassung von »Wortbildern« statt der einzelnen Buchstaben beim Lesen hat uns Undeutlichkeit und leichte Verwechselung zahlreicher Frakturbuchstaben ertragen gelehrt. Aber das Wortbild ist aus den einzelnen Buchstaben zusammengesetzt, und die mangelhafte Erkennbarkeit der Buch staben schädigt selbstverständlich auch die Auffassung der Wort bilder und führt zu häufigem »Verlesen«. Bleiben wir bei dieser zugleich unschönen und unprak tischen Bruchschrift, so ist ihre schließliche Verdrängung durch die den Weltverkehr beherrschende Lateinschrift unvermeidlich. Anders liegt die Sache, wenn wir zu einfacheren und schöneren Formen der Buchstaben unsere Zuflucht nehmen, die vom Volke ebenso wie die Fraktur als »deutsch« empfunden werden, die aber, wie namentlich die schöne und mit Recht neuerdings immer mehr beliebt werdende »Schwabacher- Schrift«, die antike Grundform aller unserer Buchstaben noch deutlich zur Geltung kommen läßt, ohne deren Steifheit zu haben, und von Ausländern ohne Schwierigkeit gelesen wird. Nichts hindert uns außerdem, einzelne Mängel, wie die Form des großen das wie in der Bruchschrift noch dem U ähnelt, zu verbessern; manche Druckereien verwenden schon in der Schwabachcr-Schrift ein erkennbares und ebenso stilgerechtes Den praktischen Vorzug der Ausnutzung der Unterlängen bei f, h, z, gegenüber k, b, 2 der Lateinschrift teilt der Schwabacher Druck mit der Frakturschrift, ohne deren Nachteile zu haben. Auch a und g sind mit Rücksicht auf die Schreibschrift besser als a und g. Diese Vorzüge des deutschen Drucks verkennt auch der »Verein für Altschrift« nicht, indem er als 24. Leitsatz aufstellt: »Gegen eine etwaige neue Schrift in einem nachweislich deutschen Stil, die die Grundformen der Buchstaben wahren und auch die anderen besprochenen Mängel vermeiden würde, hat der Altschriftverein nichts Grundsätzliches einzuwenden.« Nur daß es eine neue Schrift sein müsse, kann ich nicht einsehen, und ich halte eine Einigung auf Grundlage der verbesserten Schwabacher-Schrift für um so eher möglich, als der Verein auch gegen die Mängel der Lateinschrift (z. B. Fehlen des langen s) keineswegs blind ist. Aber nun die deutsche Schreibschrift; an der ist doch unbedingt festzuhalten? — Leider belehren uns die That- sachen, daß die echte deutsche Schreibschrift nur in den Schreibvorlagen der Schule und — bei den Backfischen, eigentlichen und ausgewachsenen, zu finden ist. Wirkliche Gebrauchsschriften sehen ganz anders aus; zumal die eckigen N- und U-striche u. s. w. die als besonders charakteristisch für die deutsche Schrift angesehen werden, runden sich von selber ab, wie es die Schreibflüchtigkeit verlangt, wenn nicht besondere seelische Eigenschaften (»eckiger Charakter«) diese Buchstabenform mit sich bringen. Dieselben Ecken kommen aber beim Vorhandensein dieser Eigenschaften ebensogut in die lateinische Schreibschrift hinein mnd finden sich beispiels weise in der typischen Handschrift der Engländer sehr deutlich, dem gewinkelten Ellbogen vergleichbar, mit dem diese Nation sich rücksichtslos Bahn zu brechen pflegt. Wenn der Zu sammenhang der Handschrift mit dem Charakter auch noch längst nicht genügend klargestellt ist; daß ein solcher Zusammen hang da ist, wird heutzutage kaum noch bezweifelt. Vielfach ist eckige Schreibung im Auslande geradezu Modesnche und wird in den Schulen mühsam eingeübt. Also als »deutsche Handschrift« haben nicht die will kürlichen Schulvorlagen Bedeutung, sondern die wirklichen Gebrauchsschriften, die um so mehr von jenen verschieden sind, je ausgeprägter der Charakter des Schreibenden ist. Eine typische deutsche Handschrift hat sich aber noch nicht herausbildcn können wegen der unsinnigen Doppelwährung unserer Schrift, die zudem auch noch eine unnütze Be lastung der kleinsten Schuljugend darstellt. Soll aber nur eine Schriftart angewandt werden, so kann dies nur die lateinische (altfränkische) sein, da wir diese für den Verkehr mit anderen Völkern so wie so nicht entbehren können. Und wir haben doch auch mindestens dasselbe Recht auf die Lateinschrift wie diese anderen Völker; und wenn wir