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150. 1. Juli 1908. Nichtamtlicher TeU. >Stt«rdIatl s. d. Dtschn. vuchhand-l. 7209 auch der Helwingschen Buchhandlung schwerer Schaden zugefügt worden war. Insbesondere wurde ein für die Firma überaus wichtiges Privileg in diesem Jahre aufgehoben, wonach die Firma innerhalb des Königreichs Hannover für sämtliche Postsachen, die von ihr ausgingen und die an sie eingingen, völlige Porto- f reiheit genoß. Von Carl Mierzinsky, der im Jahre 1864 zum königlich hannoverschen Kommerzrat ernannt wurde, ging die Firma nach dessen Tode im Jahre 1872 an seinen Sohn Theodor über, der seinen Gehilfen, Heinrich Lindemann, als Teil haber aufnahm. Diesem übertrug er dann später die jetzt noch hochangesehene Sortimentsbuchhandlung gleichen Namens, um sich selbst nur noch dem Verlag zu widmen. Theodor Mierzinsky starb im Jahre 1888. Der Sitz der Helwingschen Verlagsbuchhandlung war seit ihrer Begründung in dem Hause Kramerstraße 13, wurde im Jahre 1860 nach dem Theaterplatz 3 verlegt und 1877 in das jetzige Geschäftshaus Schlägerstraße 55. Nachzutragen ist noch zu den Filialen der Helwingschen Firma, daß die Duisburger Firma später an die heutige Firma G. D. Baedeker, Essen-Ruhr, überging, daß dagegen die Meyer- sche Hofbuchhandlung in Lemgo, die um 1840 nach Detmold ver legt wurde, erst 1870 in fremde Hände kam, als der zur Nachfolge bestimmte Sohn Clemens Helwing am 14. August 1870 im Feldzuge gegen Frankreich gefallen war. Eine hierauf hinweisende Gedenktafel findet sich im Festsaale des Deutschen Buchhändler hauses. Eine im Jahre 1871 von Theodor Mierzinsky in Celle gegründete Filiale ging 1879 an Herrn Karl Andre über, der noch jetzt Inhaber dieser Firma ist. * * * Zwei Buchhändlerbriefe. Im Anschluß an vorstehenden Bericht aus der Geschichte der jetzigen Helwingschen Verlagsbuchhandlung sei hier noch folgendes Persönliche aus dem Leben eines ihrer Inhaber mitgeteilt, was der Aufzeichnung in hohem Grade wert ist und der Aufmerksamkeit der Kollegen empfohlen sei. Durch Zufall ist die Helwingsche Verlagsbuchhandlung in Hannover vor einigen Tagen in den Besitz zweier Briefe gelangt, die ein früherer Inhaber der Firma, Herr Christian Di edrich Helwing, im Jahre 1804 an seine in Lemgo wohnenden Verwandten gerichtet hat. Helwing war damals Junggeselle. Geboren am 2b. März 1764, heiratete er erst am 1. April 1807 Friderike Ramberg (geb. 24. Dezember 1779), eine Schwester des hochangesehenen Malers Ramberg, von dem u. a. der welt berühmte Vorhang im Hannoverschen kgl. Schauspielhause stammt. (Siehe auch Börsenblatt Nr. 68 vom 23./III. 1906.) Die Briefe er zählen ein sehr interessantes Vorspiel zu der späteren Erschießung des Buchhändlers Palm in Nürnberg und dürsten als ein Beweis für das damalige willkürliche Vorgehen der Franzosen gegen deutsche Buchhändler von geschichtlichem Werte- sein. Zu bedauern ist nur, daß sie, die gerade vor zwei Jahren gelegentlich des Palm - Jubiläums doppelt interessant gewesen wären, erst jetzt aufgesunden worden sind. Für die Erlaubnis, die Briefe im Börsenblatt veröffentlichen zu dürfen, sind wir der Helwingschen Verlagsbuchhandlung auch jetzt sehr dankbar. Red. Theuerste Mutter und geliebteste Geschwister! Gestern und ehegestern erlebte ich widrige und schreckliche Tage, die indeß nun außer der Rückerinrung das Gefahrvolle verloren haben. Ehegestern wurden nemlich ohnversehens zu gleicher Zeit in allen Buchhandlungen und englischen Waaren- handlungen durch mehrere Abtheilungen der französischen Gensd'- armerie Visitation angestellt. Man ging in den Buchhandlungen, wie man bald merken konnte, auf eine am vorigen Sonnabend per Post direct anonym eingelaufene piepe: Bonaparte der Gefürchtete (sehr heftig gegen B.) aus. Unglücklicher Weise fand man hinter Ußlars*) Seite ein Exemplar davon, welches selbigen Tages vom Hauptmann Nachbar Grewe (als zur Lektüre *) Gehilfe bei Helwing. Börsenblatt sür den Deutschen Buchhandel. 7b. Jahrgang. geliehen) zurückgeschickt war und Ußlar nicht gleich bey die anderen Exemplare oben hinaus ab Seiten gebracht hatte. Man suchte noch weiter auch oben auf dem Lager unter den brochirten, fand aber nichts. Den gensd'armes, deren 2 an der Zahl bey uns, er klärte ich beym Mitnehmen des Buches, daß es uns 'anonym zugesandt sey, ich also den Einsender nicht kenne, auch nichts davon verkauft habe. Die Art des anonymen Einsenders wollte ihnen nicht gleich einleuchten und schien ihnen dies paradox. Man nahm das Buch mit, sagte übrigens es werde wieder zurückgegeben werden. Ich zweifelte nun zwar nicht, daß die Sache werde untersucht werden, dann aber meine Unwissenheit puncto des Verlegers und Verfassers werde anerkandt und somit höchstens das Buch bey namhafter Geldstrafe werde verbothen werden. Statt in der Art meine Unschuld bezeugen zu können werd ich andern Morgens um 6 Uhr von 4 gensd'armes, auf Befehl des Platz-Commandanten, General Schirmer, von meinem Garten abgefordert und statt zu Schirmer selbst, denken Sie! nach dem Clever Thor in die Stube des französischen Gefangenen Auf sehers gebracht. Die gensd'armes waren schon um 5 Uhr am Hause in der Stadt gewesen und hatten mich auf meiner Schlafstube gesucht, ließen sich sodann aber durch die ganz consternirte Ußlar und klein Dortgen nach dem Garten bringen. Bey ihrem Eintritt in meine Schlafkammer blieb ich ruhig, als meiner guten Sache gewiß, denn nur diese konte ich ahnden! — unter Weges redete ich mit den gensd'armes darüber, die sich aber ganz häßlich aus der affaire zogen, sich bald empfahlen und somit mich dem franz. (die französischen haben Aufsicht über die, welche von den Deutsch militärischen und die Deutschen über die, welche von den Franzö sisch-Hannoversch. Behörden arretirt worden) Gefangen Aufseher überließen. Diesem mußte ich bald eine Treppe hinauf folgen und — was denken Sie! — er brachte mich in ein schwer verriegeltes kleines Criminal-Gefängniß. Bey dieser Aussicht ward mir schau dernd zu Muthe: ich sagte ihm: wie ich hierhin gerathe und ob man mich bevor allen Verhörs etwa als Verbrecher hier behandeln wolle; nur Unkunde des französ. Gouvernements mit dem Gange des Buchhandels könne hierunter einen Argwohn auf mich ziehen, den ich durch eine kurze Detaillirung beym General Schirmer leicht aufgeklärt haben würde. Er bedauerte, wenn sich das so verhalte, allein er habe Ordre so und werde ich schwerlich heute gleich schon, wie mir von den gensd'armes zugesagt war, von den Militair-Obern Jemand zu sprechen bekommen, wie das wol 3 Tage dauern könne. Schrecklich war mir nun die Sache und vergingen mir von 6^ Uhr bis 1 Uhr in fürchterlichen Be trachtungen über die Art und Weise, so von allem Verhör ab behandelt zu werden — ich machte mir die finstersten Vorstellungen über d. souxyons, d. das franz. Gouvernement habe fassen und diese Sache irrig zu meinem fürchterlichsten Nachtheil ansehen können pp. Kurz meine Ideen gingen schon ans Majestäts-Ver brechen und Todtschießen, wie dergleichen in neueren Zeiten nichts Neues — Der französische Gefangenwärter kam doch ab und zu und brachte mir etwas Lectüre sowie die deutschen Ge fangenwärter mit ihm mich an zu bedauern anfingen bey der Ansicht, die ich ihnen von der Sache gab. Leztere machten meine Besorgniß, erst lange sitzen zu müssen noch größer: indem sie sagten: Die Franzosen machen es izt leider so — sie hätten schon Leute 14 Tage sitzen lassen, ohne sie anzuhören und ihnen den Grund ihrer arrestation anzukündigen. Vom Hause und Freunde hatten mich bereits um 10 Uhr zurück erwartet — kamen aber mich zu besuchen nach Verlauf desselben — wurden nicht zugelassen, ich blieb ganz einsam! — Gegen 1 Uhr kam auf Abschickung des französischen Gefangenwärters mein Essen von Haus und es ließ sich schon etwas gelinder heran — man ließ die Dortgen mit'dem Essen zu mir und auch meinen Sergeanten Toussaint, der bereits zu Hause über mein Ausbleiben geweint hatte und nun gar mit Dortgen erschrack, wie er mich in solchem Gefängnisse fand. Ich war froh durch ihn und Dortgen dem Doctor Conradi (der schon morgens zu mir hatte wollen aber abgewiesen war) wissen zu lassen. 939