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„V' 18, 14, Januar 1916, Redaktioneller Teil. sollte in diesen Büchern das berücksichtigt werden, was dem Osmanen und uns gemeinsam ist: Sauberkeit des inneren und äußeren Menschen, in allen Fragen Leibes und der Seele, Vaterlandsliebe, Märchenglaube, Gotivertrauen, Himmels- sehnsuchl, über dem allem aber mutz ein Schimmer echten, harmlosen Kindersinns liegen, von jener reinen und rührenden Art, die uns das Leben raubt, um uns den Widerschein des Verlorenen nur alljährlich einmal im Glanze der Weih nachtskerzen zu zeigen. Der Osmane behält diesen Glauben durch alle Wirrsale und Irrungen eines langen Lebens hin durch und offenbart ihn, sowie man einen Blick in seine scheu verschlossene Seele tut. Frohe Bücher müssen hingebracht werden, in deren Frohsinn doch ein tiefes Meinen liegt, Bücher, deren Worte wie Blumen sind, gewachsen aus den Wiesen, da die Menschheit in ihrer Jugend spielte; und ein Klang von fernen Harfeniönen muß darin sein, die den reinen und tapferen Kämpfer in einem sonnigen Lande um schmeicheln werden, das er nach dem Tode seiner harrend finden wird. Vor allem aber müssen die deutschen Bücher den Türken einen besseren Begriff über das Wesen und die Stellung der Frau zu vermitteln suchen, als er in den Pariser Spezialerzcugnissen zu finden ist. Die tiefe, zum Teil mit leidige Mißachtung gegenüber der europäischen Frau gründet sich auch darauf, daß der in der Hauptstadt lebende Musel mann an Levantinerinnen und kosmopolitisch gesinnten Frauen aller Nationen bestätigt sieht, was er in den französischen Romanen liest. Für den Türken ist es ja überhaupt schwer zu verstehen, daß eine Frau, ob sie gleich dem dreisten Blick des lauten Lebens ausgesetzt ist, dennoch stillen, tugendhaften Sinnes bleiben und nur ihrer Familie leben kann. Dem Türken einen richtigen Begriff vom Sein und Wesen deutscher Frauen zu geben, wäre verdienstvoll und lohnend, wenn auch sehr schwierig, da man besonders berücksichtigen müßte, daß Frau und Liebe im Leben des Orientalen nicht den Raum einnehmen wie bei dem Europäer, Die Frau ist ihm Hüterin seines Herdfeuers und Mutter seiner Kinder im besten Sinne; was der Mann sonst noch beim Weibe sucht, findet der Moslim so leicht, daß er diese höchst natürlichen Gefühle nicht zu ver stecken oder auf Schleichwegen zu befriedigen braucht. Deshalb sinkt diese Frage auf ihr naturgemäßes, für ihn bedeutungs- loses Niveau herab. Alles Minderwertige, Zweideutige, Raffi nierte und Gemeine der sogenannten »Liebe- ging bisher im Orient nur von der europäischen Frau entsprechender Qualität aus. Wenn ich etwas länger bei der Frage der Frauenbe- urtetlung verweilte, so geschah dies deshalb, weil sich ja die Kultur eines Volkes am besten in seiner Stellung der Frau und Familie gegenüber zeigt. Gibt man also einem anderen Volke von den eigenen Frauen einen niederen Be griff, so überträgt es diesen halb unbewußt aus die Gesamt heit des Volkswesens, besonders wenn es selbst seine Frauen wie ein häusliches Heiligtum hütet. Darum muß der Türke eine wahrheitsgetreue Vorstellung der deutschen Frau be kommen; hiervon ausgehend, wird er unschwer aller sonstigen Kenntnis unseres Wesens zugänglich sein. Allen diesen Dingen gegenüber liegt die Aufgabe des deutschen Buches klar auf der Hand: es muß systematisch vorgegangen und mit einer fast spielenden Einführung in die deutsche Art begonnen werden, um langsam weiter sortzu- schretten. Dem farbenfrohen Sinn des Orientalen veranschau lichen Bilder den Begriff zuerst einmal am besten; jedoch muß man hierzu nicht die ganz modernen Erzeugnisse wählen, sondern eher Darstellungen nach Schwindscher oder Spitz wegscher Art, immer in Farben, Deutsche Heldensagen mit Illustrationen, alte Trachtenbilder, dazwischen einmal eine Sammlung epischer Gedichte, evtl, mit Vignetten Lyrik wäre ganz verfehlt! —, das wäre so etwa der Anfang, Von Romanltieratur müßte leichte, liebenswürdige Ware, doch nur guter Qualität gewählt werden, keine verwickelten Probleme, keine philosophisch-psychologischen Betrachtungen und keine zu umfangreichen Bücher, Geschichtswerke wären sehr am Platze, doch dürsten nicht solche gewählt werden, in denen der Kampf gegen das Heidentum in einem Atem genannt wird mit dem gegen den Halbmond; in diesem Punkte ist selbstverständlich der Mohammedaner sehr empfindlich. Mit mythologischen Werken ist ihm nicht gedient, sie schaden eher; das Verständnis für die Poesie der Götterlehre würde völlig fehlen und nur zu schwer zu beseitigenden Mißverständnissen Anlaß geben. Gänzlich zu vermeiden wären religiöse Abhandlungen, welcher Art sie immer seien; es könnte da leicht durch ein Buch die Arbeit von Monaten zerstört werden. Man muß eben immer wieder bedenken, daß man es mit einem Volke zu tun hat, das wie ein scheues, licbcbedürstiges Kind ist, das schon oft mißverstanden wurde und sich deshalb mit einer gewissen stolzen Bitterkeit in sich selbst verkrochen hat. Dieses Kind sollte der deutsche Geist langsam zutraulich machen durch frohe, innige Worte, durch Offenheit, durch den Beweis des Glaubens an ethische Gleichstellung und deren Berechtigung. All das vermag das deutsche Buch dorthinauszutragen, wo so viele erst erwacht sind und der neuen Zeit entgegenharren. Besser als alle Versicherungen der Regierung, besser als alle Arbeiten der Pioniere des Deutschtums wird den Osmanen das deutsche Buch von der wahren Gesinnung des deutschen Volkes überzeugen. Erst hieraus wird er erkennen lernen, wieviel Gleiches in den Seelen beider Völker schlummert, wie vieles, das wert ist, nicht nur gegenseitig gekannt, sondern auch gegenseitig nutzbar gemacht zu werden. Der einzige Weg einer dauernden Verständigung, unbeeinflußt von Kriegsglllck und Politik, liegt in diesem Erschließen deutschen Wesens durch deutsche Bücher, in denen deutsche Art klar zutage tritt, ohne verdunkelt zu werden durch die vielen Nachteile des persönlichen Verkehrs, Selbstbewußte Eitelkeit des Verfassers muß schon einen außergewöhnlich starken Aus druck finden, um störend und verstimmend zu wirken, während oft schon das Zucken des Mundwinkels genügt, um dem feinfühligen Osmanen eine Mißachtung zu enthüllen, die ihm zu zeigen sich leider so viele unserer Landsleute törichter- und unberechtigterweise befleißigen. Wenn nur der Geist, nur die Seele des Deutschtums zum Fühlen und Denken des Orientalen reden, so müssen sich beide als ties verwandt erkennen. Aus dieser Erkenntnis heraus muß und soll das große Werk entstehen, das die Türket in gemeinsamer Arbeit mit Deutschland zu übernehmen hat. Die Arbeit, die dem deutschen Buchhandel hier bevor steht, ist also gewiß nicht gering; er wird es sich angelegen sein lassen müssen, die rechten Männer mit dem rechten Ma- teriol nach Konstanttnopel zu senden, um dort ausschließlich deutsche Buchhandlungen zu schaffen, in denen sonst nur noch türkische Bücher zu haben wären — nichts von der Literatur anderer Völker, Diese Exklusivität wäre eine der Grund, bedingungen. Die Buchhändler, die zu diesem Zweck hinaus- gingen, müßten, einmal dort, überallhin ihre Fühler aus- strecken, um mit Hilfe von Eingeborenen nach und nach heraus zufinden, ob und wo noch an irgendeinem Orte des Innern Interesse vorhanden sein könnte; an diesem Orte müßten sich dann wie zufällig einige Bücher vorfinden, erst in privaten Händen, halb aus Gefälligkeit vergeben, bis sich schließlich eine Filiale auftut. Von Wichtigkeit wäre es auch, wenn die Zahl und Beschaffenheit der vorhandenen Lehrbücher zum Erlernen der deutschen Sprache durch Türken einer genauen Prüfung unterzogen und zu schulmäßig gehaltene Bücher aus- geschaltet würden; diejenige Methode, die am meisten mit An schauungsunterricht arbeitet, dürfte am erfolgreichsten sein. Von deutschen Lehrbüchern, höre ich von berufener Sette, sei die türkische Konversattonsgrammattk von Jehlttschka die ein- pfehlenswerteste. So wichtig die Spracherlernung nun auch sein mag, so liegt der Schwerpunkt für die Mission des deutschen Buch- Handels in der Türkei doch nicht entfernt hierin. Er beruht vielmehr in dem Bewußtsein, das diejenigen Buchhändler haben müssen, die an den Bosporus gehen: dem Bewußtsein, sich als Pioniere des Deutschtums und Diener ihres Vater landes zu betrachten, ebenso wie die deutschen Offiziere, die von ihrem Kaiser hingeschickt worden sind. Wenn die einen 47