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6246 Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Sprechfaul. ^ 116, 21. Mai 1912. sationen nicht als ein Anlaß zum Nachdenken über die Art; genommen, dem Übel beizukommen, sondern als ein Anlaß, sich, »beleidigt« zu fühlen durch den angeblich hierdurch erhobenen Vorwurf der Untätigkeit und den »Beleidiger« zu rüffeln! Die Börsenblatlredaktion zählt Nominativ auf, welche Wege nach ihrer Ansicht der Börsenvereinsvorstand bei Bekämpfung der Schleuderei nicht beschreiten könne. Und sie kommt so folgerichtig zu dem Schlüsse, daß nur »beweiskräftige Urkunden, alfo Originalbriefe, Originalfakturen usw.« die Unterlagen für Amtshandlungen des Börsenvereinsvorstands bilden können. Das ist also genau das, was mein von der Redaktion bekrittelter Vergleich mit der Forderung, die Herren Einbrecher möchten am Tatort jedesmal ihre Visitenkarte mit einer Bestätigung über den verübten Einbruch zurücklassen, beinhaltet! So dumm sind aber die Einbrecher nicht, und so dumm sind auch nicht jene, die gewohnheitsmäßig Einbrüche in die Verkaufs ordnung des Buchhandels zum Zwecke illoyaler Konkurrenz verübenI Wenn einmal ein Rabattsünder erwischt und prozessiert wird, so ist es in der Regel ein armer, kleiner Schächer und Zufalls- Verbrecher, dem natürlich die Gerissenheit des gewohnheitsmäßigen Schleuderers fehlt. Die Börsenblattredaktion verweist auf die »lokalen« Organisationen »am Tatorte«. Aber diese lokale Organisation erweist sich in Wien z. B. als ebenso ohnmächtig wie die Zentrale in Leipzig, und anderwärts ist es sicher ebenso. Auf einen »bloßen Verdacht hin« kann der Vorstand gewiß nicht verurteilen. Aber wenn er nur eine bestimmte, der Sachlage nach zumeist unerfüllbare Form der Beweisführung zuläßt und diese Beweisführung dem Kläger zuschiebt, wenn er weiter erklärt und zugibt, die Mittel zu einer regelrechten Untersuchung und Erforschung der Wahrheit nicht zu besitzen, so streckt er eben die Waffen vor der Schleuderei. Dann aber dient die ganze Verkaufsordnung nicht mehr dem Schutze der gemeinschaftlichen Standesinteressen, sondern sie ist eine spanische Wand, hinter der die Schleuderer ruhig ihre Praktiken üben und die Dummen auslachen, die sich selbst die Hände binden, um der Schmutzkonkurrenz es nur ja recht leicht zu machen, wie es u. a durch das Verbot der Gewährung eines KassaskontoS bei Barzahlung unter 60 Kronen geschieht. Von einer »heimlichen« Schleuderei läßt sich in Wien (und wohl auch anderwärts, besonders in Leipzig) übrigens kaum sprechen. 10A Rabatt wird »alten« Kunden »ausnahmsweise« selbst von Firmen gewährt, die es nicht nötig hätten. Und die Namen jener Antiquare, die gewohnheits mäßig 10 und 16, ja manchmal 20—30A unter dem Ladenpreise verkaufen (der Nachlaß wird je nachdem offen als Rabatt oder unter dem Prätext »antiquarisch« gewährt, in welch letzterem Fall besonders gewissenhafte Schleuderer allenfalls ein bißchen durch Aus schneiden usw. nachhelfen), sind in Wien stadtbekannt, nur der Vorstand des Vereins österr.-ung. Buchhändler will sie ohne »be weiskräftige Urkunden etc.« (vgl. oben!) nicht kennen! Wien, 11. Mai 1912.*) Hugo Heller. Wenn Herr Heller gegen die Redaktion den Borwurf erhebt, daß sie seine Ausführungen in Nr. 74 erst dem Vorsitzenden des Vereins der österreichisch-ungarischen Buchhändler unterbreitet und ihm Gelegenheit geboten habe, sich dazu zu äußern, so kennt er die »Bestimmungen über die Verwaltung des Börsenblattes« nicht, die der Redaktion in allen den Fällen diese Pflicht auferlegen, wo es sich um Angriffe auf Vereinsmitglieder handelt. Nun sagt zwar Herr Heller sehr richtig, daß nicht Herr Kommerzialrat Müller als Vorsitzender des Vereins österreichisch-ungarischer Buch händler angegriffen worden sei, sondern nur »der Schleuderer«. Dazu gehören aber nach seiner Meinung so ziemlich sämt liche Wiener »Geschäfte, die auch modernes Antiquariat betreiben«, so daß eine sinngemäße Auslegung des § IS der oben erwähnten »Bestimmungen« nur in der Weise er folgen kann, daß dem Vorstande des Vereins österr.-ung. Buch händler, als dem berufenen Vertreter der Interessen des österr.- ungar. Buchhandels, Gelegenheit gegeben werden muß, sich dazu zu äußern. Denn abgesehen davon, daß der Verein als Organ des Börsenvereins ein Recht hat, in dieser Sache ein Wort mit zusprechen, wird man wohl schwerlich seine Legitimation zur Zurückweisung so allgemein gehaltener Angriffe auf einen *) Korrektur eingegangen am 18. Mai 1912. nicht unerheblichen Teil feiner Mitglieder bestreiten können. Wenn das Gesetz Berufsvereinen ein Recht auf Vertretung der Interessen ihrer Mitglieder vor Gericht gibt, so muß es erst recht zulässig sein, diese Interessen der Öffentlichkeit gegen über von Vereins wegen wahrzunehmen. Handelt es sich dazu noch um Behauptungen, für die ein Beweis nicht erbracht wird, weil es noch immer bequemer gewesen ist, etwas zu behaupten als zu beweisen, so wird dieses Recht zu einer Pflicht. Die Re- daktion hat gar keinen Grund, irgend etwas vertuschen zu wollen, sie hält es sogar in allen Fällen für richtiger, die Feuer an offener Stelle ruhig ausbrennen, als sie unter der Asche weiterglimmen zu lassen. Wenn aber jemand versucht, das Haus in Brand zu stecken, in dem Vereinsangehörige ihren Wohnsitz aufgeschlagen haben, so kann ihr niemand verdenken, wenn sie die Feuerwehr zu Hilfe ruft und sich selbst mit an den Löscharbeiten beteiligt. Die Tatsache, daß der Vorstand des Börsenvereins, bzw. der Vereinsausichuß nur in den Fällen mit Erfolg einschreiten kann, wo ihm beweiskräftiges Material zur Verfügung gestellt wird, kann nur für Herrn Heller eine offene Bankrotterklärung der offiziellen Organe des Börsenvereins bedeuten. Nach unserer Ansicht kommt die Pleite erst, wenn man ihnen eine Auf gabe zumutet, die sie nach Lage der Sache gar nicht erfüllen können. Denn schließlich haben alle die Männer, die im Vereinsleben stehen, auch noch »dazwischen« zu tun und können unmöglich wissen, daß die Sache sich nicht, wie der An kläger angibt, in L, sondern in N abgespielt hat, daß nicht Meier der Rabattsünder war, sondern Müller, und Müller nicht schuldig gesprochen werden kann, weil der Ladenpreis des von ihm ver kauften Buches längst aufgehoben ist. Was sie aber aus ihrer Erfahrung heraus wissen, ist die Tatsache, daß solche »Schleuderfälle« sehr oft auf Redereien von Kunden zurück zuführen sind, die sich dadurch einen unerlaubten Rabatt sichern wollen. Damit soll gewiß nicht gesagt sein, daß das Tun und Lassen aller Berufsgenossen immer zweifelsfrei wäre, sondern nur darauf hingewiesen werden, wie schwer es für die Vorstandsmitglieder, von denen das eine hier, das andere dort feinen Sitz hat, in den meisten Fällen ist, sich ohne einwand freies Material Klarheit zu verschaffen. Deswegen muß schon mit Rücksicht auf die Haftpflicht des Vorstandes an der Forderung festgehalten werden, daß nur beweiskräftiges Material die Grund lage einer Verfolgung in Schleuderfällen bilden kann, denn den Luxus eines Irrtums darf sich ohne persönliche Folgen wohl der Staatsanwalt, aber nicht der Vorstand eines Berufsvereins erlauben. An den Schluß der Überschrift »Heimliche Schleuderei« hatte Herr Heller im Manuskript einen Punkt gesetzt, der in der Korrek tur zu einem Fragezeichen wurde. So geht's auch häufig mit den Anzeigen über Schleuderfälle. Was ursprünglich als Behauptung auftrat, scheinbar klar und bestimmt, mit einem Punkt am Schluß, verwandelt sich im Handumdrehen in ein Fragezeichen, und was in Wien »stadtbekannt« ist, braucht noch lange nicht »gerichts notorisch« zu sein, da Frau Sopherl oder Frau Katherl vom Naschmarkt es nicht immer so genau mit der Wahrheit nehmen. Von den »lokalen« Organisationen haben wir überhaupt nicht ge sprochen, obwohl sie weit eher als der Börsenverein in der Lage wären, Untersuchungen, wie sie Herr Heller fordert, anzustellen. Daß der Vorstand des Börsenvereins nicht zögert einzuschreiten, wenn sich der Nachweis der Schleuderei erbringen läßt, zeigen die öfteren Mitteilungen an die verbündeten Verleger, deren letzte, die Namen von 5 Schleuderfirmen enthaltend, vom 15. dss. Mts. datiert ist. Mit allgemeinen Sentiments und Verdächtigungen aber ist da nichts anzufangen, wo ledig- lich die Feststellung von Tatbestandsmerkmalen gilt, und das Gefühl der Verantwortlichkeit gegen den einzelnen Be rufsgenossen ebenso mitsprechen muß wie die Rücksicht auf die Gesamtheit. Verdachtsstrafen kennt weder das Gesetz, noch die Verkaufsordnung, und wer sich nicht erwischen läßt, dem können auch die ordentlichen Gerichte nicht an den Kragen. Das ist be dauerlich, aber in dieser unvollkommenen aller Welten nicht zu ändern, besonders dann nicht, wenn jeder immer nur den »be rufenen Organen« die Arbeit zuschiebt, statt selbst mit dahin zu wirken, daß das, was als Recht und Sitte in unserem Stande gilt, von allen Berufsgenossen respektiert wird. Red.