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Der Gedanke, derartige Siegelmarken herauszugeben, die einen würdigen Ersatz für das vor Jahren viel mißbrauchte Schneeballensystem bilden, zeugt von einem guten Empfinden für den Wert vornehmer Reklame. Leider hat der Buchhandel von dieser Propaganda, die immer wirkungsvoll ist und viele Jahre nachyalten kann, bisher säst noch gar keine Notiz ge nommen. So sind mir aus unserem Beruf nur diejenigen von F. A.Blockhaus, L.Staackmann und Georg W.Dietrich bekannt Der Sammeleifer der Kinder für solche Reklamemarken, der be reits jüngst erwähnt wurde, hat nun hier inMllnchen bereits ein System angenommen,indem sich cinVereinmiteinemveritablen Vorstand gebildet hat. Dies besagt schon zur Genüge, daß der Sport seine Kinderschuhe ausgetreten hat, daß er also auch von Erwachsenen getrieben wird. Dadurch aber reiht er sich vollberechtigt der Philatelie und der Numismatik an. Und wie diese eine gewisse merkantile Bedeutung haben und eine Börse, in der über Wert und Unwert der einzelnen Objekte geurteilt wird, ja, wo sie festgesetzt werden, so auch heute schon die Siegelmarken, die in den Läden jetzt mit mehr oder minder schwankenden Preisen verkauft werden. Was aber auf diesem Gebiete sich heute in München abspielt (andere Städte ent ziehen sich gegenwärtig meiner Kenntnis), das wird vielleicht morgen schon in Leipzig, Stuttgart oder Berlin gleichfalls zum Ereignis. Selbst wenn es sich hier nur um eine Mutation, um eine sprunghafte Artentwicklung des Sammelsports handeln sollte, so ist doch dieser dann vorübergehenden Abart ein mehr jähriger Bestand vorauszusagen, der dem, der sie richtig erfaßt und sie in künstlicher Weise ausnutzt, eine seltene, günstige Propagandagelcgenheit bietet. Sollte der deutsche Buchhandel nicht einmal hier zeigen wollen, daß er den Kern, das Wesen der Reklame erfaßt hat? l Welch allgemeine Bedeutung dieser Sammeleifer hat, mußte auch die Leitung der Bayerischen Gewerbeschau er fahren, die kein Mittel der Reklame unversucht ließ und da her auch einige Millionen Siegelmarken in fünf Serien heraus gab. Als nun täglich von allen Seiten Briefe mit der Bitte um Übersendung von ganzen Sätzen eintrafen, sah sich die Aussiellungsleitung gezwungen, die Erledigung dieser Arbeit einem Händler zu übergeben, der von der letzten Serie eine Viertelmillion erhielt, gegen einenBetrag, der die Herstellungs kosten der ganzen Auslage deckte. Die Direktion ist durch diesen Ausweg von einer zeitraubenden Kleinarbeit entlastet, die Wünsche des Publikums werden erfüllt, und der Händler, der die Marken nun natürlich verkauft, macht noch ein kleines Geschäft dadurch. Die schon oft erwähnte Ausstellung, die einen vor züglichen Überblick über den gegenwärtigen Stand der bayeri schen Industrie bieten wird, beabsichtigt auch so eine Art Ver- mitllungsbureau zwischen Künstler und Verleger sowie Drucker auszubilden, indem sie in der Abteilung »Angewandte Graphik« auch solche Entwürfe von Künstlern, die in Bayern leben oder in Bayern geboren sind, zur Schau bringt, die noch nicht veröffentlicht wurden. Bucheinbände, Vorsätze, Schriften- entwürse, Vignetten und Exlibris, Plakate, Geschäfts- und Gesellschaftskarten, Malvorlagen und Heiligenbilder werden in Entwürfen ein ergiebiges Jagdgebiet für unternehmungs lustige Verleger bilden. Den Verlagsbuchhandel vertritt Hans von Weber bei der Jury, die ein besonders großes und Wohl auch undankbares Arbeitsfeld in den noch nicht gedruck ten Illustrationen finden wird, da dieser Zweig naturgemäß nur in beschränktem Maße Aufnahme finden kann. Wie jede neuzeitliche Ausstellung hat natürlich auch diese die vom schaulustigen Publikum zu allen Zeiten gestellte Forde rung: knnom et circensesin weitestem Maße er füllt, indem sie im Vergnügungspark eine reiche Schau aller möglichen Unterhaltungen bietet. Unter anderem wird auch ein Münchener Original-Theater mit den kleinsten Künstlern, Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. 79. Jahrgang. nämlich Brauns Marionettentheater, mit seinen wunderlichen Spielen, in denen Poccis Kasperliaden Kabinettstückchen bilden werden, die kleine Welt erfreuen. Für die Großen aber, die sich den Anteil an dieser Welt der Kleinen bewahrt haben, sind besondere Abendvorstellungen angesetzt, von denen u. a. Maeter lincks Tod des Tintagiles und der Ur-Faust gar manchen zum Besuch verführen dürften. Für mich bildet dieser eine liebe schmerzliche Erinnerung, nach der ich als Junge in meinem Wissensdrang eines Abends das Abendbrot im Stiche ließ, um mir Fausls Höllenzwang ansehen zu können. Nach meiner späten, etwas zaghaften Heimkehr wurde mir, wie ich es auch nicht anders erwartet hatte, in nachdrücklicher Weise schlagend bewiesen, daß die Maulschelle und die Backpfeife zwei tonangebende pädagogische Erziehungsinstrumente sind. Und doch habe ich meinen Faust liebgewonnen, vielleicht gerade durch diesen Umweg, der möglicherweise heute auch zur Schundliteratur gezählt wird l Diesem kleinen Musentcmpel, der unser» Kleinen das goldene Lachen beschert, steht seine ernste Schwester, das Künstlerlheater mit seinen in der Theater welt berühmt gewordenen, mustergültigen Ausführungen, in er habener Würde zur Seite. Auch dieses Unternehmen, das sich gegenwärtig in den Händen des Drei Masken-Verlages befindet, zeigt, welche Faktoren die fortschreitende Entwicklung Münchens zur Ver legerstadl begünstigen. Denn Verlag und Theater, Textbuch und Bühnenmanuskript stehen miteinander in steter Wechselwirkung, welches Verhältnis die beiden Firmen Drei Masken-Verlag und Georg Müller denn auch eine Fusion zur bessern Ausnutzung des Büynenvertriebs erwägen ließ. Wenn sie auch jetzt noch nicht zu stände kam, so dürfte sie doch Wohl bloß ausgeschoben, nicht aufgehoben sein, da ja ein solches Zusammenarbeiten die Interessen beider Firmen fördern müßte. Die Übersiedelung der Firma Duncker L Humblot von Leipzig nach München hat eine ernste Gelegenheit geboten, unsere Stadt als eine Rivalin jener zu bezeichnen und die besonderen Ursachen, die den Domizilwechsel veranlaßt haben, zu erforschen. Sonderbarerweise wollte man die Gründe der erwähnten Firma nicht ganz gelten lassen. Und doch sind sie für den, der München kennt, stich haltig; ja, es läßt sich für die Entwicklung Isar-Athens zur Verlegersladt noch so manche triftige Ursache ansühren. Wie für alle großen Städte, deren Gründung ja meist im Mittel- alter stattfand, die erleichterte Transportmöglichkeit, ein Fluh oder Strom, für die Siedelungs- und Ausbreitungsmögltchkeit maßgebend war, so ist gegenwärtig die geistige Strömung die Ursache zur Bildung und Entwicklung großer, die Wissenschaft fördernder Kulturzentren. Sie können aber nur da entstehen, wo alle Geisteswissenschast in lebendigem Fluß sich befind«, der, immer werdend, niemals seiend, sich in die Lande ergießt. Kein Werk, kein Buch aber erfüllt diese Forderung so voll gültig wie die periodisch stets sich verjüngende Zeitschrift, die aber wieder für ihren befruchtenden Segen ein breites Bett erheischt und immer neuer, sie speisender Seitenzuflüsse be darf. Sie ist also auch auf rasche Informationen politischer Ereignisse angewiesen, also auf Residenzstädte, die den Boden wichtiger nationaler und weltpolitischer Vorkommnisse bilden. Im Norden Berlin, im Süden München. Den Entwicklungs gang, den vor 10, ja 15 Jahren Berlin durchlaufen und der be wirkt hat, daß so manche Redaktion von maßgebenden Zeit schriften von Leipzig nach Berlin verzogen ist, der aber auch dann in seinem weiteren Stadium gar manche neuzeitliche Ver lage dort entstehen ließ, diesen Entwicklungsgang macht eben jetzt seit einigen Jahren München durch. Das oft als rückständig verschrieene München, dem dieses Odium schon durch die besondere politische Konstellation anhaftet, hat zu allen Zeiten einen großen Kreis von Künst- 814