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Redaktioneller Teil, X- 271, 9. Dezember 1919. ist. Es ist doch eine reine Sache des Zufalls, ob nun irgendeiner der Herren hier, Ivo es sich um gar keine Prinzipienfrage han delt, zwei, drei oder vier Stimmen vertritt. Wir können doch nur fragen: Welche Ansicht haben die hier im Saale anwesenden Mitglieder? Wir können ja nicht wissen, ob die Herren, die von den einzelnen Abstimmenden vertreten werde», dieselbe An sicht haben wie die Abstimmcndcn, Da müssen wir doch ohne Vertretung abstimmen. Vorsitzender: Ich stelle nun den Antrag des Herrn Hofrais I)r. Meiner zur Abstimmung mit den nötigen Zusätzen, deren einer noch zu formulieren wäre. Ich bitte, die Fsrinulieruug vor läufig noch zurückzustellen und nur über das Prinzip abzustim men. Ich bitte diejenigen Herren, die dafür sind, die Hand zu erheben. (Geschieht.) Das dürfte die Mehrheit sein, der An- trag ist angenommen. (Fortsetzung folgn) Leipzigs Buchhandel im Jahre 1853. Von Verlagsbuchhändler Oscar de Ltagre. Motto: »Verzeiht, es ist ein grob Ergehen, Sich in den Geist der Zeiten zn »ersehen, Zn schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht, Und wie wir's dann zuletzt so herrlich weit gebracht.» Faust I. Beim Ordnen meiner Privatbibliothek, die es nach ^jäh riger Kriegsabwesenheit wirklich sehr nötig hatte, wieder ein mal gesichtet zu werden, stieß ich auf ein Buch aus meinen Kin- derjahren, aus »Großmlltterchens Zeiten«, das sich »Die Hei mat, ein Lesebuch für die Jugend der Stadt Leipzig« betitelt, verfaßt von O t t o B u l n h e 1 m, ordentl. Lehrer an der 1. Bür gerschule (Leipzig 1854, Verlag von Fr. Ehr. Wilh. Vogel). Was erzählte einem dieser alte braungebundcne Schmöker mit grünem Schnitt (jetzt wieder neuester Buchausstattungsge- schmack!) auf seinen vergilbten Seiten für alte Kindheitserinne- rungcn! Er führte mir das alle Leipzig der 50er bis 70er Jahre wieder vor Augen mit seiner längst verschwundenen alten Trutzburg, der Pleißenburg, in der Luther 1519 mit vr. Eck die berühmte Disputation hatte, dem alten Gewandhaus und der alten Buchhändlerbörse in der Ritterstraße, welche jetzt den Stu denten als Paukboden dient, und er ließ mich Vergleiche ziehen zwischen der Zeit von anno dazumal und heute, wo sich im Osten unserer Buchhändlerstadt gewaltige Bücher- und Druck- Paläste recken und das Deutsche Buchhändlerhaus mit allen seinen Nebengebäuden, das Deutsche Buchgewerbehaus und die Deut sche Bücherei Kunde von Leipzigs Vorrangstellung im deutschen Buchhandel geben. Im Anfang des Jahres 1853 zählte Leipzig nach dem Bulnhcimschen Artikel 34 Buchdruckereien mit 850 Setzern und Druckern — heule sind es 266 mit ca. 12 000 Ge hilfen und Hilfsarbeitern! An Buch- und Musikalienhandlungen hatte Leipzig damals schon etwas über 150, und 77 Firmen übten für l900 auswärtige Buchhandlungen die Vertretung aus. Heute haben wir in Leipzig, wo ungefähr jeder 12. Ein- wohner dem Buchgewerbe angehört (1914 gab es in Leipzig 50 927 Berufszugehörigc des Buchgewerbes!) auf Grund der Statistik des »Vereins der Buchhändler zu Leipzig« etwa 750 reine Verlagsbuchhandlungen, von denen 78 eigene Buchdrucke- rcicn nebenher besitzen, ferner an Kommissionsbuchhandlungen 120, von denen 44 als reine Kommissionsgeschäfte anzusehcn sind, die ca. 13 000 auswärtige Firmen vertreten und die (allerdings stammt diese Zahl noch von 1913!) 32154 813 Kilo Bücher mit der Bahn und 12 897 583 Kilo durch die Post nach auswärts versandten. Sortiments-, Musikalien-, Schreib- und Papier handlungen sind jetzt etwa 220 in Leipzig ansässig, dazu 75 Anti quariate, 25 Reiscbuchhandlungen und 35 Versandbuchhandlun gen. Es erschienen, um auch den Zeitschriftenhandel nicht z» vergessen, im Jahre 1913 (das letztvorliegende Statistikcnjahr) in Leipzig 599 Zeitschriften zum Preise von 6088 Mark für eine Nummer. Was sind das für gewaltige Zahlen gegenüber denen des Jahres l853, auf die seinerzeit unser liebes, altes Leipzig schon stolz war! lind wenn damals die Firma F. A. Blockhaus, die ja auch heute noch eine Vorrangstellung im Leip- 11,4 ziger Buchhandel einnimmt, mit »24 Handpressen und 9 Ma schinen« besonders herborgehoben wird, so müssen wir lächeln, wenn wir dabei an die heutige Maschtnenzahl solcher Firmen denken, die allein oder in erster Linie graphische Betriebe sind, wie etwa in Leipzig Brandstetter oder Spanier. Und wenn der alte Bulnheim heute dem Grabe wieder entsteigen würde und unsere modernen Komplett-Rotationsmaschinen, also mit ange- schlossencn Falz-, Kleb- und Hefteinrichtungen, in Tätigkeit sähe, Maschinen, die auf der einen Seite »nendiiche Rollen Papiers hinetnfrcssen, während sic auf der anderen Seite die fertigen 24- und mehrseitigen broschierten Hefte ausspeien, so würde er Wohl Mund und Nase aufsperren, wie die Technik und unsere ganze graphische Kunst sich in den 66 Jahren entwickelt hat. Freilich würde er aber auch den Kopf schütteln, wenn er die Leipziger Perlagswerke von anno 1914/1919 mit der verpönten Kriegsausstattung jetzt in die Hand bekäme, all die Bücher mit grauem oder gelbem, holzhaltigem Papier, Pappdeckel und auf geklebtem Titel. Wir könnten es ihm wahrlich nicht verdenken, würde er sagen: »Na, Kinder, das haben wir damals auch schon gekonnt!« Aber dann könnte man ihm ja als Gegengift die neuesten Vcrlagswerke eines modernen Verlags, wie des Insel- Verlags, präsentieren, oder eine Anzahl allerneuester Luxus-Aus gaben oder auch Vierfarbendrucke größten Formats, auf daß sich dem Gehege seiner Zähne eine Kritik entränge wie etwa: »Tja, das ist allerdings 'ne Sache! Sowas konnten wir damals nun doch noch nicht!« — — — Doch lassen wir nunmehr den alten Stadtchronisten selbst vom Leipziger Buchhandel von 1853 erzählen: » Die Deutsche Buchhändlerbörse liegt an der Ritterstraße, östlich von der Nikolaikirche. Das schöne Gebäude wurde im Jahre 1836 vollendet und eingeweiht. Mit seinen hohen runden Fenstern gleicht es einer kleinen Kirche, aber die goldene Inschrift zeigt uns bald, daß die Räume dieses Hauses anderen Zwecken dienen. Hier kommen aus allen Gauen des deutschen Vaterlandes Buchhändler zusammen, besonders zur Ostermesse, um über die gelieferten Bücher Abrechnung zu hal ten und über neue Geschäfte zu sprechen. Sic bilden seit dem Jahre 1825 den »Börsenverein der Deutschen Buchhändler«. Außerdem wird der große Saal zu Conzerten, Gemäldeausstel lungen usw. benutzt. Im Jahre 1853 trat auch eine Lehranstalt für Buchhändlerlehrlinge in diesem Gebäude ins Leben. Die Deutsche Buchhändlerbörse ist ein sichtbares Zeugnis für die Blüthe des Leipziger Buchhandels. Leipzig ist aber nicht bloß die wichtigste Buchhändlerstadt Sachsens, sondern Hauptort des gesamten deutschen Buchhandels. Man zählt jetzt in unserer Stadt über 150 Buch- und Musikalienhandlungen, von denen viele weit und breit berühmt sind. Man kann jedes be liebige Buch durch sie beziehen. Dazu kommt, daß viele aus- wärtige Buchhändler einen Teil ihrer Bücher hiesigen Buch händlern zum weiteren Verkaufe überschicken. So hatten i. I. 1853 nicht weniger als 1900 auswärtige Buchhandlungen einen Teil ihrer Bücher bei 77 hiesigen Buchhändlern liegen. Welch eine Menge von Büchern lagert so in Leipzig! Wahrlich, an Gelegenheit zu lernen fehlt es hier Keinem! Mit dem Buchhandel gehen andere Beschäftigungen Hand in Hand: Buchdruckerci, Notendruck, Schriftgießerei und Buch binderei. Im Anfänge des Jahres 1853 zählte man allein 34 Buchdruckcreien mit 81 gangbaren Pressen und 45 Maschinen, die zusammen etwa 650 Setzer und Drucker beschäftigten. Meh rere Buchhändler besitzen selbst bedeutende Buchdruckereien. Die großartigste Anstalt dieser Art ist die Brockhaufische auf der Querstraße. Hier finden wir Buchhandel, Druckerei, Schrift gießerei und Buchbinderei vereinigt. 24 Handpressen und 9 Ma schinen drucke», Jahraus Jahrein, Zeitungen und neue Bücher. Keiner gehe dort gleichgültig vorüber, sondern benutze die Ge legenheit, diese Werkstätten des Buchhandels zu betrachten, die ihres Gleiche» in ganz Deutschland suchen: hier fügen die Setzer mit unglaublicher Schnelligkeit Buchstaben an Buchstaben, Zeilen an Zeilen, dort wird Bogen um Bogen unter der Presse wie durch Zauberkraft gedruckt, am dritten Orte fügt der Buchbinder die einzelnen Bögcn zu Bänden und Büchern zusammen, und am vierten Orte kannst du die fertigen Bücher kaufen.