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1214 Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchbandel. Nichtamtlicher Teil. 23. 29. Januar 1912. als normale Buchhandlungen anzusprechen sind, ganz bei seite; ausschließlich maßgebend war die Erwägung, daß sie sowohl in bezug auf die Auffüllung ihres Weihnachtslagers wie die Act ihrer Reklame zu verschieden vom selbständigen Sortiment arbeiten, als daß eine Einschaltung zweckmäßig gewesen wäre. Man hätte sie höchstens als »Sonderklasse» behandeln können, und das verbot schon ihre geringe Anzahl. Die Auswahl der so verbleibenden »reinen- Sorti mentsfirmen habe ich selbst nach dem Handbuch der Berliner Korporation oorgenommen. Möglich wäre es. daß ich die eine oder andere Firma übersehen habe, absichtlich ist jedenfalls keine fortgeblieben. Auch geschäftliche Beziehungen oder Ähnliches haben natürlich bei der Auswahl keine Rolle gespielt. Im übrigen sind die Antworten, wie ich fceigestellt hatte, zum größten Teil ohne Namen zurückgesandt worden, so daß auch bei der Bewertung der Antworten alles Persön liche ausgeschaltet war. Schließlich hört ja mit der Formulierung der Fragen die selbständige Tätigkeit des Statistikers aus. das Regi strieren und Vergleichen der Antworten ist eine im wesent lichen mechanische Tätigkeit, und auch für Schlüsse mehr psychologischer Art muß immer das erhaltene konkrete Material ohne persönliche Voreingenommenheit die Grundlage bilden. Im folgenden gebe ich nun die auf diese Weife aus den kurz nach Weihnachten 1911 versandten Fragebogen ge wonnenen Resultate: 1. War das Berliner Weihnachtsgeschäft besser oder schlechter, wie voriges Jahr? Diese Frage ist natürlich nur diskutabel, wenn wir uns über das Geschäft des vorigen Jahres einig sind. Der all gemeine Standpunkt ist hier — wie ich auch aus einer Reihe detaillierter Antworten ersehen habe—, daß das vorige Weihnachtsgeschäft ein »mittelmäßiges« war, indem es wohl eine gewisse Umsatzsteigerung gegen die Krisenzeit vor zwei Jahren brachte, ohne jedoch bei den dauernd steigenden Spesen den Reingewinn besonders zu steigern. Mit Absicht habe ich den Ausdruck »Geschäft»') und nicht Umsatz gewählt; gerade der elastische Ausdruck gibt die Möglichkeit, das Fazit des Weihnachtsverkauss unter Berücksichtigung der gesteigerten Spesen zu ziehen. Das Resultat der Frage war folgendes: 12 mal besser, 11 .. schlechter, 7 ., das gleiche. Im einzelnen war natürlich die Bewertung des Geschäfts auch innerhalb der Rubriken recht verschieden. Ein jüngerer Kollege, der allerdings gleichzeitig erklärte, daß er besonders starke Reklame gemacht habe, gab an. den drei fachen Umsatz erzielt zu haben; ein anderer konnte wenig stens eine Steigerung um ein Drittel konstatieren, und so fort bis zu dem resignierten -Nur wenig besser». Diejenigen Firmen, die das Resultar als »schlechter» bezeichncten, gaben zum großen Teil auch die mutmaßlichen Ursachen des Mißerfolgs an. Ich möchte aber diese Urteile zusammenfassend unter Nr. 6 behandeln. Ziehen wir das Fazit, so kann man wohl sagen, daß es einzelnen Firmen gelungen ist, durch intensive Reklanie ihren Umsatz bedeutend zu erweitern (ob auch in jedem Fall den, Reingewinn, ist nicht gesagt), daß aber im wesentlichen das diesjährige Weihnachtsgeschäft das gleiche war wie im Borjahre. Ein Resultat, das nicht gerade als erfreulich be zeichnet werden kann. ') Ein Kollege, dem dis schlechten Zeiten den Berliner Witz nicht ganz geraubt haben, hat im Vordruck »Geschäft« in »Verlaus« geändert und daraus hingewiesen, daß man von »Geschäft» im Berliner Buchhandel überhaupt nicht mehr sprechen Ibnne. 2. Gab es ein in großer Masse gekauftes belletristisches Saisonbuch? und welches? Hier sei vorausgeschickt, daß ein »Saisonbuch« im mehr sensationellen Sinne, ein Buch, das nicht nur wegen seines literarischen Wertes, sondern seiner Tendenzen — wie z. B. »Das gefährliche Alter» im vorigen Jahr — allgemein dis kutiert wird, in diesem Jahre selbstverständlich nicht existiert. Es konnte sich also nur darum handeln, ob und welche Bücher ihres rein belletristischen Inhalts wegen allgemein verkauft wurden. Die Betrachtung der Buchläden ließ mich glauben, daß auch in diesem beschränkten Sinne von einem »Saisonbuch - dieses Jahr keine Rede sein könne. Die eingegangenen Ant worten haben mich eines Besseren belehrt. Von den 21 Firmen, die die Frage eines oder mehrerer »Weihnachtsbücher-, wenn auch mit Einschränkungen, bejahten, haben nicht weniger als 17 Rudolf Herzog. Die Burgkinder genannt, gerade mit Rücksicht darauf, daß es sich um ein Buch ohne jeden sensationellen Charakter handelt, eine ge wichtige Übereinstimmung. Von andern Büchern vermochte noch Frenssen, Der Untergang der Anna Hollmann 5 Stimmen auf sich zu vereinigen, ein verhältnismäßig schwaches Resultat, vielleicht mit dadurch bedingt — wie ein Kollege meint — daß der Roman sür ein Weihnachts buch zu wenig umfangreich ist. Die übrigen Nennungen haben keinen statistischen Wert, seien aber trotzdem hier angeführt; Bloem, Das eiserne Jahr. — Harden. Köpfe. — Bartsch. Das deutsche Leid. — Lagerlös. — Bergmann (? gemeint sind wohl die Erinnerungen Ernst v. B 's). — Schumacher. Lady Hamilton (2). — Nelsons Liebe. — Laufs, I-ur »Storno. — Busch, Kunterbunt. — Scheele, Kolonien. — Evers, Alraune. — Das Salzerbuch (2). — Franck, Als Vagabond. — Velhagen L Klasings Volksbücher. 3. Hatten Sie den Eindruck, daß Zeitereig nisse (Reichstagswahlen, Friedrich der Große, Tripolis oder Ähnliches) von einem gewissen Einfluß auf die Wahl der Bücher waren? Diese Frage ist im wesentlichen verneint worden. Friedrich der Große ist merkwürdigerweise nur zweimal genannt, es scheint also, daß die eigentliche Propaganda für ihn erst nach Neujahr mit Beginn der Artikel in den Zeitungen eingesetzt hat. Daneben wurden je einmal die Kolonien genannt und einmal der Reiseschriststeller Zabel, der kürzlich seinen 60. Geburtstag vollendete. Hier ist m. E. zu berücksichtigen, was auch teilweise für die vorhergehende Frage gilt, daß nicht nur jeder Chef, sondern auch jeder Angestellte -Lieblingsbücher» hat, die er. wenn ihm das Publikum die Auswahl überläßt, in erster Linie empfiehlt. Man kann also nur sagen, daß das Weihnachtsgeschäft einen unpolitischen Charakter trägt, was vielleicht auch mit der Tatsache zusammenhängt, daß die »Einkäufe» in den meisten Fällen durch unsere Frauen geschehen. 4. Hatten Sie den Eindruck, daß im Gegensatz zu früheren Jahren der Käufer mehr als bisher mit vorgefaßter Meinung den Buchladen betritt, daß also die »beratende» Rolle des Sortiments mehr in den Hintergrund tritt? Die »beratende« Rolle des Sortimenters ist eine Würde, die viel Bürde in sich trägt. Denn wenn einerseits die