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2700 Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. ^ 58, 11 März 1907. Nichtamtlicher Teil Jacques Issakow und seine Gehilfen. Ein Beitrag zur Geschichte des Buchhandels in Rußland. Unter den russischen Buchhändlern im verflossenen Jahrhundert gehörte Jacques Issakow zu den angesehensten und erfolgreichsten, und da nun kürzlich Herr Paul Simony in Martynows »Bücherbörse« ausführliche Mitteilungen über ihn und seine Gehilfen veröffentlicht hat, so benutze ich diesen Anlaß, um hier nicht nur den wesentlichen Inhalt seiner Mitteilungen wiederzugeben, sondern, da ich fast alle von ihm geschilderten Personen kannte, um auch eigene Er innerungen daran zu knüpfen, die zur Charakterisierung der buchhändlerischen Tätigkeit jener Zeit dienen und einen Beitrag zur Geschichte des Buchhandels in Rußland liefern können. Jakow Alexejewitsch Issakow wurde 1811 als Sohn eines armen Tischlers in der Ochtaschen Admiralitätskolonie bei St. Petersburg geboren und kam als zwölfjähriger Knabe zu Iwan Panjkow, der im Gostinoj Dwor (Kaufhof) einen kleinen Laden hatte und mit alten Büchern handelte, in die Lehre. Schon im Jahre 1829 soll Panjkow das Geschäft seinem Gehilfen Issakow für 150o Rubel Banko (— ca. 430 Silber rubel) verkauft haben; einem andern Berichte zufolge verließ Issakow seinen Lehrherrn schon früher, betrieb einen Bücher handel im Umherziehen, kam nach Panjkows Tode zu dessen Witwe, um ihr behilflich zu sein, und übernahm dann das Geschäft für eigne Rechnung. Kurze Zeit darauf heiratete er die Tochter eines Buchhändlers, die das Geschäft und den Laden ihres Baters erbte. Anfangs handelte Issakow nur mit alten französischen Büchern, die er zuerst vom Buchhändler Asher, und als dieser nach Berlin übersiedelte, van Dickson bezog. Jssakows Laden im Gostinoj Dwor am Newskij Prospekt war günstig gelegen, sein Geschäft hatte eine zahlreiche und treue Kund schaft, die der Besitzer hauptsächlich durch billige Preise an sich fesselte. Aber bald erkannte er, daß man ohne Sprach- kenntnisse in diesem Beruf nicht vorwärts kommen könne; er lernte nun französisch und brachte es schließlich so weit, sich in dieser Sprache mündlich und schriftlich verständigen zu können. Als er dann wahrnahm, daß seine Kunden mit alten Büchern nicht mehr zufrieden waren, bezog er von den Peters burger Buchhändlern Bellizard, Hauer und Gräff auch neue Bücher. Diese Buchhändler merkten aber bald, daß Issakow ihnen starke Konkurrenz machte; sie weigerten sich, ihm Rabatt zu gewähren, und er sah sich im Jahre 1836 genötigt, direkte Verbindungen mit Paris und Brüssel anzuknüpfen, ein Jahr später selbst dorthin zu reisen, persönliche Bekanntschaften zu machen und günstigere Bedingungen zu erzielen. Einen großen Teil seines geschäftlichen Erfolgs ver dankte er dem damals tonangebenden Journalisten Thaddäus Bulgarin, der im Feuilleton seiner »Nordischen Biene« für ihn Reklame machte, sich aber gut dafür bezahlen ließ. Im Jahre 1846 hatte sich das Jssakowsche Geschäft so entwickelt, daß sein Besitzer einen Vertreter nach Paris schicken und dort ein Kontor errichten konnte, das jedoch schon 1851, infolge des Todes seines Agenten, wieder geschloffen werden mußte. Bis zur Mitte der fünfziger Jahre beschränkte sich Issakow fast ausschließlich auf den Vertrieb von französischen Büchern, und erst dann, als sein ehemaliger Gehilfe B. M. Wolfs in seiner unmittelbaren Nähe ein eigenes Geschäft er- öffnete, das speziell dem russischen Sortiment und Verlag gewidmet sein sollte, fing Issakow an, auch mit russischen und deutschen Büchern zu handeln, wodurch er Wolfs ver anlaßt?, wie dieser selbst mir mitteilte, jede Rücksicht auf seinen frühern Prinzipal außer acht zu lassen und sein Geschäft zu einer lübrsiris rmiv^rsslls zu erweitern. Als Verleger trat Issakow erst später aus; er gab u. a. einen Atlas der Chirurgie, Ssimaschkos Russische Fauna und viele Jugendschriften und Schulbücher heraus. Im Jahre 1859 kaufte er von Puschkins Erben das Verlagsrecht der Werke dieses Dichters, nachdem es den Bemühungen dieser Erben gelungen war, das literarische Eigentumsrecht der russischen Schriftsteller, das bis zum Jahre 1857 auf fünf undzwanzig Jahre nach dem Tode der Verfasser gesetzlich ge schützt war, bis auf fünfzig Jahre zu verlängern. Da Puschkin bekanntlich im Jahre 1837 starb, so konnte Issakow das Verlagsrecht der Werke dieses Dichters bis 1887, also noch achtundzwanzig Jahre ausnutzen, und da er dafür, wie mir bekannt ist, nur 30 000 Rubel bezahlte, machte er ein glänzendes Geschäft. Leider begnügte sich Issakow nicht mit den Erfolgen seiner buchhändlerischen Tätigkeit, sondern strebte danach, sich auch auf andern Gebieten Geltung zu verschaffen. Er wurde zum Stadtverordneten, zum Mitglied des Diskontokomitees der Reichsbank, zum Ehrenfriedensrichter und schließlich sogar zum Direktionspräsidenten der Gesellschaft für gegenseitigen Kredit erwählt. Diese letztere Stellung war es hauptsächlich, die ihn fast gänzlich in Anspruch nahm und ihn veranlaßte, sein Geschäft zu vernachlässigen. Malversationen, die im Bankgeschäft dieser Gesellschaft vorkamen, regten ihn so auf, daß er krank wurde und am 16./28. Juli 1881 starb. Da Issakow keinen Erben hatte, der das umfangreiche, blühende Geschäft fortfUhren konnte, so mußte es aufgelöst werden, und diese weltbekannte, angesehene Firma erlosch. Die Ver lagsoorräte und literarischen Eigentumsrechte gingen in den Besitz seines Schwiegersohns, des Marineosfiziers W. Newelskij, über. Von den ehemaligen Gehilfen Jssakaws mutz B. M. Wolfs zuerst genannt werden. Über seine dem Jssakowschen Geschäft gewidmeten Dienste sind keine authentischen Be richte vorhanden; doch darf angenommen werden, daß er diesem Geschäft während seiner etwa fünfjährigen Tätigkeit (von 1848 bis 1853) durch hervorragende Kenntnisse und treue Pflichterfüllung wesentlich genützt hat. Als mich Wolfs im Sommer 1882 am Starnberger See besuchte, sagte er mir, Jssakows Tod und der Zusammenbruch jenes blühenden Geschäfts habe ihn tief erschüttert und den Ent schluß in ihm gereift, sein eignes Geschäft vor einer solchen Katastrophe zu bewahren. Bekanntlich führte er dann auch durch die Errichtung der »Industrie- und Handelsgesellschaft M. O. Wolfs«, eines Aktienunternehmens, dieses Vorhaben kurz vor seinem Tode, der schon am 3. März 1883 erfolgte, aus. Über B. M. Wolffs selbständige buchhändlerische und Verlagstätigkeit, und über die seiner Nachfolger, wurde bereits (im Börsenblatt 1883, Nr. 76 und 1906, Nr. 17) berichtet. Wann der im Jahre 1829 in Mitau geborene Gustav Bären stamm ins Jssakowsche Geschäft kam, ist uns nicht bekannt. Er erlernte dort unter der Leitung von Wolfs und Bietepage den französischen Buchhandel und wurde im Jahre 1856 vom Fürsten A. Bariatinskij, dem damaligen Statthalter des Kaukasus, aufgefordert, ein Buchhandlungs geschäft in Tiflis zu etablieren, das im folgenden Jahre auch eröffnet wurde und sich gedeihlich entwickelte. Bärenstamm machte viele Reisen in Rußland und im Ausland, und es gelang ihm, trotz der weiten Entfernung seines Geschäfts von den Bezugsquellen und ungeachtet der dadurch ver- anlaßten hohen Spesen, dem kaukasischen Publikum die Früchte der Wissenschaft und Literatur, namentlich aber den