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Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Redaktioneller Teil. M 195, 9. September 1Sl9. zu laden, welcher aus dem Berufe stammt. Das Erfordernis, daß dieser Herr an der Streitsache weder beteiligt ist, noch gewesen ist, muß daher wegen der tatsächlichen Unmöglichkeit, einen solchen Herrn zu finden, fallengelassen werden. Der Vorsitzende. ^ Kegel, Regierungsrat. Anlage v s. Bbl. Nr. 181. Die deutsche Selbstbiographie. Von Adolf Bartels. II. ll siehe Nr. 194.) Kehren wir jetzt zur deutschen Literatur zurück, so stoßen wir, da Alb recht von Hallers (1708—1777) »Tagebuch seiner Betrachtungen über Schriftsteller und über sich selbst« doch eben keine richtige Lebensbeschreibung ist und das von Karl Friedrich Cramer herausgegebene Klopstock-Werk (Friedrich Gottlieb Klopstock, 1724—1803): »Er und über ihn« doch nur autobiographische »Elemente« enthält, zuerst auf des guten Sachsen Christian Felix Weiße (1726—1804) Selbst« biographie, die sein Sohn Christian Ernst und sein Schwieger sohn Samuel Gottlob Frisch Leipzig 1806 Herausgaben. Sie ist wenig bekannt, und auch die »Erinnerungen aus meinem Leben« der Cousine Wielands SophievonLaRoche, geb. Gutermann (1730—1807), die Leipzig o. I. (?) erschienen, kennt kein Mensch. — Eine neue Epoche beginnt gewissermaßen mit Johann Heinrich Jungs, genannt Stilling (1740 —1817) »Lebensgeschichte«, deren erster Teil »Heinrich Stillings Jugend. Eine wahrhaftige Geschichte« 1777 hervortritt — man kann den Einfluß von Goethes »Weither« auf sie feststellen und sagen, daß es von nun an erlaubt ist, das eigene Leben auch poetisch zu schauen und wiederzugeben. Der »Jugend« Heinrich Stillings folgten die »Jünglingsjahre« (1778), «Wanderschaft« (1778), »Häusliches Leben« (1789), »Lehrjahre« (1804), »Alter« (nebst einer Erzählung von Stillings Lebensende, 1817); das ganze Werk erschien zuerst 1835 als I. Band von Jung-Stillings »Sämtlichen Schriften« und ist nun lange in unseren billigen Bibliotheken. — Als Seitenstück zu Jung-Stillings »Leben«, das bei aller Wahrhaftigkeit doch eben ein Roman ist, hat man immer Karl Philipp Moritz' (1757-1793) »Anton Reiser« (1785—90) betrachtet, der geradezu als »psychologischer Roman« bezeichnet ist, aber unzweifelhaft die absolute selbstbio« graphische Authentie beanspruchen darf. Moritz gab auch noch »Denkwürdigkeiten, ausgezeichnet zur Beförderung des Edlen und Schönen«, Berlin 1786—1788, heraus, über deren Charakter ich nicht unterrichtet bin. — Nun setzt denn die Reihe der wahr haft fesselnden wirklichen Selbstbiographien aus unserer klas sischen Zeit ein. Voran stelle ich die »Lebensgeschichte und Na türlichen Ebentheuer des armen Mannes im Tockenburg«, U l - rich Bi'äkers, des Webers von Wattweil (1735—1798), die H. H. Fllßli Zürich 1789 herausgab. Später, 1852, hat sie Eduard von Bülow, der Vater Hans von Bülows, wieder veröffentlicht, und jetzt ist sie in den billigen Bibliotheken. Die Abenteuer Bräkers bestehen hauptsächlich in seiner freilich nicht lange dauernden Teilnahme am Siebenjährigen Kriege, das Buch ist sehr frisch geschrieben. Bräker gleichaltrig war der Schauspieler JohannChristianBrandes (1735-1799), dessen sehr bewegte »Lebensgeschichte« 1799/1800 erschien und 1802 schon wieder neugedruckt wurde. Brandes war aus Stettin gebürtig, und nacheinander Handlungslehrling, Bedienter, Krä mer, dann erst Schauspieler und Theaterdichter. Als Offizier nahm am Siebenjährigen Kriege teil Johann George Sch eff- ner aus Königsberg (1736-1820), der dann Kriegs- und Steuerrat zu Gumbinnen war und mancherlei Poetisches her- ausgab. Nach seinem Tode, 1821—23, erschien, von I. Voigt herausgegeben, »Mein Leben, wie ich, Johann George Scheffner, es selbst beschrieben«. 5p. Kurz meint, daß es kein lebendiges Bild weder der Zeit, noch der Verhältnisse, noch'der Persön lichkeiten gewähre, doch hat es schon seine Bedeutung. Ein Nachtrag: »Nachlieferungen zu meinem Leben nach bestem Wissen 788 und Gewissen, stets mit kräftigem Wollen, oft mit schwachem Können« kam erst Leipzig 1884 ans Licht. — Allbekannt ist ja des Kolberger Schiffskapitäns Joachim Rettelbeck (1738 —1824) »Lebensbeschreibung«, die Haken Leipzig 1821—23 zu erst veröffentlicht und die nun u. a. in der Universalbibliothek ist. Sie schildert zunächst das Kaufmanns- und Schifserleben des 18. Jahrhunderts und gewinnt dann durch die Darstellung der Belagerungen Kolbergs im Siebenjährigen Kriege und 1806 geschichtliche Bedeutung. — Ein dritter Preuße dieser Zeit, Theodor Gottlieb von Hippel (1741—1796), hat in den »Lebensläufen nach aussteigender Linie« (1778—81) so etwas wie einen autobiographischen Roman, dann aber auch in »Mein Leben« noch eine wirkliche Selbstbiographie gegeben, die in seinen »Sämtlichen Werken«, Berlin 1827/28, zuerst her vortrat. Johann Eustach, Graf von Schlitz, genannt von Görtz (1737—1821), der erst in Weimarischen und dann in preußischen Diensten stand, hinterließ »Historische und po litische Denkwürdigkeiten« (1827/28). — Nach Süddeutsch land führt uns der bekannte Dichter Christian. Friedrich Daniel Schubart, (1739—1791), der während seiner Gefangenschaft auf dem Hohenasperg »Schubarts Leben und Gesinnungen. Von ihm selbst, im Kerker aufgesetzt« schrieb, ein Buch, dessen erster Teil 1791 und dessen zweiter Teil, von seinem Sohne Ludwig herausge geben, 1793 erschien. Es ist jetzt in Meyers Volksbüchern. Auch der Sohn Ludwig Schubart, hat eine Selbstbiographie verfaßt. Eine Thüringerin war die als Dichterin nun ganz verschollene Johanne Isabelle Eleonore von Wallenrodt, geb. Freiin von Koppy (1740—1819), die u. a. Schillers »Räu ber« sortsetztc und 1796/97 »Das Leben der Frau v. Wallenrodt in Briefen an einen Freund. Ein Beitrag zur Seelenkunde und Weltkenntnis« gab, dem man Bedeutung für die Erkenntnis der gesellschaftlichen Zustände der Zeit nachrllhmt. Österreichische Verhältnisse lehrt die Lebensbeschreibung des Musikers Karl Ditters von Dittersdorf (1739—1799), des Kompo nisten von »Doktor und Apotheker«, kennen, die, 1801 von Spazier zuerst herausgegeben, jetzt, etwas verkürzt, in der Universal bibliothek ist. — Unbekannt sind mir noch die Lebenserinne rungen des I o h. Christ, von Männlich (1741—1822), die in der 2. Ausgabe 1912 den Titel »Rokoko und Revolution« führen. Eine allgemein bekannte Persönlichkeit ist dagegen ja wieder der Theologe Karl Friedrich Bahrdt (1741 — 1792), gegen den Goethe seinen »Prolog zu den neuesten Of fenbarungen Gottes, verdeutscht durch vr. Carl Friedrich Bahrdt« (1774) richtete, und dem Kotzebue das Knigge unter geschobene Schauspiel »Doktor Bahrdt mit der eisernen Stirn« (1790) widmete. Während seiner Festungshaft in Magdeburg, 1781, schrieb Bahrdt, in jeder Beziehung eine höchst bedenkliche Erscheinung, »Geschichte seines Lebens, seiner Meinungen und Schicksale«, in der er sich, wie Goedeke sagt, an allen seinen Geg nern zu rächen suchte und seine Frau verunglimpfte, sich selbst aber ein Denkmal der Schande setzte. Die Biographie, 1790/91 erschienen und interessant genug, rief eine Reihe von Streit schriften hervor, u. a. eine von dem Pastor vr. Wendeborn, der, Hamburg 1813, auch »Erinnerungen aus meinem Leben« herausgab. — An Brandes' Schauspielercrinnerungen könnte man die von Joseph Anton Christ (1744—1823) an schließen, der Mitglied der Secondaschen Truppe war. Sie sind als »Schauspielerleben im achtzehnten Jahrhundert« 1912 zum erstenmal veröffentlicht worden. Der Pädagog Friedrich Eberhard von Rochow (1734—1805) hat eine »Geschichte meiner Schulen« (jetzt Universalbibliothek) geschrieben, und auch von Johann Heinrich Pestalozzi (1746—1827) haben wir ein cinschlagendes Werk: »Meine Lebcnsschicksale als Vorsteher meiner Erziehungsinstitute in Burgdorf und Jferten«, Leipzig 1826. Die bedeutendste aller unserer deutschen Selbslbiographien ist selbstverständlich Goethes »Nus meinem Leben. Wahr heit und Dichtung«, die bekanntlich in 3 Teilen von 1811—1814 zuerst hervortrat und in der Ausgabe der Werke letzter Hand 1833 noch um einen vierten Teil bereichert wurde. Friedrich Hebbel schrieb 1842: »Goethe hat in seiner Biographie ein