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Beilage zu 275, 27. November 1899. Amtlicher Teil. 15 Herr Mühlbrecht: Wenn wir überhaupt eine Beschränkung eintreten lassen, so glaube ich auch, daß das immer noch das Beste ist. Herr von Holder: Was ist gegen den »allgemein bildenden Zweck« einzuwenden? »Erziehlich« deckt Wohl nicht das bildende. Herr Voigtländer: Jedes Buch ist bildend, wenigstens nach der Absicht seines Verfassers. Vorsitzender: Wir wollen nns nicht auf die Seite des Ueberwundenen stellen, nicht den ersten Entwurf wieder anführen. Aber wir können uns wohl auf das bisherige Gesetz beziehen. Herr Mühl brecht: Ich würde mich dagegen wenden, daß etwas ganz bestimmtes genannt werde, wie Anthologien und Kommersbücher. Ich möchte dem Verlagsbuchhandel die Freiheit wahren, unter Umständen auch ein anderes Unternehmen ver anstalten zu dürfen. Ich würde nur sagen: diese Fassung beschränkt den Verlagsbuchhandel zu sehr, er wünscht eine allgemeine und greift deshalb auf die frühere zurück. Die Besprechung des Z 18 wird geschlossen. Der Vorsitzende stellt den Beschluß und dessen Motivierung wie folgt fest: Es wird für unerläßlich gehalten, statt der Worte: »in der Werke einer größeren Zahl von Schriftstellern für den Kirchen-, Schul- oder Unterrichtsgebrauch vereinigt sind«, das Gesetz vom 11. Juni 1870 Z 7 lit. rr. wieder herzustellen und Sammlungen »zu einem eigentümlichen literarischen Zwecke« auch ferner zu gestatten. Der Ausschuß ist der Meinung, daß es sowohl den Bedürfnissen des Buchhandels wie den allgemeinen Bildungsbedürfnissen unbedingt widersprechen würde, wenn die Herstellung von Anthologien, Kommersbüchern, Lieder büchern, Märchensammlungen und ähnlichen Zusammenstellungen in Zukunft wesentlich erschwert würde. Eine Er schwerung ist insbesondere darin zu sehen, daß die Zusammenstellung solcher Sammlungen künftighin nicht mehr nach rein sachlichen Gesichtspunkten möglich wäre und daher höchst lückenhaft bleiben müßte. Es ist abermals gesucht worden, für den Ausdruck des alten Gesetzes »zu einem eigentümlichen literarischen Zweck« einen besseren Ausdruck zu finden; es ist aber nicht gelungen. So darf darauf hingewiesen werden, daß sich Mißstände unter der Geltung des bisherigen Gesetzes durchaus nicht herausgestellt haben. Insbesondere wird die Auffassung nicht geteilt, daß den Autoren durch die Aufnahme einzelner ihrer Arbeiten in eine Sammlung irgend ein Schaden zugefügt werde. Im Gegenteil verdanken sehr viele Autoren gerade solchen Sammlungen ihr Bekanntwerden und ihre spätere Volkstümlichkeit. Der H 18 Ziffer 3 des gegenwärtigen Entwurfs bedeutet nach der Ansicht des Ausschusses einen entschiedenen Rückschritt gegen das bisherige Gesetz und einen tiefen Eingriff in das geistige Leben des deutschen Volkes. Bei der Feststellung des Wortlautes der Begründung bemerkt Vorsitzender: Ich halte es nicht für glücklich, darauf hinzuwcisen, daß künftig die Autoren Forderungen stellen würden, Ich glaube, wenn heute eine Anfrage an Paul Heyse kommt, ob ein Lied von ihm in eine Sammlung ausgenommen werden darf, so wird er nicht sagen: es kostet aber 50 Mk., sondern er wird sich freuen, daß das Gedicht in die Sammlung ausgenommen wird, denn es ist unzweifelhaft, daß nichts so sehr dem Dichter und der Verbreitung seiner Werke Vorschub leistet, wie gerade die Auf nahme in eine Anthologie. Herr Voigtländer: Das gerade bestreiten die Schriftsteller, und die edlen Leute, die Sie schildern, werden nicht dick gesät sein. Ich habe erst neulich mit jemand gesprochen, der sich bitter darüber beschwerte, daß ein Lied von ihm in das Lahrer Kommersbuch ausgenommen worden sei, dem Verleger Geld bringe und ihm nichts. Herr von Hölder: Mir sind in einem solchen Fall für die Aufnahme in ein Kommersbuch 200 Mk. abverlangt worden: ich habe mich schließlich allerdings mit weit weniger abgefunden. Vorsitzender: Ich bin der Meinung, daß es für den Autor eine außerordentliche Förderung ist, wenn Sachen von ihm in solchen Sammlungen erscheinen. Glauben Sie, daß Scheffel so verbreitet worden wäre, als er ist, wenn er nicht von allen Studenten gesungen würde? Herr Geheimrat Daude meint zu Ziffer 2: die Bedenken bezüglich des Ausdruckes »wissenschaftlich« seien nicht erheblich; aber man weiß, wie Juristen an solchen Ausdrücken festhalten. Geheimrat Daude: Ich begreife überhaupt nicht, warum der Entwurf die beiden Absätze gemacht hat, ich würde beide Absätze lieber in einen Absatz zusammenfassen. Daß man Ziffer 1 von Ziffer 2 und 3 trennt, ist selbstverständlich, aber das andere soll dann doch unr sein: wissenschaftliche Arbeiten oder Sammlungen für kirchliche oder Schulzwecke; da kann ich einen wesentlichen Unterschied nicht finden. Indessen ist das nur redaktionell. Das Wort »wissenschaftlich« will mir nicht so wichtig erscheinen. Herr Voigtländer: Ich komme auf das frühere Bedenken, daß in den Sammlungen zu Schul- und Unterrichtszwecken nicht mehr Veränderungen der Lesestücke vorgenommen werden dürfen. Der Z 23 will die Benutzung nur zulassen, wenn an den benutzten Teilen keine Abänderung vorgenommen wird. Das entspricht freilich dem Prinzip des Urheberrechts. Aber das Aenderungs- bcdürfnis für viele dieser Artikel ist in so hervortretendem Grade vorhanden, daß ich mir nicht denken kann, wie künftig noch ein Lesebuch ohne diese Aenderungsbefugnis zu stände kommen soll. Es wird sich zum Teil nur um einzelne Ausdrücke handeln; aber namentlich in Lesebüchern für Fortbildungsschulen ist noch viel mehr als in den Lesebüchern für Volksschulen die Notwendigkeit gegeben, Artikel gewerblichen, wissenschaftlichen, sozialen, volkswirtschaftlichen Inhalts, die man irgend wo findet, dem Verständnis der Schüler anzupassen. Es muß diese Anpassung selbstverständlich in der Form oft sehr tiefgreifend sein und kann nicht mehr mit dem Autornamen schlechtweg gedeckt werden. Es ist deshalb schon geradezu Sitte geworden, daß man sagt: nach L. A- bearbeitet von N. N., oder einfach: nach L. A. Ich meine, es wäre durch diese Forni das persönliche Interesse des Autors ausreichend gewahrt. Denn liegt Jemandem daran, zu ermitteln, was der Autor wörtlich gesagt hat, so wird das aus Grund dieser Quellenangabe immerhin möglich sein. Jedenfalls aber stehen wir geradezu vor einer Existenzfrage der Schullesebüchcr; denn dürfen Lesestücke nur noch ganz unverändert ausgenommen werden, wie ß 23 vorschreibt, so wird durch Z 23 wieder genommen, was ß 18 Ziffer 3 giebt. Herr von Hölder: Die österreichische Unterrichts-Verwaltung verlangt, daß die deutschen Klassiker, die im Schulunterricht verwendet werden, in sehr vielen Fällen nicht unverändert zur Wiedergabe kommen, weil vieles in denselben vorkommt, was den Schülern und noch vielmehr den Schülerinnen nicht unverändert zugeführt werden soll. Was die Schullesebücher anbelangt, so ist es ein Ding der Unmöglichkeit, sie nur aus Originalarbeiten zusammenzustellen: eine Bearbeitung ist vielmehr in sehr vielen Fällen ganz unerläßlich. Geheimrat Daude: Sie können sich aber doch als Buchhändler nach meiner Anschauung nicht aus den Standpunkt stellen, daß Sie überhaupt nicht mit dem Autor in Verbindung treten wollen. Der einfachste Weg ist doch immer der, daß Sie an den 4*