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^ Ocutjchen Nciche zahlen für jedes Exemplar ZO^MarV bez. »»des Dörjs^ersins die viergefpaltene <petitzeile odor^deron ZI »36 Mari? jährlich. Nach dem Ausland erfolgt Lieferung »Z Naum 15'Pf..'/« S-13.50 M..'/-6.26 M..'/. 6.50 M.-. für Nicht-»? !über Leipzig oder durch Kreuzband, an Nichtmitglieder in Mitglieder 46 Di.. 32 M.. 60 M.. 100 M. — Deilaaen mc-ndon Nr. 244. Leipzig, Montag den 20. Oktober 1913. 8V. Jahrgang. Redaktioneller Teil. Lieber die Beschlaanahme von Ansichtskarten. Zu denjenigen Anfragen, die von Kunsthändlern, Druckern und Verlegern häufig bei mir eingehen, gehört die, ob und unter welchen Umständen eine Beschlagnahme von Postkarten berechtigt sei. Datz eine derartige Frage so verhältnismäßig häufig ge stellt wird, erklärt sich leicht, wenn man bedenkt, daß kaum eine andere Industrie sich einer ähnlichen Kontrolle erfreut, wie sie der Postkartenindustrie zuteil wird. Wenn diese trotzdem den uns allen bekannten großen Aufschwung nahm, so hat sie das wahr lich nicht der Förderung durch die Polizei und Gerichtsbehörden zu verdanken, sondern vielmehr dem Umstand, datz auch das Aus land ein guter Kunde ist. Aber gerade vom Ausland gehen nicht selten gut bezahlte Aufträge ein, deren Ausführung sehr leicht geeignet ist, den Fabrikanten in Konflikt mit unseren Gesetzen zu bringen. Als Beispiel sei nur der folgende Fall aus der Praxis angeführt: Bei einer unserer bekanntesten Bromsilberdruckanstalten wurde vor kurzem ohne borhergegangene Anklage oder Prüfung eine Anzahl Karten von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt, die nur für den Export nach der Türkei bestimmt waren und Akt aufnahmen zeigten. Auf Reklamation wurde dem Fabrikanten der Bescheid, daß die Karten als unzüchtig zu bezeichnen seien. Der Fabrikant aber, dem sehr viel daran lag, seinen Kunden zu befriedigen, zumal da es sich um einen ausländischen Kunden han delte, war höchst entrüstet über diese ihm unerklärliche Maßnahme und wollte deshalb auch die Serie weiterdrucken, zumal da eine Verbreitung nicht stattgefunden hatte. In solchen Fällen aber, in denen es sich um angeblich un züchtige Drucksachen handelt, ist die Beschlagnahme nicht an das Moment einer bereits stattgehabten Verbreitung der Druckschrift gebunden. Es genügt vielmehr ein bloßes Herstellen oder Vor rätighalten zwecks Verbreitung, um die Beschlagnahme der Druck schrift oder Abbildung zu veranlassen. Hat die Staatsanwalt schaft die Beschlagnahme nach Z 23 des Pretzgesetzes verfügt, so mutz sie binnen spätestens 24 Stunden ihren Beschluß dem Gericht zur Entscheidung vorlegen, und das Gericht muß binnen weiteren 24 Stunden entweder die Beschlagnahme bestätigen oder die Druckschrift freigeben. Nur wenn mit Anbruch des sechsten Tages seit Anordnung der Beschlagnahme kein richter licher Bestätigungsbefcheid inzwischen erfolgt ist, gilt die Be schlagnahme für aufgehoben. Selbst wenn, wie im vorliegenden Falle, anzunehmen ist, datz die richterliche Entscheidung mit der Anschauung des Staatsanwalts übcreinstimmt, so sind doch nach 8 26 des Pretzgesetzes die Drucke wieder freizugeben, wenn zwei Wochen nach erklärter richterlicher Bestätigung der Beschlag nahme nicht eine Strafverfolgung in der Hauptsache ein geleitet worden ist. Gegen den richterlichen Beschluß, der die polizeiliche oder staatsanwaltliche Beschlagnahme bestätigt, kann Beschwerde an das höhere Gericht ange- mcldet werden. Wird dieser Beschwerde nicht stattgegeben, so bleibt nichts weiter übrig, als abzuwarten, ob nach zwei Wochen das Hauptverfahren eingeleitet wird. In diesem Verfahren mutz dann natürlich entweder Freigabe der beschlagnahmten Drucke oder im Falle der Verurteilung auf deren Vernichtung erkannt werden. Während der Dauer der Beschlagnahme ist die Verbrei tung der von derselben betroffenen Druckschrift oder der Weiter druck unstatthaft. Wenn dieser Bestimmung entgegengehandelt wird, so kann auf Geldstrafe bis zu 500 oder auf Gefängnis bis zu sechs Monaten erkannt werden. Soweit die in Betracht kommenden rechtlichen Bestimmun gen. Viel wichtiger aber ist die Frage »Was ist nun unzüchtig?«, und in dieser Hinsicht haben uns einige in letzter Zeit stattgefun dene Prozesse gelehrt, daß die Gerichte bei Beurteilung dieser Frage, wenn es sich um Ansichtskarten handelt, einen wesentlich anderen Standpunkt einnehmen als bei der Beurteilung von Ge mälden usw. Man geht dabei von der Ansicht aus, datz Postkarten zur Verbreitung in einem größeren Kreise bestimmt sind und demzufolge auch einer strengeren Beurteilung unterliegen müssen. Aber auch wenn eine solche Anschauung berechtigt sein würde, bleibt es doch immerhin ganz außerordentlich schwer, festzustellen, was unzüchtige Karten sind. Der Gesetzgeber hat sich Wohl gehütet, eine Begriffsbestimmung des Ausdrucks »un züchtig« zu geben, und in einem Prozesse, der erst kürzlich gegen den Herausgeber von Karten stattfand, wurde vom Gericht kurz und bündig erklärt, daß man die Karten eben für unsittlich halte, ganz gleichgültig, wie andere darüber urteilen mögen. Den ein zigen Anhaltspunkt für den Richter dürften in dieser Frage die Bestimmungen der ߧ 183, 184 St.-G.-B. bieten. Der ß 183 ver langt die Bestrafung desjenigen, der durch eine unzüchtige Hand lung öffentlich Ärgernis gibt. Nach Z 184 dagegen wird bestraft, wer unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen seil hält, verkauft, verteilt oder sonstwie verbreitet. Hat also an einer öffentlich vorgenommenen unzüchtigen Handlung niemand, der Zeuge der Tat war, Anstoß genommen, so kann nach Z 183 keine Verurteilung erfolgen, selbst wenn die Tat ganz unzweifelhaft unzüchtig ist. Andererseits kann jedoch, wenn es sich um ein Bildwerk han delt, nach Z 184 eine Verurteilung erfolgen, ohne daß eine Person daran Ärgernis genommen hat, denn es genügt, daß das Gericht das betreffende Werk für unzüchtig anfieht. Da nun der Begriff des Unsittlichen außerordentlich verschieden abgegrenzt wird, läßt sich eine Norm für das, was sittlich oder unsittlich ist, nicht auf stellen. Jedenfalls aber sollte doch dafür gesorgt werden, daß nicht die Meinung Einzelner oder das Empfinden Einzelner da für maßgebend sind, was als unsittlich verurteilt werden soll und was nicht. Solange nicht breite Massen durch eine bildliche Darstellung in ihrem sittlichen Empfinden verletzt werden, sollte man derartige Bildwerke auch nicht als unzüchtig verurteilen. Vor allem sollten sich auch die Richter, besonders wenn es sich um Ansichtskarten handelt, vergegenwärtigen, daß die Auffassung des Sittlichen nicht nur innerhalb des deutschen Volkes verschie den ist, und unsere Postkartenindustrie, die für den Weltmarkt arbeitet, muß mit ihren lediglich für das Ausland bestimmten Erzeugnissen unbedingt anders beurteilt werden, als wenn es sich um Drucksachen handelt, die in Deutschland zur Verbreitung gelangen sollen. Solange sich in dieser Beziehung nicht eine an dere Auffassung Bahn bricht, und solange nicht in allen gegen Postkartenfabrikanten angestrengten Prozessen die Meinungen von Sachverständigen aus der Branche gehört werden, dürfte es kaum anders werden, sehr zum Schaden unserer Postkartenin-