Volltext Seite (XML)
170, 25. Juli 1935. Redaktioneller Teil. vörlenvlatt k. b Dllchn Buchhandel. Doch steigen wir jetzt einige Stufen hinab zum schlechten Unterhaltungsroman und zu dem ausgesprochenen Schundroman, der auch damals schon kräftige Blüten trieb und sehr gelesen wurde. Man merkt bereits an den Titeln das tiefe Niveau dieser Literaturart. So erschienen aus der Feder des bayrischen Haupt manns Train z. B. »Die blutende Nonne oder die Erscheinung um Mitternacht in der Schauerhöhle-, oder »Die Schauergrust in der Waldkapelle». Der Wiener Gleich, der unter dem Pseudonym Ludwig Dellarosa schrieb, verfaßte u. a. »Wallrab von Schreckenhorn oder das Totenmahl um Mitternacht. Wundergcschichte aus dem vierzehnten Jahrhundert-, oder »Das Blutmahl um Mitternacht oder das wandernde Gespenst in Wiener Neustadt-. Friedrich Bartels schrieb mit Vorliebe, nach dem Vorbilde des Rinaldo Rinaldini, Szenen aus dem italieni schen Banditenleben, z. B. »Eduardo Antonio oder der Räuber- hauptmann in den Apennincn. Eine Räuber- und Kloster- geschichtc». Ein bekannter Verleger für derartigen Schund war Gottfried Basse in Quedlinburg. Diese Romane bekamen an fangs der vierziger Jahre, als die Werke des Franzosen Eugene Sue ins Deutsche übersetzt wurden, «inen neuen Antrieb. Man schilderte jetzt nicht mehr die Greuel und Geheimnisse unheim licher Burgen oder stellte nicht mehr italienische Briganten dar, sondern beschrieb das reale Verbrechertum in den Spelunken der Großstädte. Bald gab es nach dem Muster von Sues Mysterien von Paris von August Braß -»Die Mysterien von Berlin-, 5 Bände, 1844, oder von demselben Verfasser »Das Gespenster- Haus. Eine Geistergeschichte aus Berlins Gegenwart». Ferner gab es »Hamburgs berüchtigte Häuser in historischer, krimina listischer und socialer Beziehung-, oder die Geheimnisse von Wien, Schwerin, London, Petersburg usw. Alle diese Bücher, die öfters in mehreren Bänden erschienen, beschäftigten sich mit allen mög lichen Greueltaten der höheren Gesellschaft und schilderten di? — wenigstens für die damalige Zeit — unheimlichsten Dinge, natürlich nur, um der Sensationslust der Masse entgegen zukommen. Daher wählte man schon — als eine Art Reklame — die Buchtitel so aufsehenerregend und vielversprechend wie möglich, und oft steht der langweilige und zahme Inhalt in keinem Verhältnis zu dem grausigen Titel. Doch damit wollen wir unseren Rundgang durch die Rumpel kammer der Literaturgeschichte beenden. Wenn auch das eine oder andere Buch noch hin und wieder einmal aufgelegt worden ist oder in Antiquariatskatalogen vorkommt, !m allgemeinen ist diese für ihre Zeit so bezeichnende Literatur heute vollkommen verschollen. Das Abenteuerbuch - Rückschau und Ausblick Von Fritz Lelke Volks- und Leihbüchereien, die junge Menschen zu ihren Lesern zählen, werden die Feststellung machen können, daß Jun gen im Alter zwischen 12 und 16 Jahren heute wieder mehr denn je nach dem sogenannten Abenteuerbuch greifen, das heißt, um den Begriff einmal weit zu fassen, nach all den Büchern, in denen von kühnen und wilden Taten, von gefahrvollen Erlebnissen, von fernen und fremden Ländern die Rede ist. Wir dürfen nicht ver kennen, daß wir gerade eine Epoche überwunden und glücklich hinter uns gebracht haben, die in ihrer gesamten Tendenz jed wedem Abenteuer, jeder kühnen und mutigen Tat, oder sagen wir ruhig jeder männlichen Haltung mit überlegener Ablehnung begegnete. Die Entwicklung, die demgegenüber heute wieder allgemein feststellbar ist, darf als erfreulich bezeichnet werden, liegt sie doch nicht nur im Zuge unserer Zeit, sondern kommt sie doch auch den Zielen entgegen, die der deutschen Jugenderziehung und -ertüch- tigung heute gestellt sind. Es ist damit noch nichts über das Abcnteuerbuch an sich gesagt, es ist damit nur festgestellt, daß ein Buch, das in Handlung und Sprache kühne Männlichkeit vertritt, für unsere jungen Kameraden die rechte Lektüre bildet. Es verlohnt sich also, rückblickend einmal zu überschauen, worüber wir aus diesem Schristtumsgebiet verfügen, wie das Vorhandene entstand und welche Ziele und Absichten bei den ein zelnen Werken Pate gestanden haben. Dann, wenn der bisher be- fchrittene Weg überblickt und die zweifellos vorhandenen Fehler quellen freigelegt sind, mag es leichter sein, aus der Ebene bloßer Kritik zu neuer Zielsetzung vorzustoßen. Eine Feststellung soll hierbei voranstehen. Es ist ja nicht so, daß wir aus irgendeinem literarischen Interesse, um des Stoffes willen, Kritik üben, es ist vielmehr so, daß wir aus unserer Ver antwortung vor der Zukunft und um der Jugend willen unsere Meinung sagen und unsere Wünsche äußern. Man wird uns hier zwar entgegenhalten, daß schließlich jeder Jugendschriftsteller seine Arbeit mehr oder weniger um des Dienstes an der Jugend und um der Liebe zur Jugend willen leiste; man wird sich aber gefallen lassen müssen, daß wir uns an das Ergebnis halten, daß wir von diesem weiß Gott nicht erhebenden Ergebnis her mit Recht in vielen Fällen an dem Vorhandensein solcher Motive zweifeln dürfen. Schließlich kommt aber noch ein anderer sehr wesentlicher und letzten Endes ausschlaggebender Umstand hinzu. Wenn, woran nicht zu zweifeln ist, das Jugendbuch zu allen Zeiten bestimmt war, erzieherischen Zwecken zu dienen, dann waren notwendig ausschlaggebend für Ausrichtung und Haltung des Jugendschrift- lums das Erziehungsziel, das die jeweilige Epoche sich gestellt 60« hatte und die pädagogischen Grundsätze und Erziehungselemente, die, dem Geist jener Epoche entsprechend, zu jenem Ziele füh ren sollten. Es hat nicht immer ein Abenteuerbuch im heute geläufigen Sinne gegeben. Das Jugendschristtum blickt ja überhaupt im Rahmen des Gcsamtschrifttums aus eine verhältnismäßig kurze Lebensdauer zurück. Wir müssen den Begriff des Abenteuers schon sehr weit fassen, wenn wir in früher Zeit ähnliches Schriftgut entdecken wollen. Die ersten Anfänge dürften sich in der Volks literatur des siebzehnten Jahrhunderts verlieren. — Allenfalls könnte man an Miguel de Cervantes denken, der zu Ende des sechzehnten Jahrhunderts seine Meisterromane und Novellen schrieb, aber hier kann noch keineswegs vom bewußten Abenteuer buch gesprochen werden; es wäre allenfalls die Feststellung er laubt, daß Cervantes sich bei seiner Dichtung abenteuerlicher Motive bediente, so ja auch in seinem berühmtesten Werk, dem »Don Quichotte», der der Absicht nach als Satire gegen die die Zeitliteratur beherrschenden Ritterromane gedacht war. Ganz ge wiß aber hat Cervantes nicht im entferntesten daran gedacht, für die Jugend zu schreiben. Im Jahre 1719 trat dann der Engländer Daniel Desos mit einem Buch an die Öffentlichkeit, das später eine außerordent liche Popularität erlangen sollte, mit seinem Roman vom »Robin son Crusoe». Dieses weltbekannt gewordene Buch zeigt erstmalig, freilich nur in einer ganz bestimmten Richtung, die Züge der aus gesprochenen Abenteuererzählung. Aber auch Defoe hatte seinen »Robinson- durchaus nicht für die Jugend bestimmt; erst viel später wurde er in Sonderbearbeitungen der Jugend zugänglich gemacht. Und hier Haben wir bereits Grund, auf eine Haltung hinzuweisen, die der unseren durchaus entgegengesetzt ist. 1720 er schien das Buch in Hamburg erstmalig in deutscher Übersetzung, erst 1789 bearbeitete I. H. Campe den »Robinson- für die Jugend. Diese Bearbeitung ist typisch für die Einstellung zum Jugend schrifttum. Sie vermag zwar nicht die herrliche Ursprünglichkeit der Defoeschen Dichtung zu vernichten, aber die in Form von Ge sprächen und Dialogen eingestreuten Moralitäten verraten nur zu gut den Standpunkt des trockenen Pädagogen, der um jeden Preis belehren und »erbauen- will. Die gleiche Einstellung können wir nunmehr fortlaufend ver folgen. Defoes »Robinson- hat unzählige Nachahmer gefunden; die Robinsonaden schossen gleichermaßen aus der Erde. Es ver lohnt sich nicht, im einzelnen darauf einzugehen; es mag die Fest stellung genügen, daß die bei Campe festzustellende Tendenz allen diesen Nachdichtungen in mehr oder weniger starkem Maße eignet.