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X- 69, 22. März 1922. Redaktioneller Teil. Ich kann darin vielmehr nur Nachteile erblicken, die ich nicht anders charakterisieren kann alz mit dem Ausdruck -Verewigung des Chaos». Die letzten Bollwerke des einst stolzen Gebäudes des deutschen Buchhandels sind nicht nur bedroht, sondern, wie von allen Seiten zugegeben wird, schon arg ins Wanken geraten. Gilt es nun wirklich, ihnen den Gna denstoß zu versetzen? Oder soll man nicht lieber eine andere Radikalkur versuchen, um sie wieder zu festigen? Ich glaube, bei ernsthafter Durchdenkung des ganzen Fra genkomplexes und bei Ausmalung der Anarchie, die sich aus defi nitiver Aufhebung des Ladenpreises ergeben würde, wird man einen solchen Verzicht auf Wiederaufbau, eine solche Kapitulation vor sich selbst und vor dem Werke des Börsenvereins nicht unter schreiben können. Dann lieber das andere Radikalmittel, das nach meiner Mei nung doch nur aufgeschoben, nie aber aufgehoben werden kann: die Anpassung an das allgemeine Preisniveau. Auch dieser Weg birgt Gefahren. Wenn tatsächlich der Bücherumsatz sich um mehr als die Hälfte des jetzigen verringern sollte, so würden die Gewinne der Buchhändler sich nicht vergrößern, sondern ver kleinern. Es können dadurch Existenzen bedroht werden. Aber unser Wirtschaflskörpcr ist eben Kriegsinvalide, wie so mancher von uns. Da können Amputationen nötig werden, um den Kör per zwar verstümmelt, aber doch am Leben zu erhalten. Es hat keinen Zweck, sich vor dieser Tatsache zu verschließen. »N o ch i st e s T a g . . .!» VII. Zu den Ausführungen des Herrn vr. Oldenbourg in Mün chen <im Bbl. Nr. 63> erlaube ich mir, um Mißverständnissen vor zubeugen, kurz folgendes zu bemerken: Einen Verzicht auf die Verlegerrechte gemäß H 21 des Ver lagsrechtes habe ich nicht entfernt im Sinn. Wo hätte ich einen solchen Verzicht ausgesprochen? Wahrscheinlich ist es Herrn vr. Oldenbourg entgangen, daß ich in allen wesentlichen Punk ten einen wohlüberlegten Unterschied mache zwischen »Laden preis« und »festem« Ladenpreis. Der »Ladenpreis« ist der vom Verleger nach Z 21 des Verlagsrechtes be stimmte Preis. Der »feste« Ladenpreis ist der Ladenpreis, auf den der Sortimenter keinen Zuschlag nehmen darf. Ich bin nicht für Aushebung des »Ladenpreises« eingetreten, sondern für Aufhebung des »festen« Ladenpreises. Mit anderen Worten: Ich halte es für besser, den Kampf um den Sorttmenterzuschlag aufzugeben. Wenn der Verleger vernünftige, d. h. richtig er höhte »Ladenpreise« bestimmt, dann wird der Sortimenterzu schlag dem Sortiment in der Regel entweder überflüssig oder un möglich erscheinen, und der ganze aufreibende Streit fände so von selber ein Ende. Auch bitte ich, doch zu beachten, daß das Thema, das hier zur Erörterung steht, nicht etwa heißt »Aufhebung des Laden preises», sondern — »Ladenpreise und Verkaufspreise«. Ver kaufspreis: das heißt gegenwärtig Ladenpreis zuzüglich Sor timenterausschlag. RobeN Lutz. VIII. Von Paul Nitschmann in Berlin. Ungern und nur von vielen Seiten aufgcfordert, mische ich mich in das Konzert der Meinungen über Ladenpreis, Katalog preis und Teuerungszuschlag, dessen Finale ja doch nicht in den Spalten des Börsenblattes, sondern meiner Überzeugung nach nur in einer Hauptversammlung des Börsenvereins oder am Konferenztisch der Verantwortlichen Vertreter des Buchhandels erklingen kann. Immerhin ist es vielleicht nicht ganz überflüs sig, wenn auch der Sortimenter in dem bisher fast ausschließlich verlegerisch orientierten Meinungsaustausch sich schon jetzt zum Worte meldet. Wie kam denn die Diskussion in den Spalten des Börsen blattes in Fluß? Der Verlag beginnt zu erkennen, daß er 7>/o Jahre lang falsch gewirtschaftet hat und daß es fünf Minu ten vor 12 ist; der Boden des geleerten Kassenschrankes schim mert bereits allzudeutlich durch die Reste der Reichsbank-Maku latur. Was das Sortiment seit dem ersten Antrag Pa et sch- Nitschmann an die Hauptversammlung des Börsenvereins Ostermesse 1916 alljährlich hundertmal gerufen und geschrieben hat, daß nämlich der Verlag Raubbau treibe, ist nun als richtig anerkannt, und Herr Lutz, Stuttgart, hat ihm mit der Bezeich nung »Abwirtschaftung des Verlegerkapitals» den richtigen Namen gegeben. Ob der Warnruf, den er ausgestoßen und den man heute in jeder Verlegerversammlung hören kann, in jedem Verlagskontor erörtert sieht, nützen wird? Zweifel kommen mir aus, wenn ich bemerke, wie nach wie vor mit dieser Kapital- abwirtschastung sogar noch Reklame gemacht wird, vom Börsen verein, vom Verlag, vom Sortiment, mit Plakaten, in Katalogen und jeder anderen Form. Vor mir liegt ein soeben ausge- gebener Katalog der Firma Paul Pareh, Berlin, der als Einleitung folgendes bringt: »Der Buchhandel hat bisher in seiner ganzen Prcispoliitl sich außerordentlich bescheiden erwiesen, weil dem Volke die so wichtige geistige Nahrung möglichst wohlseil geboten werden sollte. Er ist heute gezwungen, aus die bisherigen Preise einen, je »ach Erscheinungstermin verschiedenen, neuen Aufschlag zu nehmen, um die Möglichkeit zu habe», seine Betriebe ausrcchterhalten zu können. Diese Aufschläge halten sich in durchaus billigen Gren zen, und auch nach ihrer Erhebung kommt das Buch erst aus etwa das 8—7sache des Friedenspreises, ist mithin immer noch bei weitem das Billigste, was irgendwie heute im Handel zu haben ist.« Die Firma Paul Pareh ist Herrn vr. Friedrich Olden bourg, der im Börsenblatt Rr. 6Z ausführt, daß der wissen schaftliche Verlag mit seiner Preisbildung durchaus auf rich. tigem Wege sei und nur durch den bösen schönwissenschaftliche» an der vollen Auswirkung seiner Politik gehindert werde, gewiß ein unverdächtiger Kronzeuge, und er wird, wenn er diese über aus ängstliche Preisbildung gerade des w i s s e n s ch a f t l i ch e n Verlags einmal an hundert Beispielen genauer prüft, zu der Überzeugung kommen müssen, daß eine Preiserhöhung mn das Sechs- bis Siebenfache, ja auch um das Zehn- bis Zwölffache des Friedenswertes, wie sie im wissenschaftlichen Verlag« noch nicht einmal gang und gäbe ist, eine vollständig verkehrte, direkt dem Untergang zutreibende Preispolitik genannt werden muß. Doch ich erwähne diese Preisnöte des Verlags, in die das Sortiment sich zu mischen bisher nicht gerufen worden ist und deshalb keine Veranlassung hat, nur nebenbei und nur in bezug auf die Ladenpreissrage, die dem Verlag, und insbesondere dem wissenschaftlichen, den zweiten großen Kopfschmerz bereitet. Herr vr. O l d e n b o u r g hat vollkommen recht mit feinem dem Berg steigerleben entlehnten Bilde: das Abrutschen im Geröll ist, eine gute Nagelung vorausgesetzt, ein rasches und oft vergnügliches Unternehmen, aber an den neuen Ausstieg durch das Geröll denkt niemand, denn er kostet Schweißtropfen und eine übermäßige Anstrengung. Ist also einmal der Ladenpreis in der Tiefe ver schwunden, wird es nicht allzu leicht halten, ihn wieder richtig auf die Beine zu stellen. Auch die Folgerungen, die Herr vr. Oldenbourg aus der Ausgabe des Ladenpreises zieht, sind nicht von der Hand zu weisen; mit dem K 21 des Verlagsrechtsgesetzes dürste es nach dem Fallen des Ladenpreises aus sein, in die künftige Katalog- und Rettopreisbildung des Verlags werden Autoren, Behörden, Sortimenter und Angestellte erheblich Hineinreden, wofür Herr vr. Oldenbourg eine feine Witterung und gleichzeitig die begreifliche Abneigung zeigt. Für das Sortiment scheinen mir die Folgen einer ladenpreislosen Zeit wesentlich harmlosere zu sein als für den Verlag. Wir haben diese Zeit eigentlich ja schon seit zwei Jahren, nämlich seitdem der wissenschaftliche Verlag die börsenvereinsmäßige Regelung der Verkaufspreise durch die Notstandsordnung zerstört, der Gesamtverlag durch seine Gruppenbildung, durch Sondcrabkommen u. a. m. Unruhe und immer wachsende Preisunsicherheit in den Buchhandel ge tragen hat. Das Sortiment hat diese Zeit, allen verlegerischen Voraussagungen zum Trotz, eigentlich nicht schlecht Überstunden, es hat durch engeren Zusammenschluß in Orten und Kreisen seine Mitglieder zu Widerstandskraft und Gemeinschaftsgefühl erzogen, und dieser Prozeß dürfte noch lange nicht abgeschlossen »öS