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8220 Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. ^ 17 7, 1. August 1908. groschen, wie jene 100 000 Kronen, die der Staat für die Privatbeamtenversicherung jährlich opfert, hinwegbringen. Herr Präsident Vetter spricht sodann über die Novel lierung und meint, daß alle jene Nooellierungsvorschläge zu begrüßen seien, die auf eine präzise Umschreibung des Kreises der Versicherungspflichtigen hinarbeiten, ist aber der Ansicht, daß die Novellierung selbst einem späteren Zeitpunkte vorzubehalten sei. Er konstatiert hierbei auch, daß unter den Detailhandelsangestellten eine große Bewegung gegen ihre Einbeziehung in das Gesetz be stehe. Da jede soziale Versicherung, wie er selbst zugibt, ein Sprung ins Dunkle ist, meint Herr Kom merzialrat Vetter, daß man so vorsichtig als möglich bei Aktivierung des Prioatbeamtenversicherungsgesetzes Vorgehen müsse. Er sagt: Zunächst muß der Kreis der Ver- stcherungspflichtigen in einer dem Geiste des Gesetzes ent sprechenden Weise abgegrenzt werden, wobei man sich nicht an den unglücklichen Wortlaut des Gesetzes allzu ängstlich klammern darf. Dann wird die erste Basis einer Berech nungsmöglichkeit gegeben sein. Allerdings ist es gerade des halb bedauerlich, daß das Gesetz vor den allgemeinen Sozialversicherungsgesetzen in Kraft tritt. Viele Angestellte werden die ganz gerechtfertigte Ausscheidung als eine Un billigkeit arischen, weil ihnen derzeit nicht schon anderwärts eine Versorgungsaussicht erwächst. Aber im Interesse dieses Verstcherungszweiges muß man sich darum nicht von der rich tigen Demarkationslinie abdrängen lassen und diejenigen aus der Versicherungspflicht unbedingt ausscheiden, denen nicht der Beamtencharakter zukommt. Man kann dies um so ruhigeren Gewissens tun, als denselben nach den allgemeinen Sozialverstcherungsgesetzen in absehbarer Zeit sicher ein Versorgungsanspruch zukommen wird. Herr Vetter schließt daraus: Ist so eine auf solider, rechnungsmäßiger Grund lage gewonnene Erfahrung geschaffen, dann wird sich Heraus stellen, wie hoch der Staatszuschuß unbedingt sein muß, damit das Gesetz Ersprießliches leiste, und ob nicht weiter eine Ermäßigung der Lasten und Erhöhung der Anwart schaften eintreten kann. Dann wird eine Veränderung des Gesetzes sicher günstig und gefahrlos erfolgen können, und ich glaube, daß die Ereignisse mir recht geben und mich nicht eines leichtfertigen Optimismus zeihen werden. Seinen Gedankengang faßt er mit folgenden Worten zu sammen: Ein auf rein versicherungstechnischer Basis aufgebautes Privatbeamtenoersicherungsgesetz ist eine Unbilligkeit, eine Un gerechtigkeit und wird nie den Anforderungen entsprechen können, die Unternehmer und Angestellte an dasselbe berechtigterweise stellen dürfen. Daher gibt es nur zwei Wege: Abschaffung des Gesetzes und Einbeziehung der Privatbeamten versicherung in die allgemeine Sozialversicherung, oder wenn Regierung und Parlament sich hierzu nicht be quemen wollen, zeitgemäße Novellierung des Gesetzes auf Grund gewonnener Erfahrungen unter unver- rücklem Festhalten des Verlangens nach ausgiebiger Staatshilfe. Er meint, daß hiermit auch die Aufgabe der jenigen gegeben sei, die sich an dem undankbaren Geschäft der Ver waltung der neuen Pensionsanstalt beteiligen. Ihre Mission sei, durch zielbewußte Tätigkeit den Boden für die Novellie rung des Gesetzes entsprechend vorzubereiten. Sie müssen aber auch in ihrer Aufgabe durch die Vertreter der Industrie unterstützt werden, und er verlangt daher, daß die Anmeldungen rasch, ausführlich und gewissenhaft erfolgen mögen. Er meint schließlich: Je rascher und sorgfältiger die Anmeldungen erfolgen, desto billiger wird der Verwaltungs apparat sein, desto gründlicher und rascher werden die Grund lagen für die Novellierung gewonnen. Auf diese Ausführungen hat Herr Kammerrat Wilhelm Müller in der »Neuen Freien Presse« vom 23. Juli 1908 wie folgt geantwortet: Wohl jeder Geschäftsmann, der sich mit dem Privat beamtenoersicherungsgesetz beschäftigt oder gar mit dem Bleistift in der Hand berechnet hat, welche Lasten ihm durch das neue Gesetz auferlegt werden, wird Herrn Kommerzialrat Vetter für jenen Teil seiner in der »Neuen Freien Presse« vom 2l. Juli veröffentlichten Ausführungen, in denen das Gesetz besprochen und in seinen großen Mängeln beleuchtet wird, dankbar sein; er wird sich aber auch ebensosehr verwundert haben über jenen Teil, in dem Herr Vetter die Novellierung des Gesetzes in einem späteren Zeitpunkte für wünschens wert hält. über die Mängel des Gesetzes weitere Worte zu sagen, nachdem dies schon so oft in zahllosen Petitionen und Kund gebungen geschehen ist, hielt ich bereits in dem Augenblicke für überflüssig, als im sozialpolitischen Ausschüsse der Antrag auf Novellierung des Gesetzes beschlossen worden war. Ich will deshalb auch heute nicht schon oft Gesagtes wiederholen, halte es aber für dringend geboten, jenen Ausführungen des Herrn Vetter, die sich auf den Zeitpunkt der Novellierung des Gesetzes beziehen, so schnell als möglich entgegenzutreten, da bei der Stellung des Präsidenten des Bundes der Industriellen, der außerdem Vorstandsstellvertreter der Pensionsanstalt ist, eine widerspruchslose Hinnahme seiner diesbezüglichen Ausführungen verhängnisvoll werden könnte. Herr Vetter steht — wie die weit überwiegende Mehr zahl der von dem Gesetze Betroffenen — voll und ganz auf dem Standpunkt, daß eine Verschmelzung des Gesetzes mit der allgemeinen Altersversorgung das Vernünftigste wäre, und er hält es für ungerecht, daß den Privalbeamten ein Staatszuschuß verweigert werden soll, der für die all gemeine Altersversorgung als notwendig anerkannt wird. Er konstatiert die intensive Bewegung der kaufmännischen Kreise, welche eine strikte Ausscheidung der Handlungs gehilfen durch eine Novellierung des Gesetzes fordern, tritt aber doch dafür ein, daß auch diese des Beamten charakters vollständig entbehrenden Personen jetzt schon angemeldet werden sollen, wenn auch diese Anmeldungen eventuell bei näherer Abgrenzung des Kreises der zu Ver sichernden gelegentlich der Novellierung des Gesetzes über flüssig werden würden. Ich muß gestehen, daß ich gerade vom Vorsttzendenstell- vertreter der Pensionsanstalt erwartet hätte, daß er mit allen erdenklichen Mitteln dahin gewukt hätte, daß der Termin der Anmeldung so weit hinausgcschvben würde, bis die unbedingt notwendige Klarheit bezüglich der Abgrenzung des Kreises der zu Versichernden gelegentlich der Novellie rungen durchgesührt worden wäre. Herr Vetter wünscht vor einer Novellierung des Gesetzes eine tatsächliche Basis für die versicherungstechnische Berechnung zu erlangen. Was nützen hierfür aber die Anmeldungen, wenn ein so großer Kreis wie der der Handelsangestellten dann wieder aus geschieden wird? Die Novellierung des Gesetzes könnte ja in kurzer Zeit, im Anfänge der Herbstsei ston, durchgeführt und damit die Unklarheit, Angst und Sorge, die alle Handelskceise bedrückt, behoben werden. Wie berechtigt diese Angst und Sorge der Geschäftswelt ist, will ich durch nachstehende Berechnungen beweisen, und ich hoffe, daß die Erkenntnis, das der Detail- Handel — sowohl Unternehmer wie Angestellte — gar nicht in der Lage ist, diese Lasten zu trageu, dann auch bei allen jenen Platz greift, die in ihrem Fatalismus sich noch gar nicht ausgerechnet haben, wie groß die Opfer sind, die das neue Gesetz dem Geschäftsmann auferlegt. Ich bringe die Berechnung deshalb vor, weil Herr Vetter es nicht für seine Aufgabe gehalten hat, zu untersuchen, inwieweit die