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Redaktioneller Teil. »r 174. 29. Juli 1918. mir Neil sein Wohlwollen erhalten, und sein Bild ist mir in treuem Gedächtnis lebendig geblieben. Andere in der Geschichte des Leipziger Buchhandels be kannte Männer, die als Freunde Hartmanns öfters in sein Ge schäft kamen, waren die Herren Kiltler, Grunow, Botz, Fried« lein, Hirsch und Otto Aug. Schulz. Aber auch eine Reihe an derer Persönlichkeiten waren regelmäßige Besucher des Hart- mannschen Kontors. Sie traten ein, wechselten einige leise ge sprochene Worte mit Hartmann, der dann mit ihnen im Bas seschen Auslieferungslager verschwand. Aus diesem kam der alte Herr Hartwich mit verständnisvollem Lächeln heraus, das sich allen Gesichtern mitteilte. Endlich erschien Hartmann mit sei- nem Gast, füllte ein Kuvert und nahm mit dem bekannten Frei maurerhanddruck Abschied, das »Auf Wiedersehen« des Entlas senen zweifelnd oder säuerlich lächelnd entgegennehmend. In unserem Geschäftshause wohnte Otto Spamer, eine dritte bedeutende buchhändlerische Persönlichkeit. Ich sehe den klei nen energischen Mann noch vor mir. Welche Arbeitskraft ent wickelte auch dieser! Neben der Leitung seines Verlages schrieb er noch seine noch heute lebenden famosen Jugendschriften unter dem Pseudonym Otto, wie: »Der große König und sein Rekrut«, »Wohltäter der Menschheit«, und wie sie alle heißen. Die Ma nuskripte seiner Autoren arbeitete er um, bis sie seinem geschäfts- gewandten und literarisch richtig fühlenden Sinn entsprachen. Seine Firma vertrieb damals mit großem Erfolge neben Bü chern die berühmten Morrissonschen Pillen, und aus dem Ver kehr mit Kindern und Dienstmädchen merkten wir, daß auch diese mit Pillendrehen zum Wohle des Hauses helfen mutzten. Ja, die Geheimmittel spielten damals eine große Nolle im Sor timentsbuchhandel. Tülls Schlcimpulver von der Firma Ver lags-Comptoir in Altona wurde in Unmassen verschickt. Ich selbst habe in den ersten Jahren meiner Selbständigkeit die Sünde begangen, es zu vertreiben, bis strenge Gebote dem Un- fug ein Ende machten. Aber ich bekam eine Anzahl untröstlicher Briefe von regelmätzigen Beziehern, meist alten Oberförstern, die ohne ihre Pulver nicht weiterleben zu können glaubten. Gu stav Freytag hatte sein Leipziger Winterquartier auch im Hartmannschen Hause, und da waren einmal wir Hartmann- schen Zeugen einer netten Geschichte: Der Herzog Ernst von Co burg-Gotha kam in strengem Inkognito zu seinem Freunde Freytag, um Pferde zu kaufen und bet Freytag zu übernachten. Das machte natürlich im Hause großes Aufsehen. Ei» Koch und ein eleganter Lohndtener traten aus, und wir waren alle versammelt, den hohen Besuch zu erwarten. Der Hausflur war, wie fast immer, mit Ballen angefllllt, und als die Hoheit, be gleitet von Frcytag und Hirzel, erschien und unsere Ballen sah, beklopfte er sic mit seinem zierlichen Stückchen: »Alles Werke von Ihnen, die in die Welt gehen«, sagte er zu Freytag. Ehe dieser etwas sagen konnte, nahm unser unverschämter August das Wort und ries im schönsten Leipzigcrisch: »Ae, warum nich gar. Krebse seins!« Hoheit machten ein sehr verwundertes, entrüstetes Gesicht, wir aber drängten Augusten mit vereinten Kräften hinterwärts, der nicht aufhörte zu versichern: »Nu, Gott verdamm mich. Sein doch Krebse«. Eine eigene Erfahrung machte ich nicht nur in meinem Lehrhause, sondern später auch in meinen Stellungen als Ge hilfe: Keins dieser schönen blühenden Geschäfte kannte eine irgendwie ordentliche Buchführung. Natürlich gab es ein Kas senbuch, und alle Belastungen und Gutschriften wurden gebucht, aber an Inventur, an Abschluß und gar an doppelte Buchfüh- rung wurde nicht gedacht. Es ging auch so und ohne eisernen Geldschrank. In eine alte Strazze, die noch aus der Zeit stammte, da Hartmann auch Sortiment an eine, wie es schien, recht zweifelhafte Kundschaft Vertrieb, fand ich folgende Art des Kontoabschlusses. Hier waren alle Soll-Posten mit: mir gut, alle Haben-Posten mit dir oder Ihnen gut statt mit gor und an eingetragen. Da nun bei den meisten Konten es kein Haben gab, waren solche, um doch endlich die Linien des Abschlusses ziehen zu können, von dem dabei seiner Entrüstung Luft machen den Buchführer wie folgt abgeschlossen: Also: Friedrich Emil Windelmeyer, e-rock. tkool. Soll: Haben: Taler, Neugr. Taler, Neugr. Mir gut 1 Miniaturbibl. dschr. Klassiker 2. 20 Dir gut: infamer Erzlump, durchgebrannt 2. 20 1 20 2^ 20^ Diese Vernachlässigung einer wirklichen ordentlichen Buch führung war ein verhängnisvoller Fehler in meiner beruflichen Ausbildung, denn natürlich ging solche Nichtwürdigung dieser doch überaus nötigen, für jedes Geschäftsleben grundlegenden Ordnung ins eigene Empfinden über. Während 1849 Goethes 100. Geburtstag fast spur los vorllberging (wie unbegreiflich heute!), nur Hir zel feierte ihn durch «ine seiner schönen, in kleinem Kreise verbreiteten Goethe-Publikationen*), wurde Schil lers Geburtstag 1809 mit vielen schönen Reden für Deutsch lands Einheit, Festakten und Festzügen gefeiert. Wartig ver- anlaßte, daß ich, als einziger Lehrling, mit Leipziger Buchhand- lungsgehilsen mit aufziehen konnte. Ein schwarzer Zylinderhut wurde geborgt, und so wanderte ich mit, ohne große Begeiste rung, aber doch mit einigem Stolze. Alles vergeht, auch meine vier Lehrjahre vergingen in vie ler, ein einziges Mal durch einen achttägigen Urlaub unter brochener Arbeit. Hartmann hätte mich gern behalten, er hatte wohl andere Pläne mit mir, aber Hirzel unterstützte mein eige nes Verlangen, aus dem Kommissionsgeschäft herauszukommen. In seiner großen Güte besorgte er mir eine Stelle bet Perthes, Besser L Mauke in Hamburg, einem damals sehr hoch angesehe ne» Geschäft, und bange, mit sorgendem Herzen fuhr ich am !. April 1860 nach der Hansastadt. Hamburg 1860 — 63. Ich hätte mich nicht zu sorgen brauchen, denn ein liebens würdiger Empfang durch Alfred Mauke zeigte mir bald, daß ich in ein gutes Haus etngetreten war. Die Firma Perthes, Besser L Mauke, bekanntlich von Friedr. Perthes gegründet, dessen Leben ich natürlich eifrig gelesen hatte, erfreute sich damals eines sehr guten Rufes und stand in hoher Blüte. Es war ein feines Sortiment, hatte ausgezeichnete Kundschaft in den vor nehmen und reichen Häusern Hamburgs, sowie bei vielen Be hörden und Bibliotheken und auch auswärtige gute Beziehun gen in den Kreisen des holsteinschen Adels. Der alte Herr Mauke war kurz vor meinem Hinkommen gestorben, seine Söhne Alfred und Wilhelm, zwei sehr verschiedene Naturen, leiteten das alte Geschäft. Eine schönere Lage konnte es nicht haben. Es befand sich am Jungfernstieg, der schönsten Straße Ham burgs, Ecke der Großen Bleichen, und hatte einen sehr schönen Laden mit Eingang von der erhöhten Hausflur. Aber die gute Lage wurde nicht, anders wie es jetzt sein würde, durch große prunkvolle Schaufenster ausgenutzt, nur nach dem Jungfcrnstieg zu waren in zwei Fenstern einfache dreistellige Stellagen für wenige Bücher. Eine prachtvolle große Mahagonitafel, einige Sessel an den Fenstern und im Hintergründe drei Doppelpulte für die Herren und uns Gehilfen bildeten das Mobiliar. Lehr linge gab es nicht. Auch hier in Hamburg hatte ich das große Glück, das mich in meiner ganzen Lehr- und Wanderzeit nie ver lassen hat, nur mir sympathische liebenswürdige Gehilfen, von denen ich lernen konnte, als Arbeitsgenossen zu finden. Wenn ich hier den ältesten von ihnen nenne, freut sich mein Herz, denn mein lieber Freund Lucas Gräfe lebt als letzter und einziger Jugendgenosse, Gott sei Dank, heute noch. Älter als ich, kann er sich ehrenvoller, durch Fleiß und Tätigkeit erworbener Al tersruhe bei frischen Geistes- und Körperkräften erfreuen. Wenn seine Augen auf das, was ich hier niederschreibc, fallen, muß er es schon freundlich erlauben, daß ich sein Lob verkünde. Ich muß es einfach tun. Einen tüchtigeren Sortimenter konnte man nicht finden. Er brachte hierzu alle die Eigenschaften mit, die zu einem solchen gehören: erstens eine unermüdliche Arbeits kraft, ein vorzügliches Gedächtnis, große Sortimenterkenntnisse, dann ein sicheres Urteil, durch feine Derstandsbildung erwor- *> »Fragmente aus einer Goethebibliothek zur Festandacht 28. 8. 1843.-