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128, 29. Mai 1905. Nichtamtlicher Teil, 506S Schulen besucht haben. Für uns ist die Bildungsfrage die Frage der Konkurrenzfähigkeit, Wenn überall um uns her im kaufmännischen Leben die Anforderungen an die Bil dung steigen, wie darf der Buchhandel da Zurück bleiben?! Wie wollen wir im Wettbewerb uns behaupten gegenüber denen, die, ohne den Buchhandel erlernt zu haben, zu Hunderten schon heute in ihm die besten Stellungen be kleiden, während es für viele trotz ihrer Lehrzeit und lang jährigen Gehilfenzeit oft schwer ist, sich auskömmlich zu be haupten?! Eine gute Handclsbildung erhöht unsre Leistungs fähigkeit, als Chef wie als Gehilfe, Eine der wichtigsten Aufgaben für den Buchhandel scheint mir daher die Gründung einer höheren Buchhändierschule, Das Gebiet, das einer solchen Schule zufiele, ist un- gemein groß und vielseitig, so groß, daß eine Fortbildungs schule nach Art der Öffentlichen Buchhändler - Lehranstalt in Leipzig mit 12 Stunden wöchentlich es nicht bewältigen könnte, daher ihr bedeutend mehr Zeit und eine Einrichtung nach Art der Akademien zur Verfügung stehen müßte. Die Lehrfächer müßten sich gruppieren in obligatorische und freiwillige. Ich nenne unter den erster«!: kaufmännisches Rechnen, Wechsellehre, Bank- und Geldwesen, Handelslehre (Geschäftsbetrieb, Kreditwesen), Buchhaltung, Korrespondenz, Verkehrswesen, Handelsrecht, Literatur buchhändlerischer Ver- kehrsordnungen, Bibliographie, Kultur- und Kunstgeschichte, Geschichte der Wissenschaften, Sprachen (alte und neue), Buchgewerbe, Jllustrationswesen, Reklame, Volkswirtschafts lehre, Gesellschaftslehre; ferner fakultativ: für Sorti menter: Kenntnis der künstlerischen und wissenschaftlichen Literatur und ihrer Geschichte, Betriebslehre, Dekorationskurse usw.; für Antiquare: Inkunabel- und Bibliothekskunde, Archivlehre, Taxation, Katalogisieret!, Auktion usw.; für Kunsthändler: Kunstgeschichte, Gemäldekunde, Photographie und Reproduktionswcsen, Recht usw.; für Musikalien händler: Musikgeschichte, Jnstrumentenkunde, Urheberrecht usw.; für Verlag: Hcrstellungswesen, Papierkunde, Vertrieb, Zeitungswesen, Jnscratwesen, Urheberrecht. Vieles ließe sich durch Anschluß an bestehende ähnliche Institute erübrigen. Für den Ort einer solchen höheren Buchhändlerschulc käme hauptsächlich Leipzig in Betracht, das in seinen schon vorhandenen Einrichtungen (Universität, Bibliotheken, Akademie für graphische Künste, Handelshochschule) bereits die geeignet sten Möglichkeiten weiterer Ausbildung und praktischer Be ziehungen (Besuch buchgewerblicher Großetablissements re.) bietet. Ohnehin läßt sich eine solche höhere Bildungs gelegenheit für den Buchhandel vernünftigerweise nur zen tralisiert denken, wenngleich damit nicht jeder andern Stadt der Boden entzogen werden soll. Günstig für Leipzig ist die große Entwicklung des Buchhandels auf einem räum lich geschlossenen kleinen Felde (Ostviertel), ferner das Zu sammenströmen des ganzen Buchhandels, um die Organi sation in der Nähe kennen zu lernen, wovon auch die Schule profitieren müßte, wie endlich, daß es der Sitz des Börsen vereins und in seiner Lage in Mitteldeutschland der Aus gleichspunkt zwischen Norden und Süden, Osten und Westen ist. Ohnehin müßte naturgemäß der Börsenverein als die Organisation des gesamten deutschen Buchhandels an die Spitze einer solchen Anstalt treten. Wäre es nicht eine der edelsten Erfüllungen, die sich aus seinen Satzungen ablciten ließen: -Pflege und Förderung des Wohls, sowie Vertretung der Interessen des deutschen Buchhandels und seiner An gehörigen im weitesten Umfange«? Der Börsenverein könnte diese Bildungsstätte für den deutschen Buchhandel um so leichter errichten, als er nicht nur hiermit den ge schäftlichen Interessen seiner Angehörigen die weiteste Förde- BörslnblaU sltr den diiujch-n Buchhaudil. ?g. Jahrgang. rung zu teil werden ließe, sondern auch mit der Gewißheit rechnen könnte, daß diese Schule besonders von Prinzipals söhnen gern besucht werden würde. Ebenso würde sie eine Anziehungskraft auf angesehene Familien im Lande aus üben, die bisher ihre Söhne dem Buchhandel fernhielten. In welcher Art sich die Schule praktisch zur Lehrzeit stellt, ob vor oder nach ihr, sei hier nicht untersucht. Jeden falls würde ein Zögling dieser Schule, besonders wenn er gute Zeugnisse aufweisen kann, sehr rasch einen tüchtigen Lehrchef und als Gehilfe eine gute Stellung finden. Auch für Gehilfen müßte die Möglichkeit geschaffen werden, sich in einzelnen Fächern speziell fortzubilden. Sicher gibt es Firmen, die ihren Angestellten die Teilnahme an besonder!! Kursen (Ferienkurse) erleichtern und sich selbst damit kenntnis reicheres Personal schaffen würden, (wie z. B. die Firma Krupp iu Essen für ihre Angestellten besondre Werkmeister-rc.- Schuleu ins Leben gerufen hat). Die Schule würde den Nachwuchs im Buchhandel mindestens insofern beeinflussen, als die Lerngelegenheit für alle, die lernen wollen und können, vorhanden wäre, und wie es in Technikerkreisen zum Erfordernis gehört, sich durch eine gründliche Bildung, bezw. durch Diplom auszuweisen, so könnte auch für den Buchhändler an dieser Schule eine Prüfungskommission be stellt werden, die durch Prüfungen den Bildungsgrad nor miert und Diplome ausstellt, sei es nun nach beendetem Schulkursus, sei es nach beendeter Lehrzeit, oder in freien Prüfungen für Gehilfen. Bei einer solchen Prüfung fiele alsdann der Rückschluß auf die Lehrfirma fort und die Freunde der Gehilfenprüfung sähen ihren Wunsch erfüllt. Der Börsenverein besitzt auch bereits einen kleinen Grundstock für eine solche Bildungsanstalt. Der am 15. No vember 1874 verstorbene Herr vr. Heinrich Brockhaus (unterließ dem Börsenverein ein Legat von 4000 Thlr. mit der Bestimmung, die Zinsen so lange zum Kapital zu schlagen, bis die zur Verwirklichung eines gesunden Plans zu einer Höheren Bildungsaustalt für junge deutsche Buchhändler erforderliche Summe erreicht sei. Nach dem letzten Bericht beträgt der Stand der Brockhaus-Stiftung 37 190 ^ 80 H; sie wächst um jährlich 1200 ^ Zinsen. Freilich ist diese Summe, so groß sie ist, und so sehr die edle Anregung eines hohen Gedankens ihren Stifter ehrt, noch nicht genügend zur Einrichtung einer höheren deutschen Buchhändler-Schule. Hier sollle der Gemein- sinu des Buchhandels im weitesten Umfange einsetzen. Die enormen Stiftungen, die der Unterstlltzungsverein zu Berlin verwaltet, zeigen, daß es dem Buchhandel weder an Männern edler Lebensauffassung, noch an Kapital mangelt. Hier könnten wohlhabende Gönner ihrem Stande und ihren Nachkommen auf Jahrzehnte hinaus innerhalb des wissenschaftlichen und geschäftlichen Lebens Ansehen und Erfolge sichern, besonders, wenn sie Einrichtungen ins Leben riefen, die eine direkte Verbindung einer solchen Schule mit einer Handelshochschule oder Universität begünstigten; sie könnten für begabte, aber unbemittelte Berufsangehörige Stipendien oder Erleichterungen schaffen, kleine Opfer, die das Talent an den Beruf fesseln und sich später hundertfach lohnen. Alles, was heute im Interesse der Berufsbildung gewünscht wird, fände hier eine praktische und zugleich die idealste Lösung. Denn vertiefender als das Lesen in einem »Leitfaden« und in Lehrbüchern wirkt das lebendige Wort eines tüchtigen Lehrers. Handel und Wandel würden be fruchtet werden, weil der höhere Flug, den die Gedanken nehmen, ivie auch die Vertiefung an praktischen Kenntnissen die Intelligenten mehr fesseln, vor Jrrtümern bewahren und die günstigsten Folgen für das geschäftliche Leben nach sich ziehen wird. Betrachten wir nach der andern Seite die Folgen eines KW