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2182 Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. Nichtamtlicher Teil. ZF 40, 18. Februar 1910. Textillustrationen sollte ausnahmslos keine andere Technik gewählt werden. Doch nicht nur nach ihrer Art, sondern ebenso nach Form und Umriß muß sich die Zeichnung dem Bild der ganzen Schriftseite unterordnen. Sie darf nicht wie zerrissene Wolkenbildungen am blauen Himmel dahinsegeln oder wie eingestreute Blättchen erscheinen; in schöner, geschlossener Form soll sie das Auge befriedigen. Vollbilder erlaubest in der Wahl ihrer Wiedergabe ein etwas freieres Schalten. Die größere Fläche ermöglicht ein viel tieferes Eingehen in die Einzelheiten der Darstellung, und es können wohl Fälle eintreten, in denen der Künstler eine flächige Ausführung der weniger bildsamen Feder zeichnung vorziehen zu müssen glaubt. Aber immer sollte künstlerische Sebstbeherrschung auch da gefordert werden, wo den Zeichner die größere Freiheit der Mittel zu einer Außer achtlassung des Zweckes zu verlocken scheint. Es lassen sich auch durch Holzschnitt oder Federzeichnungen, vielleicht mit Zuhilfenahme eines zarten Tones die delikatesten Wirkungen erzielen. Ich erinnere an A. von Werner und unter den neuen an Bayros. Die Frage, ob für den Buchschmuck eine zweite Farbe herangezogen werden darf, möchte ich bejahend beant worten. Es ist sicherlich für das Auge wohltuend, neben dem eintönigen Schwarz-Weiß der Schrift eine erfrischende Ergänznngsfarbe wirken zu sehen; und erfreulicherweise hat die Freude an der Farbe bei der Buchausstattung in jüngster Zeit erheblich zugenommen. Überhaupt, wenn man die Erscheinungen des Buch handels in den letzten Jahren verfolgt, so kann man doch feststellen, daß sich unter ihnen einzelne hervorragende Ver treter finden, die selbst den hier gestellten Anforderungen man kann wohl sagen vollständig genügen. Unter den Büchern mit rein ornamentalem Schmuck sind sehr beachtens wert die bei Konegen in Wien erschienenen Neuausgaben der Ilias und Odyssee. Die von Junck mit feinem Ver ständnis frei nachempfundene Ornamentik versetzt uns mit ihrer heiteren Ruhe in die homerische Zeit hinein, und wir empfinden es mit großer Freude, daß die Gedanken bei der Lektüre durch nichts Unnötiges und Zuviele» abgelenkt werden. Es ist sicher ein glücklicher Gedanke, die Illu strationen in diesen Büchern bei den so sehr schwer zu treffenden Gestalten der Gesänge Homers vermieden zu haben. Kürzlich erschien bei Cotta in Stuttgart eine Neu ausgabe der von Genelli illustrierten Odyssee, zu der Cissarz den Buchschmuck zeichnete. Zu dieser reichen, bis ins Ein zelne durchdachten Ornamentik läßt sich das gleiche sagen wie oben, nur herrscht in ihr, möchte ich sagen, das Gemüt volle mehr vor. Seinem ganzen Wesen nach, in seiner vor nehmen Zurückhaltung war diese Aufgabe für Cissarz wie geschaffen, und jeder wird auch den Eindruck haben, daß sich der Künstler mit großer Liebe der Arbeit unterzogen hat. Um nun noch ein Beispiel eines illustrierten Buches in modernem Sinne zu nennen, so muß ich in erster Linie auf die DiederichSsche Faustausgabe verweisen, zu der Ehmke den wundervollen monumentalen Schmuck ge zeichnet hat. Die Idee, den Grundton einer ganzen Dich tung in einer Zeichnung nachklingen zu lassen, hat in diesem Buche eine glänzende Verkörperung gefunden. Man ist sowohl durch die kolossale Kraft der Wirkung, als auch durch die große Einfachheit der Mittel und nicht zum wenigsten durch die minutiöse Aussührung der Zeichnungen gebannt. Wie viele haben sich schon bemüht, die zerrissene Wirkung des Satzes poetischer Schriften aufzuheben, und wohl keinem ist dies mit so einfachen Mitteln gelungen. Der erste Teil des Faust zeigt im Titel bild den mächtig aufwärtsstrebenden Märchenvogel auf sternsnübersätem Himmelsraum. In Verbindung mit dem Titel mit seiner reichen Ausgestaltung und der ein fachen Schrift ist die Wirkung des Titelbildes in der kräftigen holzschnittartigen Zeichnung eine ganz mächtige. Der zweite Teil mit seinen Wundern und Rätseln erfährt seine Verkörperung durch ein dreifach aus gebildetes Wunderweib in halb klassischer, halb orientalischer Darstellung. Es redet wirklich wie der Geist dieser Höhen dichtung aus diesen steinernen Gesichtern. Wenn man dann noch die prächtige Schrift steht, so hat man wirklich das Gefühl: das Buch ist von der ersten bis letzten Seite aus einem Guß. Da die Grundsätze, denen diese Bücher ihre Entstehung verdanken, sich mit obigen Ausführungen ungefähr decken, habe ich diese wenigen Beispiele angesührt. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn diesen Höhepunkten neudeutschcr Buchkunst weitere Erscheinungen folgen würden, wenn die Ausstattung der Bücher eingehender überlegt würde, damit die Unsicherheit und Verwilderung immer mehr zurückgedrängt werden kann. Vielleicht muß man noch die Werke eigentlicher Volksschrist- steller bei der Ausstattung mit anderen Grundsätzen be handeln; ich sage nur vielleicht, wie weit auch heute schon das Volk für höhere reif ist, möchte ich nicht entscheiden. Aber jedem Verleger guter Literatur sollte es eine liebe Pflicht sein, die ihm übergebenen Perlen deutschen Geisteslebens in würdiger Fassung ans Licht zu bringen; denn die erzieh liche Wirkung wahrhaft künstlerisch ausgestatteter Bücher wird noch viel zu sehr unterschätzt. Der Dank des Publikums wird jedem sicher sein. 0. 8. Aus dem Deutschen Buchgewerbehaus in Leipzig. Französische Lithographien aus der Zeit der Romantiker. Im Saale der alten Drucke des Deutschen Buchgewerbe- Museums in Leipzig befindet sich gegenwärtig eine Ausstellung französischer Lithographien aus der Zeit der Romantiker, die wir als die Blütezeit während des ersten Aufschwungs, den die Lithographie in Frankreich nahm, ansehen dürfen. Diese Aus- stellung ist um deswillen so interessant, weil sie uns Steinzeich nungen von so großer technischer Vollendung vor Augen führt, daß sie in nachfolgender Zeit weder in Frankreich noch sonstwo überboten worden sind. Es ist eine Freude, sich der Durchsicht dieser köstlichen Blätter zu widmen und ihre technischen Qualitäten zu bewundern. Und wenn wir ehrlich sein wollen, müssen wir uns angesichts dieser reizvollen Blätter, die alle Feinheiten zartester Tonnuancen enthalten und anderseits so satte durch sichtige Tiefen aufweisen, gestehen, daß wir heute derartige druck technische Leistungen vergeblich zu erreichen trachten. Freilich darf man bei diesem Vergleich nicht außer acht lassen, daß zu jener Zeit ein Stab handwerklich hochstehender Drucker heran gebildet war und vor allem das damals verwendete Papier wesentlich andere Qualitäten aufwies, als heutzutage. Die Ver wendung des Holzstoffs bei der Papierbereitung war ja jener Zeit noch nicht bekannt. Die Ausstellung läßt sich in drei Gruppen gliedern: in Kari katuristen, Romantiker und Techniker. Die Aufgabe, die zeitweilig der Holzschnitt und in neuerer Zeit die photochemischen Verviel fältigungsverfahren zu erfüllen hatten, war von Beginn bis etwa um die Mitte des vorigen Jahrhunderts der Lithographie zuge fallen. In dieser graphischen Technik, die sich nicht bloß für die subtilste zeichnerische Durchbildung, sondern ebenso für die flott hingeworfenen Darstellungen eignete, feierten die französischen Karikaturisten ihre Triumphe und schilderten bald in anmutiger, bald in scharf satirischer Weise das leichtfertige Pariser Leben. Unter ihnen ist besonders Paul Gavarni bemerkenswert, der mit prickelnden Darstellungen leichtfertiger Sitten begann, um zur Schilderung tiefsten menschlichen Elends und furchtbarster menschlicher Verkommenheit überzugehen. Mit beißendem Spott griffen diese Karikaturisten das