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Nr. »20. UlAMumöMörstMerÄMerSMWMWN 83. Jahrgang. Leipzig, Donnerstag den 25. Mai I9l6, Redaktioneller Teil. Deutscher Verlegerverein. Nach der in der 30, ordentlichen Hauptversammlung am 20, Mai d, I, vorgenommenen Neuwahl der Herren vr, Fried rich Brandstetter-Leipzig, Fritz-Otto K i a s i n g-Leip- zig und Gottfried Spemann -Stuttgart setzt sich der Vor stand des Deutschen Verlegervcreins wie folgt zusammen : Eduard Urban -Berlin, 1. Vorsteher, Hofrat vr, Erich Ehlermann -Dresden, 2, Vorsteher, Paul Schumann-Stuttgart, 1, Schriftführer, I)r, Friedrich Brandstetter -Leipzig, 2, Schriftführer, Fritz-Otto K l a s i n g-Leipzig, 1, Schatzmeister, Gottfried S p e m a n n-Stuttgart, 2. Schatzmeister, Neichsbuchwoche. Reichsduchwoche — Name und Begriff sind neu, neu wie so vieles in diesem ungeheuren Ringen. Aber mit der Anpassungs fähigkeit, die schon früher da war, damals als wir d'Annunzio verhimmelten, um gleich darauf vor einem Russen in Verzückung zu geraten, haben wir uns Namen und Begriff zu eigen gemacht, als wäre beides so alt wie das Wort Faktur oder Remittenda, Wenigstens wir Buchhändler, Dem Publikum ist Bezeichnung und Wesen der Neichsbuchwoche doch wohl noch näherzubringen. Sie will ja zweierlei, wie ich es sehe — Peter Altenberg wird die Verwendung dieses Wortes hoffentlich nicht als Plagiat ahnden wollen: zunächst und in der Hauptsache Bücher für unsere Truppen, wo immer sie sein mögen, sammeln; daneben vielleicht auch Verlag und Sortiment etwas verdienen lassen. Denn es ist, ohne besonders schadenfroh sein zu wollen, anzunehmen, daß die anfänglichen Bücherschenkungen als Liebesgaben sämtliche Boden- und Rumpelkammern wirklich von allem zerfetzten und vergilbten Lesefutter befreit haben, um anderem Platz zu machen, und datz jetzt Bücher gekauft werden, überall, in jeder Stadt bei jedem Buchhändler gekauft werden. Eine Reichsbuchwoche ohne die Buchhandlungen wäre undenkbar. Da steht, wie manch einer es wähnt, unser Buchhandel vor einer Aufgabe, die zu lösen ihm die kaufmännische Erziehung fehlt. Er hat — mit wenigen Ausnahmen — darauf verzichtet, das Buch zu einem Bedarfsartikel zu stempeln. Der Kaufmann, der eine neue Ware anbietet, weckt und stachelt das Bedürfnis nach ihr auf. Es mag häufig ein eingebildetes sein, aber es ist da und endet erst nach Erwerb der Ware; endet oder wächst, je nachdem. Der Buchhändler trug nie das Verlangen, mit allen Mitteln neuzeitlicher Werbekunst das Bedürfnis nach dem Buche an sich oder nach einem bestimmten Buche zu Wecken; denn schamhafte Beteuerungen, daß dieses Werk die berühmte Lücke in der Literatur ausfülle und jenes sich partienweise verkaufen lasse, sind schließlich keine Reklame, Mag sein, daß die Herstellungs kosten vielfach das Extraordinarium der durch, großzügige Re klame verursachten Ausgaben nicht vertragen und dadurch die Rentabilität in di« Brüche ginge, Propaganda kann nur das Kapital und auch nur für eine bestimmte Sache oder Sachgruppe durchführen, bei uns der Verlag, das Barsortiment oder eine Sortimentervereinigung, Der Sortimenter kann es nicht, oder nur in einem so bescheidenen Rahmen, daß jede auf tatsächliche Reklame hinarbeitende Überschreitung vom Ertrag nichts übrig lassen würde. In den wenigen Tagen bis zur Buchwoche wird somit nicht das nachgeholt und gutgemacht, was man in Jahrzehnten zu üben und zu entwickeln versäumte. Aus der allgemeinen Zeit stimmung ersteht dem Buchhandel der größte Helfer, die uner müdliche Opferwilligkeit, die — dank der einsichtsvollen Presse als zweiter Hilfsquelle — immer wieder und wieder angerufen wird. Die Unterstützung, die dem Sortimenter durch Börsen verein, Verlag und Barsortiment zuteil wird, ist immerhin vielseitig genug und so reiflich durchdacht, daß er nur zu seinem Vorteil ausgiebigsten und planvollen Gebrauch von Katalogen und Flugblättern, Plakaten und Werbemarken machen wird. Die Bedeutung der Werbemarke als Werbemittel scheint in einigen Tausend Sortimentsbetrieben allerdings noch nicht voll erfaßt zu sein. Sollte nicht ein klein wenig Bequemlichkeit da mitspielen? Nebenbei sei erwähnt, daß zurzeit in Frankreich, Italien und in England Millionen von Werbemarken von Haus zu Haus fliegen, eine giftiger als die andere. Darüber ge legentlich ! Selbst der verhärtetste Pessimist wird zugeben, daß die Vor bedingungen für ein Gelingen der Reichsbuchwoche immerhin vorhanden sind. Zweierlei mag den zaghaften Buchhändler, deren cs «ine erkleckliche Anzahl gibt, locken, die Stunde auszu nutzen, für die Gegenwart wie besonders für die Zukunft: einmal das millionenfache Verlangen nach dem Buche, nach dem gedruckten Buchstaben, das aus allen Etappenorten und Unter ständen heimwärts dringt; zweitens der Umstand, einmal ganz und gar im Dienste eines großen deutschen Gedankens zu stehen. Wenn jemals, kann gerade zur Reichsbuchwoche der Buchhändler zeigen, datz er Kulturträger ist. Ihm ist für wenig« Tage durch die Verhältnisse ein Einfluß auf Hunderttausende aufnahmebe- reiter Seelen eingeräumt; möge es ein heilsamer sein. Die wirk lichen Buchhändler werden in dieser Woche die Güte und den Wert eines Buches nicht vom Rabattsatz abhängig machen; sie werden gerade diese Woche nicht dazu ausersehen, ihre Stapel ware abzustoßen. Es gibt leider unendlich viel Bücher, die nur Stapelware find, wie es Verleger gibt, die nur Stapelware ans den Markt werfen, und Händler, die sich damit eingedeckt haben. Die Maßnahmen, die sonst das Sortiment trifft, um wäh rend der Neichsbuchwoche wirklich Absatz zu erzielen für den gedachten Zweck, sind so individueller Natur, datz mit allgemeinen Vorschlägen wenig zu erreichen ist. Es muß von Fall zu Fall entschieden werden, ob Herr X seine Schaufenster derart einzu richten imstande ist, datz sie den Charakter der Reichsbuchwoche dem vorübergehenden Publikum nachdrücklichst dartun. Es hängt von den Verhältnissen ab, ob größere Industrieunternehmen, deren Arbeiter im Felde stehen, fallweise für die Reichsbuch woche zu interessieren wären; ob die Herren Stadtväter bereit sind, dem in der Stadt garnisonierenden Regiment oder Bataillon Bücher von Stadt wegen zu spenden. Diese und ähnliche Dinge zu erledigen vermag nur der einzelne Sortimenter oder, was häufig noch praktischer sein wird, der Zusammenschluß der Sorti menter in mittleren Städten, Der wird auch hier und dort Wohl zu gemeinsamen kleineren Ausstellungen führen, Ausstellungen, die auf neutralem Boden dem Publikum zeigen, was an gutem Lesestoff verschiedenster Art den Soldaten geboten werden kann und nicht geboten wurde. Es wird sich dabei Herausstellen, datz 065